Thomas StritzlCDU/CSU - Bürgerversicherung, Absicherung von Selbständigen
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12951 ist kaum mehr als alter Wein in neuen Schläuchen. Unter dem Schalmeienklang „Allen Wohl, keinem Wehe“ soll die Axt an eines der erfolgreichsten und leistungsstärksten Gesundheitssysteme dieser Welt angelegt werden.
(Maria Michalk [CDU/CSU]: So ist es! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Quatsch!)
Da zufällig gerade Wahlkampfzeiten sind, war beim Verfassen des Antrags der Grünen, der das Ziel der Zerschlagung des erfolgreichsten Gesundheitssystems der Welt verfolgt, leider keine Zeit, die schädlichen Nebenwirkungen der grünen Anti-PKV-Pille zu berücksichtigen.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn da eine Nebenwirkung?)
Diese wären erheblich.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die PKV ist eingeladen, die Bürgerversicherung anzubieten!)
Der Antrag, der in seinem Wording auf die Ausstrahlung sogenannter sozialer Wärme abzielt, verliert nicht eine Silbe an die Adresse der Direktverlierer des grünen Vorhabens: die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Versicherungsbranche.
Wenn man der Hans-Böckler-Stiftung folgt – eine Studie dort haben nicht wir beauftragt; es ist nicht unser Institut; es ist eher auf der linken Seite des Hauses beheimatet –, drohen 51 000 nicht kompensierbare Arbeitsplatzverluste in der Privatversicherungsbranche – 51 000! Kein Wort von Ihnen dazu.
(Maria Michalk [CDU/CSU]: So ist das! – Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Die können doch in andere Versicherungen gehen!)
Ich finde das bemerkenswert. Auch kein einziges Wort dazu, dass rund 300 000 Arbeitsplätze in den Bereichen, die an die Versicherungsbranche angrenzen, gefährdet sind – keinen Ton!
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Digitalisierung wird sehr viel verändern, auch in der PKV!)
Ich finde es schon erstaunlich, wenn Sie von Zweiklassenmedizin reden. Sie haben offensichtlich ein Zweiklassenverständnis, wenn es um Arbeitsplätze geht. Als es um die 15 000 Arbeitsplätze bei Tengelmann ging, konnte Gabriel laut OLG Düsseldorf das Wirtschaftsrecht unter Ihrem Beifall mit biegen. Wenn es um 51 000 Arbeitsplätze in der privaten Versicherungsbranche geht, dann erwähnen Sie es nicht nur nicht einmal, sondern Sie betreiben sogar direkt deren Verlust und fühlen sich dabei auch noch gut. Das müssen Sie vor sich selbst rechtfertigen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben wirklich nicht zugehört!)
Die Koalition habe durch ihre Politik in dieser Legislaturperiode, so darf ich Ihren Antrag zitieren, im Gesundheitssektor erhebliche Kostensteigerungen ausgelöst und durch die Existenz der Zusatzbeiträge die soziale Spaltung verschärft.
Kollege Stritzl, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Klein-Schmeink.
Aber jederzeit doch.
Ich danke für die Gelegenheit, Ihnen eine Frage zu stellen.
Gerne.
Haben Sie unserem Konzept entnommen, dass auch die private Krankenversicherung eingeladen ist, die Bürgerversicherung anzubieten? Dann würde sie nicht nur Behandlungen abrechnen und Risiken berechnen, sondern sie könnte mit dafür sorgen, dass Versorgung vor Ort gestaltet wird.
Das tut sie im Übrigen in kleinen Anteilen sogar schon jetzt im Bereich der Pflegeversicherung; sie übt sich in diesem Feld schon. Man kann deutlich sehen: Das hat Zukunft; das ist in Zukunft gefragt. – Hingegen wird die Digitalisierung viele der anderen Aufgaben, die heute in der privaten Krankenversicherung anfallen, sowieso digital ersetzen. Da wird man insgesamt einen Wandel im Bereich der Arbeitsfelder erleben. Von daher bieten wir gerade der privaten Krankenversicherung eine ganz konkrete Perspektive.
Man hat im Übrigen sehen können, dass so etwas Ähnliches in den Niederlanden vonstattengegangen ist und durchaus geklappt hat.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich bedanke mich für den Hinweis, Frau Klein-Schmeink, dass wir einig sind: Auch Sie gestehen jetzt zu, dass durch die Umsetzung Ihres Antrages Arbeitsplätze bei der PKV in erheblichem Umfang abgebaut würden. Das ist ja genau das, was ich befürchtet habe.
(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für eine schlechte Antwort! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie denn schwerhörig?)
Dass Sie das auch einmal zugeben, finde ich gut.
(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
– Sie sagen dazu ja nichts in Ihrem Antrag; das ist entscheidend. Sie verlieren dazu in Ihrem Antrag überhaupt kein Wort. Ich finde, darauf sollte man hinweisen. Wenn wir darüber jetzt Einigkeit gefunden haben, ist das sehr schön.
(Beifall der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU] – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
– Sie wollen doch mit Ihrem Antrag, gnädige Frau, die Bürgerversicherung einführen. Dafür müssen Sie die PKV abschaffen. Das ist das, was Sie wollen. Sie wollen es nur nicht mehr so deutlich sagen. Sie wollen das Geschäftsmodell der PKV mittelfristig zerstören,
(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)
aber Sie wollen es jetzt im Wahlkampf nicht so deutlich sagen.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben den Antrag überhaupt nicht gelesen!)
Sie wollen gern durch die Hintertür ins Haus. Glauben Sie nicht, dass wir Sie damit durchkommen lassen.
Ich komme noch einmal zu dem Zitat zurück. Sie schreiben, wir hätten die Gesundheitskosten erheblich gesteigert und die soziale Spaltung verschärft. Richtig ist, dass die Koalition unter Leitung von Gesundheitsminister Gröhe in dem Bereich enorm viel geleistet hat. Er hat wirklich viel geleistet. Die Qualität in unserem Gesundheitswesen ist gestiegen. Dies mögen Sie jetzt kritisieren, aber als es hier um die konkreten Maßnahmen im Einzelnen ging, war es gerade Ihnen immer nicht genug, durfte es immer noch ein bisschen mehr sein.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, mit mehr Solidarität können wir mehr gute Leistungen bezahlen!)
Kollege Stritzl, ich habe die Uhr angehalten und frage Sie, ob Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Scharfenberg zulassen.
Jawohl, auch das.
(Dr. Edgar Franke [SPD]: Sie wollen nur die Redezeit verlängern!)
– Genau.
Diese Redezeit verlängere ich gern.
Bitte, Frau Scharfenberg.
Es spricht für sich, was wir hier hören. – Ihre Antwort hat mich nicht wirklich zufriedengestellt; denn die Frage, die meine Kollegin formuliert hat, wurde de facto nicht beantwortet.
Sie haben darauf bestanden, dass mit unserem Antrag quasi Arbeitsplätze beseitigt würden und dass wir die private Krankenversicherung eliminieren wollen. Mich würde interessieren, an welcher Stelle Sie das gelesen haben, wenn Sie unseren Antrag gelesen haben. Das würde ich gern wissen; denn die Kollegin hat sehr eindeutig gesagt, dass wir die private Krankenversicherung einladen, sich an diesem Modell zu beteiligen, dass wir ihr in Zeiten der Digitalisierung im Grunde genommen neue Geschäftsmodelle bieten, dass wir also anbieten, sich am Gesundheitswesen ganz aktiv zu beteiligen.
(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das tut sie ja schon!)
Mich würde jetzt also interessieren, wo genau Sie das gelesen haben, dass wir die private Krankenversicherung eliminieren wollen. Ich fordere Sie auch herzlich auf, die Frage meiner Kollegin zu beantworten.
Wenn ich Ihnen mit Herrn Montgomery, dem Präsidenten der Bundesärztekammer, antworten darf.
(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den habe ich nicht gefragt! Ich habe Sie gefragt! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der schreibt Ihnen vielleicht die Anträge, uns nicht!)
Zu dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab, EBM, den Sie einführen wollen, sagt er:
Das ist die Einführung der Bürgerversicherung, die Abschaffung der PKV durch die Hintertür.
(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es geht doch um unseren Antrag, nicht um Herrn Montgomery! Es geht um den Grünenantrag!)
Auf Berlinerisch würde man sagen: „Nachtigall, ick hör dir trapsen.“
Genau das ist die Situation: Sie wollen den Einstieg in die Abschaffung der PKV.
(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht das?)
Wir wollen ihn nicht, weil wir zur Dualität des Systems stehen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Diese Dualität hat uns im Gesundheitssystem nach vorn gebracht und nicht zurückgeworfen. Diesen Fortschritt wollen wir sichern – für die Versicherten, für die Patienten. Deswegen wehren wir uns dagegen, dass Sie die Dualität aufheben wollen. Das ist der Sinn Ihres Antrags. Das können Sie ruhig sagen. Da sind wir in der Sache unterschiedlicher Meinung.
(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade, dass Sie den Antrag nicht gelesen haben!)
– Ich habe ihn nicht nur gelesen; ich habe ihn sogar verstanden.
(Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben wir aber Zweifel!)
Noch einmal zu der Frage: Wie steht es um die Finanzen der GKV? Sie sagen, dass alles das, was die Große Koalition beschlossen und eingeführt hat, nicht leistbar sei. Aber auch dazu sagen Sie nichts: 16,7 Milliarden Euro sind auf dem Rücklagenkonto der GKV.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, die gehören den Versicherten! Aus den Zusatzbeiträgen! Nur von den Versicherten!)
16,7 Milliarden Euro! Das nennen Sie soziale Spaltung. 1,4 Millionen Menschen mehr haben eine Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland. Das nennen Sie soziale Spaltung. Das Reallohnwachstum in der Zeit von 2014 bis 2016 betrug 6 Prozent – Tendenz steigend in 2017.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht jeder nimmt daran teil!)
Das nennen Sie soziale Spaltung. Offensichtlich steuern die Interessen Ihre Wahrnehmung, aber die Realität ist eine andere.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Besser wird es auch nicht mit Ihrem Vorhalt der sogenannten Zweiklassenmedizin. Sie wissen ganz genau, dass bei der Versorgung mit medizinisch notwendigen Leistungen eine Zweiklassenmedizin in Deutschland nicht existiert.
(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die existiert! Als GKV-Versicherte weiß ich das!)
Was die Wartezeitenargumentation angeht: Wir als Große Koalition
(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Wo sind denn Sie versichert?)
– melden Sie sich; Sie haben einen Finger – haben das Angebot der Terminservicestellen eingerichtet. Es wird kaum in Anspruch genommen. Auch das darf man einmal erwähnen. – Punkt eins.
(Maria Michalk [CDU/CSU]: So ist das!)
Punkt zwei. Wenn Sie sich in der Statistik die europäischen Vergleichsdaten anschauen, dann sehen Sie, dass das duale System die kürzesten Wartezeiten hat
(Beifall bei der CDU/CSU)
und dass die Einheitssysteme, die Sie anstreben, schlechter sind, als Sie uns hier vorspiegeln. Auch dieser Weg von Ihnen ist also kein Weg nach vorn, sondern ein Weg zurück.
Die grüne Quadratur des Kreises – das als weitere Bemerkung –: Sie wollen gern mehr Versicherte im GKV-System. Sie verschweigen, dass es dann auch mehr beitragsfrei Mitversicherte, Familienmitglieder, gäbe.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch gut! Das ist Familienförderung!)
Sie wollen mehr Leistungen für alle und gleichzeitig mehr Beitragsstabilität.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)
Das Versprechen können Sie nur halten, wenn Sie das Leistungsniveau absenken.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)
Das ist genau der Punkt, den die Vorsitzende der GKV schon heute nennt: Gäbe es die Dualität, den Wettbewerb mit der privaten Krankenversicherung nicht, wäre das Leistungsniveau in der GKV heute wahrscheinlich schon niedriger. – Genau das wollen wir nicht.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Mythos, den Sie immer nur erzählen!)
Wir wollen ein möglichst hohes Leistungsniveau für die Versicherten, für die Patientinnen und Patienten; dabei lassen wir nicht locker.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Eine weitere Fehlannahme Ihrerseits ist, dass die PKV die Versicherung der Reichen ist. Auch das stimmt nicht.
(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit kommen Sie nicht über den Wahlkampf!)
20 Prozent der Versicherten in der PKV liegen oberhalb der Jahresbemessungsgrenze. Insofern ist auch das kein haltbares Argument.
Herr Kollege, jetzt müssen Sie aber bitte auf die Zeit achten. Wir hatten vorhin die Uhr angehalten, sodass Ihnen die Kollegen schon die Verdoppelung Ihrer Redezeit ermöglicht haben.
Gut. – Lassen Sie mich ein Letztes sagen: Ebenfalls sind wir nicht für die Einführung eines „grünen Solis“. Sie wollen in Zukunft sowohl Arbeitseinkommen als auch Mieteinkommen und Dividenden nicht nur versteuern – das machen wir heute schon –,
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Freibeträgen!)
sondern sie zusätzlich auch verbeitragen.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum soll nur ein abhängig Beschäftigter bezahlen?)
Damit machen Sie diese Form der Kapitaldeckung für die Menschen – auch in Form der Altersvorsorge für die jungen Leute – immer unattraktiver, anstatt gemeinsam einen Weg zu suchen, wie wir junge Leute im System halten können, wie wir Altersvorsorge bei einer sich wandelnden Demografie weiter festigen können.
Sie können gern weiterreden, Herr Kollege, aber dann komme ich in Verhandlungen mit Ihren Kollegen aus der Fraktion in Bezug auf die Anrechnung der Redezeit.
(Maria Michalk [CDU/CSU]: Er ist schon fertig!)
Okay. – Im Ergebnis ist Ihr Weg kein Weg in die Zukunft, sondern ein Weg in die Vergangenheit. Wir bleiben bei unserem leistungsfähigen System.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU macht im Wahlkampf einfach immer ein bisschen länger!)
Das Wort hat die Kollegin Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7125434 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 243 |
Tagesordnungspunkt | Bürgerversicherung, Absicherung von Selbständigen |