Anton HofreiterDIE GRÜNEN - Regierungserklärung: Europäischer Rat und G20-Gipfel
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, ja, wir leben in wirklich schwierigen Zeiten: Die Klimakrise entwickelt sich schneller als selbst von Wissenschaftlern erwartet; die Weltwirtschaft ist noch immer instabil; bei den Finanzmärkten weiß man nicht, wann es die nächste Krise gibt; 60 Millionen Geflüchtete sind auf diesem Planeten unterwegs; internationaler Terrorismus, und in der Nähe von Europa gibt es eine ganze Reihe von Kriegen und Bürgerkriegen. Es ist offensichtlich, dass diese Vielzahl von Problemen nicht von einem einzelnen Land allein geregelt werden kann.
Wenn die G 20 vernünftige Regelungen treffen würden, dann könnten die G-20-Staaten etwas Gutes dazu beitragen; denn die G-20-Staaten stellen zwei Drittel der Weltbevölkerung. Sie stellen vier Fünftel der globalen Wirtschaftsleistung, und sie sind verantwortlich für drei Viertel, für 75 Prozent, aller Treibhausgasemissionen. Aber die G-20-Staaten haben in ihrer Geschichte schon viel versprochen, und sie haben wenig gehalten. Es steht zu befürchten, dass das Gleiche auf diesen Gipfel zutrifft.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wissen Sie, Frau Merkel, es liegt auch an dieser Bundesregierung. Es liegt auch an diesem Gastgeber. Es liegt auch mit an Ihnen. Ich gestehe Ihnen völlig zu, dass es überhaupt keine einfache Runde ist, die Sie zu Gast haben: Erdogan, Putin und Trump mit ihrer nationalistischen und antiökologischen Politik. Wissen Sie, Frau Merkel, ich erwarte überhaupt nicht von Ihnen, dass Sie die Probleme mit diesen schwierigen Herren einfach wegzaubern. Auf der anderen Seite ist natürlich auch klar, dass es neben diesen dreien ziemlich einfach ist, vernünftig zu wirken. Was ich aber von Ihnen erwarte, ist, dass Sie Verantwortung für Ihr eigenes Handeln in Ihrem direkten Zuständigkeitsbereich, nämlich für das Handeln dieser Bundesregierung, übernehmen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Schauen wir uns einmal die Ergebnisse des Handelns Ihrer Bundesregierung bei den wichtigen Fragen, die auf dem Gipfel verhandelt werden und die Sie selbst angesprochen haben, an: Klimaschutz, Bekämpfung von Fluchtursachen, gerechte Gestaltung von Handel und Globalisierung, eine vernünftige Regulierung der Finanzmärkte. Wie schaut denn da die Bilanz unserer Bundesregierung aus?
Ja, Trump hat das Pariser Klimaschutzabkommen gekündigt und hat damit nicht nur einen Affront bezogen auf ein internationales Abkommen begangen, sondern hat auch – wenn man sich vor Augen führt, welche Bedeutung die Klimakrise für unsere eigenen Lebensgrundlagen hat – ein Verbrechen an der Zukunft aller Menschen auf diesem Planeten begangen.
Aber mit welcher Bilanz beim Klimaschutz treten Sie, tritt diese Bundesregierung denn Trump gegenüber? Sie haben auf großen Konferenzen schon viele schöne Worte verloren. Aber Sie sind jetzt seit zwölf Jahren Bundeskanzlerin, Sie führen seit zwölf Jahren die Regierung, und da kann man sich einmal die Bilanz anschauen; denn nach zwölf Jahren gibt es eine Verantwortung für das Handeln. Welches Land verbrennt am meisten Braunkohle und nutzt damit die schmutzigste, klimaschädlichste Art, Strom herzustellen? Ist es China? Ist es Indien? Sind es die USA? Nein, die Bundesrepublik Deutschland ist das Land, das weltweit am meisten Braunkohle verstromt, und Sie haben daran nichts geändert.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bernd Westphal [SPD]: Das ist Unsinn! Großer Unsinn!)
Sie haben davon gesprochen, das Entscheidende sei, dass man den Klimaschutz will. Nein, Frau Merkel, das langt für die Beseitigung eines echten Problems nicht. Das Entscheidende beim Klimaschutz ist, dass man handelt und Erfolge erzielt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dafür gibt es eine ganz einfache, klare Zahl, und das ist der CO 2 -Ausstoß der Bundesrepublik Deutschland. Schauen wir uns diese Zahl an: Sie ist zwischen 2009 und 2016, in all diesen Jahren Ihrer Regierung, nicht gesunken. Deshalb: Sie reden vom Klimaschutz, aber Sie handeln nicht beim Klimaschutz.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wissen Sie, Frau Merkel, den schmelzenden Polkappen ist es egal, ob Trump die Klimakrise leugnet und nichts dagegen tut oder ob Sie viel über die Klimakrise reden und dann auch nichts dagegen tun.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie haben davon gesprochen, dass es darauf ankommt, seine Hausaufgaben zu machen. Da frage ich mich manchmal: Ja, wann fangen Sie denn an, die Hausaufgaben zu machen? Was haben Sie denn in den letzten vier Jahren gemacht? Sie haben den Kohleausstieg nicht gemacht. Sie haben nichts bei der Agrarpolitik gemacht. Sie haben einen Verkehrsminister, der mit „unverantwortlich“ noch nett beschrieben ist, der vor allem die Dieselkrise vertuscht hat, anstatt die Verkehrswende einzuleiten. Und Sie haben den Ausbau der erneuerbaren Energien mit zehn Deckeln versehen – nicht mit einem Deckel, nicht mit zwei Deckeln, sondern mit zehn Deckeln. Ja, schaut es so aus, wenn man die Hausaufgaben beim Klimaschutz macht? Merken Sie denn nicht selbst, dass Ihr Reden und das Handeln Ihrer Bundesregierung, der Mehrheit dieses Hauses, hier diametral auseinanderfallen?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE])
Ist Ihnen das nicht selbst peinlich?
Und war die SPD da völlig unbeteiligt? Stellt sie in dieser Bundesregierung gar keinen Minister? Stellt sie nicht den Wirtschaftsminister? Auch Sie von der SPD müssen Ihren Teil der Verantwortung übernehmen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nehmen wir das Beispiel des Handels. Sie haben davon gesprochen, dass Protektionismus keine gute Alternative zum freien Handel ist. Sie haben recht: Protektionismus ist nicht gut. Aber glauben Sie wirklich, dass Geheimabkommen, private Schiedsgerichte, Privatisierung der Daseinsvorsorge, dementsprechend das Aufgeben des Vorsorgeprinzips, also all das, was wir bei CETA und TTIP gesehen haben, eine gute Alternative zum Trump’schen Protektionismus ist? Wären nicht eher Handelsregelungen, die auf ökologische und soziale Standards setzen, eine gute Alternative?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Glauben Sie wirklich, Ihr Vorgehen wäre noch vorbildhaft? Glauben Sie wirklich, dass die Menschen in Deutschland davon begeistert sind? Nein, sie werden dagegen protestieren. Man versteht überhaupt nicht, warum Sie aus den Auseinandersetzungen um TTIP und CETA nichts gelernt haben.
Und wissen Sie, was mich wirklich erschüttert? Sie sprechen davon, dass Sie sich beim Klimaschutz nicht von Trump abhalten lassen, geschweige denn, dass Sie hier etwas gemacht hätten. Aber Sie hören nicht auf, dieser US-Regierung hinterherzulaufen und davon zu reden, mit uns doch bitte, bitte ein Freihandelsabkommen abzuschließen. Ich erwarte von Ihnen, Frau Merkel, aus Gründen der Glaubwürdigkeit beim Klimaschutz und auch aus Gründen der Würde, dass Sie aufhören, der US-Regierung hinterherzulaufen und um ein Freihandelsabkommen zu betteln, solange die nicht bedingungslos in den Vertrag von Paris zurückgekehrt sind. Das erwarte ich einfach von Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Man könnte auch noch einiges zu den Fluchtursachen und zur Finanzkrise sagen. Die Fluchtursachen haben auch etwas mit unserem eigenen Handeln zu tun, mit unseren Agrarexporten, mit der Fischereipolitik der Europäischen Union. Auch da würde ich erwarten, dass man endlich einmal vor der eigenen Haustür kehrt.
Deshalb, Frau Merkel: Wer bei einem G-20-Gipfel wirklich führen will, der muss vorangehen. Ich erwarte von Ihnen und Ihrer Bundesregierung, dass Sie endlich die Hausaufgaben, von denen Sie gesprochen haben, machen und vor der eigenen Tür kehren. Ich wünsche mir, dass die Bürger das klar erkennen
(Maik Beermann [CDU/CSU]: Das tun sie ja!)
und sich im Herbst dieses Jahres eine andere Bundesregierung wählen. Sie hatten zwölf Jahre Zeit, und am Ende gilt: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen. – An diesen Taten erkennt man Sie. Deshalb: Handeln Sie endlich! Sie haben noch wenige Wochen Zeit. Dann wird hoffentlich Bilanz gezogen.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7124947 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 243 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung: Europäischer Rat und G20-Gipfel |