Maria Klein-SchmeinkDIE GRÜNEN - Bürgerversicherung, Absicherung von Selbständigen
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stellen Ihnen heute unser Konzept der Bürgerversicherung erstens vor und zweitens auch zur Abstimmung. Damit wollen wir einen Beitrag dafür leisten, dass wir Solidarität und Verlässlichkeit, Qualität und Wahlfreiheit in unserem Gesundheitswesen stärken können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir geben damit eine Antwort auf die Herausforderungen unseres Gesundheitswesens, nämlich zum einen die Versorgung für alle in der gewohnten und geforderten Qualität zugänglich zu halten und zum anderen insgesamt die Beiträge für unser Krankenversicherungssystem bezahlbar zu halten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dieser Spagat kann nur gelingen, wenn wir uns darum bemühen und heute die Grundlagen dafür schaffen, dass wir eine stabile und nachhaltige Finanzierung auch in Zukunft haben, weil wir wissen, dass enorme Herausforderungen durch den demografischen Wandel und auch durch die medizinische Entwicklung vor uns stehen. Da müssen wir heute handeln. Wir können nicht darauf bauen – dieser Gedanke tauchte gestern in der Diskussion auf –, dass durch die Zusatzbeiträge eine komfortable Situation sowie gute Rücklagen geschaffen wurden, mit denen wir die Aufgaben schon stemmen können. – Nein, so gelingt das nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir sehen auch sehr deutlich, dass das System der Zusatzbeiträge, das Sie sich ausgedacht haben, erstens ungerecht ist und zweitens auch auf Dauer nicht trägt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Edgar Franke [SPD])
– Ich sehe schon: Der Kollege von der SPD klatscht und stimmt mir zu.
Über die Zusatzbeiträge haben wir die enormen Lasten, die jährlich neu im Gesundheitswesen entstehen, auf die Versicherten allein verschoben. Das ist nicht gerecht, und das trägt auf Dauer nicht. Deshalb müssen wir aus dieser Sackgasse heraus, hin zu einer gerechten Finanzierung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wenn wir zu einer gerechten Finanzierung kommen wollen, dann bedarf es keines großen Kunstgriffs; denn unser heutiges solidarisches System beruht auf der Solidarität der Sozialversicherten und insbesondere der gesetzlich Krankenversicherten. Damit sind 90 Prozent unserer Bevölkerung in ein Solidarsystem einbezogen. Das ermöglicht die Sicherstellung einer guten Versorgung in Deutschland, unabhängig davon, wie viel Geld der Betreffende hat und in welcher Lebenslage er ist. Das ist eine wesentliche Errungenschaft unseres Sozialsystems und eine der tragenden Säulen dessen, was wir unter sozialer Sicherung verstehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb ist es wichtig, dass wir nun auch die 10 Prozent – viele davon mit hohen Einkommen – einbeziehen, die derzeit nicht zum Erhalt des Solidarprinzips und zu einer verlässlichen Finanzierungsbasis beitragen. Diesen Schritt gilt es endlich zu gehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das ist nicht nur eine Gerechtigkeitsfrage. Vielmehr geht es auch darum, dass wir wesentliche Fehlentwicklungen in der Versorgung, die sich aus dem doppelten System, dem Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenversicherung ergeben, in den Griff bekommen.
Ich möchte ein Beispiel nennen, das viele leidgeprüfte gesetzlich Versicherte kennen. Ich rufe in einer Praxis an, frage nach einem Facharzttermin und erhalte ihn erst in sechs oder acht Wochen – manchmal dauert es noch länger –, während der Privatversicherte beim gleichen Arzt innerhalb von fünf Tagen einen Termin erhält. Das ist Zweiklassenmedizin; das können wir nicht zulassen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Das stellt in Zukunft auch die Versorgung insgesamt infrage. Studien zeigen deutlich: Ärzte lassen sich dort nieder, wo es viele Privatversicherte gibt und wo sie höhere Honorare erzielen können. Das ist kein Beitrag zu einer zukunftsfesten Versorgung. Auch deshalb müssen wir zu einem integrierten Versicherungssystem kommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Bei einem integrierten Versicherungssystem handelt es sich keineswegs, wie Sie es uns unterstellen, um eine Einheitsversicherung. Im Gegenteil: Erstmalig werden wir den Wettbewerb befördern, den es sowieso in der gesetzlichen Krankenversicherung gibt; es gibt über 100 Krankenversicherungen. Ich kann als gesetzlich Versicherter und als freiwillig versicherte Abgeordnete wählen, in welche gesetzliche Krankenversicherung ich gehe; das ist sehr schnell möglich. In der privaten Krankenversicherung ist das nicht möglich. Wenn ich einen alten Vertrag habe, dann bin ich – rational betrachtet – an meine private Krankenversicherung gebunden und kann nicht wechseln, selbst wenn ich mit ihren Dienstleistungen in keiner Weise zufrieden bin. Auch das muss man verändern. Wir müssen zu echter Wahlfreiheit kommen. Genau das könnten wir erreichen, indem wir jede Personengruppe und jede Einkommensart in das System der solidarischen Bürgerversicherung einbeziehen. Alle Einkunftsarten werden verbeitragt. Auch die privaten Krankenversicherungen sollen die Bürgerversicherung anbieten können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren von der Union, hören Sie genau hin und schauen Sie unseren Antrag an, damit Sie nicht ständig mit der alten Leier von der Einheitsversicherung kommen! Das wird unserem Konzept in keiner Weise gerecht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Welche Antwort wollen Sie all den vielen Rentnern und Rentnerinnen geben, die heute durch private Prämien für die Krankenversicherung über Gebühr belastet werden? Welche Antwort wollen Sie den vielen kleinen Selbstständigen auf die Frage nach deren sozialen Sicherung geben? Da haben Sie ganz große Lücken und keine Antwort.
Mit der Bürgerversicherung liefern wir eine Antwort. Das ist machbar. Es bedarf vieler Schritte; das ist ganz klar. Mit dem ersten Schritt, der Wiederherstellung der paritätischen Finanzierung, würden wir vorangehen. Als Nächstes würden wir die Selbstständigen in die gesetzliche Krankenversicherung einbeziehen sowie ihnen bezahlbare Tarife und eine gute Mindestbemessungsgrenze anbieten. Wir würden den Beamten einen Tarif anbieten, damit auch sie in der gesetzlichen Krankenversicherung Mitglied werden können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Gleichzeitig könnten wir alle Zuzahlungen abschaffen. Das ist ein klares Angebot für eine stabile und verlässliche Finanzierung und eine gute Versorgung.
Danke schön.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Thomas Stritzl das Wort.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7125431 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 243 |
Tagesordnungspunkt | Bürgerversicherung, Absicherung von Selbständigen |