29.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 243 / Tagesordnungspunkt 9 + ZP 1-3

Michael Roth - Abrüstungspolitik

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mich sehr gern den guten Wünschen für Herrn Hochbaum und für dich, lieber Wolfgang Gehrcke, anschließen. Auch dein heutiger Beitrag hat gezeigt, dass wir nur in seltenen Fällen übereinstimmen, aber wir haben das immer in großem Respekt ausgetragen. Ich finde, es zeichnet unsere Außenpolitikerinnen und Außenpolitiker in hohem Maße aus, dass sie immer wieder bereit sind, eine vorbildliche Streitkultur zu pflegen. Für manchen Rat – du wirst dich erinnern – möchte ich dir heute noch einmal danken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Ich bin auch froh, dass du an einen Punkt erinnert hast, der uns alle hier im Saal eint. Wir haben in einem Punkt die richtigen Lehren aus der Geschichte gezogen, aus Faschismus, aus Holocaust, aus furchtbaren Kriegen, die wir zu verantworten haben: Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes erwarten von uns allen hier im Bundestag und von der Bundesregierung ein besonders hohes Maß an Einsatz für Frieden, Versöhnung und Verständigung. Darauf bin ich sehr stolz, auch wenn es mir in den vergangenen Jahren durchaus nicht immer ganz leicht gefallen ist, schwierige und komplexe Sachverhalte zu erläutern. Sie haben einen aus meiner Sicht ganz wichtigen Punkt angesprochen, Frau Brugger, auf den ich gleich zu sprechen komme, nämlich die Initiative aus der internationalen Gemeinschaft, sich für ein weltweites Verbot von Atomwaffen einzusetzen.

Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen: Der Einsatz für den Frieden ist das eine, aber die Verpflichtung der Demokratien, sich wehrhaft zu zeigen, ist das andere. Die Entwicklung in den vergangenen Jahren war alles in allem mehr als besorgniserregend. Der Einsatz für Abrüstung ist seit dem Fall der Mauer, seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes und seit der Wiedervereinigung Deutschlands und Europas vermutlich noch nie so mühsam und so beschwerlich gewesen wie derzeit.

Die Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verschlechtert, und zwar nicht nur durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, nicht nur durch die militärischen Auseinandersetzungen im Osten der Ukraine. Wenn ich mir die viel zu vielen bewaffneten Konflikte in unserer europäischen Nachbarschaft vor Augen führe – nicht zuletzt den Krieg in Syrien –, denen Tausende von Menschen zum Opfer fallen, dann kann ich nur sagen: Die in Jahrzehnten gewachsene Abrüstungs- und Rüstungskontrollarchitektur steht unter einem massiven Druck. Dem müssen wir uns entschieden stellen.

(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann tun Sie es auch!)

Deshalb habe ich im Gegensatz zu Ihnen eine ganze Reihe von Punkten zu benennen, wo wir uns als Bundesregierung engagiert und in besonderem Maße verpflichtet haben. Ich erinnere daran, dass wir Mitte 2016 eine neue Initiative für einen umfassenden Neustart der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa ins Leben gerufen haben. Diese Initiative ist auf große Unterstützung in der Europäischen Union gestoßen. Wir haben während des deutschen OSZE-Vorsitzes 2016 im Konsens einen Dialog vereinbart: Wir wollen uns zunächst den grundsätzlichen Bewährungsproben für unsere gemeinsame Sicherheit in Europa zuwenden. Darauf wollen wir dann aufbauen, um Grundlagen für die so schwierigen Fragen der Rüstungskontrolle zu schaffen. Ja, das ist noch nicht genug, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Nun komme ich noch einmal zu der Initiative, die Frau Brugger eben schon genannt hat. Ich habe selbst – das muss im April 2015 gewesen sein – in New York an der Konferenz der Vereinten Nationen zur Nichtverbreitung von Atomwaffen teilgenommen. Es ging um die Weiterentwicklung des Nichtverbreitungsvertrages NVV. Leider ist es uns am Ende dieser sehr langen und auch sehr kontrovers ausgetragenen Konferenz nicht gelungen, ein ambitioniertes Abschlussdokument zu unterzeichnen. Das ist unbefriedigend.

Ja, Frau Brugger, da mag es manchmal einfacher fallen – das ist richtig –, sich mit Gleichgesinnten zusammenzusetzen und sich über die Zustände dieser Welt zu empören. Ich werbe aber dafür, gerade bei der Debatte über eine Welt ohne Atomwaffen die Länder an den Tisch zu holen, in deren Besitz diese furchtbaren Waffen sind. Nur so lassen sich überhaupt Fortschritte erzielen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, beharrliche Diplomatie kann sich am Ende auch auszahlen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich will deshalb an die Verhandlungen mit dem Iran erinnern. Nach mehr als zehn Jahren schwieriger Verhandlungen haben wir es gemeinsam mit der Europäischen Union, mit den USA, mit Russland, mit China, mit Frankreich und mit Großbritannien erreichen können, Iran den Weg zur Atombombe dauerhaft und nachprüfbar zu verschließen. Kürzlich hat die Internationale Atom­energie-Organisation nochmals bestätigt: Iran hält seine nukleartechnischen Verpflichtungen aus der Wiener Vereinbarung bislang ein. Ja, wir arbeiten am Ziel einer Welt ohne Atomwaffen. Daher müssen wir uns auch unter schwierigen Umständen – auch gerade jetzt angesichts der vielen aktuellen Konflikte und Krisen – für neues Vertrauen, für neue Initiativen und für neuen Mut bei der Abrüstung einsetzen.

Es gab ja durchaus auch Fortschritte: Die nuklearen Arsenale aus der Zeit des Kalten Krieges sind seit den späten 1980er-Jahren um fast 90 Prozent reduziert worden. Aber um unser Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt zu erreichen, müssen in erster Linie die Nuklearwaffenstaaten bereit sein, diesen Weg mitzugehen. Hier brauchen wir mehr Entschlossenheit: mehr Entschlossenheit in Russland, mehr Entschlossenheit in den Vereinigten Staaten, mehr Entschlossenheit in China, aber auch in Frankreich und in Großbritannien.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Da dies so schwierig ist, bleiben wir auch dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen verpflichtet. Das ist die Basis für alle unsere Bemühungen bei der Abrüstung im nuklearen Bereich. Wir sehen die große Gefahr, dass die Bedeutung des alles in allem erfolgreichen Vertrags mit seinen Instrumenten und Verbindlichkeiten durch ein Nuklearwaffenverbot gegebenenfalls relativiert werden könnte. Denn seit dem Inkrafttreten dieses Vertrags 1968 ist es uns gelungen, zahlreiche Staaten davon abzuhalten, sich nuklear zu bewaffnen. Einige haben wir sogar davon überzeugt, Nuklearwaffen abzubauen.

Nun will ich noch zu weiteren Gravamina kommen.

Nordkoreas Atom- und Raketenprogramm wird immer mehr zu einer Bedrohung für den Weltfrieden. Nordkorea ist der einzige Staat, der im 21. Jahrhundert Atomtests durchführt – allein zwei in den vergangenen Monaten. In dieser brandgefährlichen Lage muss das vom VN-Sicherheitsrat und der EU beschlossene harte Sanktionsregime konsequent umgesetzt werden.

Völlig inakzeptabel, ja barbarisch ist der wiederholte und fortdauernde Einsatz chemischer Waffen in Syrien und im Irak. Diesem widerlichen Tabubruch müssen wir entschieden begegnen, mit klaren Konsequenzen für die Verantwortlichen. Auch deshalb unterstützen wir die Untersuchungsgremien der Vereinten Nationen und der OVCW mit Personal, aber auch mit Geld.

Zu den größten Gefahren für den Weltfrieden gehört es, dass Massenvernichtungswaffen in die Hände von Terroristen gelangen könnten. In diesem Zusammenhang will ich auf eine unserer Initiativen hinweisen: Wir haben uns im Falle Libyens im vergangenen Jahr an einer internationalen Operation beteiligt, die Restbestände an chemischen Substanzen aus dem libyschen Chemiewaffenprogramm außer Landes brachte, um sie damit dem Zugriff der Terrororganisation IS zu entziehen.

Ich will außerdem darauf hinweisen – auch das ist schon angesprochen worden –, dass in Konflikten, etwa in Syrien und im Jemen, nach wie vor Streumunition eingesetzt wird. Das ist ganz furchtbar. Wir müssen endlich diese Waffenart weltweit ächten und verbieten. Auch hier strengen wir uns besonders an, liebe Frau Brugger, und haben deshalb im September vergangenen Jahres für ein Jahr den Vorsitz der Streumunitionskonvention übernommen.

Ebenso brauchen wir auch bei den sogenannten letalen autonomen Waffensystemen – wir sprechen ja oft über Drohnen – eine Regelung. Wenn Entscheidungen über Leben und Tod ohne menschliche Einflussnahme von Algorithmen getroffen würden, so würde das ganz schwierige ethische, völkerrechtliche und politische Fragen aufwerfen. Insofern bin ich auch ein bisschen stolz darauf, dass es uns unter deutscher Verhandlungsführung gelungen ist, sich auf ein Mandat für eine Gruppe von Regierungsexperten zu verständigen, die möglichst rasch klären sollen, wie wir im Rahmen des VN-Waffenübereinkommens zu verlässlichen und verbindlichen Regeln kommen.

Ihnen allen in allen Fraktionen möchte ich dabei für Ihren couragierten Einsatz und auch für Ihre Kritik danken. Wir im Auswärtigen Amt würden unsere Arbeit für mehr Frieden und Abrüstung gerne fortsetzen. Dafür sind noch ein paar Bedingungen zu erfüllen. Helfen Sie uns dabei.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Als nächster Redner hat Ingo Gädechens für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7124982
Wahlperiode 18
Sitzung 243
Tagesordnungspunkt Abrüstungspolitik
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta