29.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 243 / Tagesordnungspunkt 22

Michael BrandCDU/CSU - Aufarbeitung der Verbrechen in der Colonia Dignidad

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Alle Kinder mussten da so schlafen, durften nur auf dem Rücken liegen, die Hände daneben, nackt. Das Gesicht wurde von diesen Wachleuten zugedeckt, und es wurde uns nasse Watte in die Ohren gesteckt. Und dann nachts wurdest du dann mit Strom aus dem Schlaf gerissen. Das waren immer so Elektrogeräte, die haben die immer in die Genitalien reingehalten.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das berichtete einer der rund 300 Menschen, die in der streng abgeriegelten Siedlung leben mussten, versklavt, gefoltert, viele von ihnen sexuell missbraucht von diesem ekelhaften Sadisten Paul Schäfer und seiner Verbrecherclique.

Man hat mir Spritzen, Tabletten gegeben. Und dann warst du nur – ich weiß gar nicht, wie ich das erklären soll – benebelt. Ich wusste, ich bin gar nicht mehr ich.

So erinnert sich eine Frau an die Misshandlungen im Krankenhaus.

Es fällt mir schwer, heute darüber zu sprechen, auch das auszusprechen. Ich habe mit Anfang 20 in Bosnien in Massengräber geblickt, habe mich dort im Land in einer Menschenrechtsorganisation engagiert, vor allem auch für die überlebenden Frauen aus Srebrenica. Wir haben dokumentiert, was damals passiert ist. Ich sage das deswegen, weil es mir so geht wie Renate Künast, als ich dann vor den Opfern und Überlebenden der Colonia hier gesessen habe. Es sind damals in Bosnien viele Tränen geflossen. Es waren auch Unverständnis und Wut dabei über die Täter, über das Wegschauen von denen, die ganz sicher etwas hätten tun können. In der Zeit habe ich erfahren, vielleicht auch nur erahnt, was es heißt, mit einer Traumatisierung leben zu müssen. Als ich dann vor zwei Jahren als Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses Opfer zum Gespräch eingeladen habe, dachte ich, das Thema der sogenannten „Colonia Dignidad“ spiele sich in der Vergangenheit ab. Nein, ich bin eines Besseren belehrt worden. Ich muss zugeben: Ich war wirklich sprachlos, als ich im Kreise mit ihnen zusammengesessen habe. Es war entsetzlich, was berichtet worden ist.

Es bewegt mich, dass heute Überlebende aus der „würdelosen Kolonie“ bei uns sind. Es ist uns eine Ehre, dass Sie heute den Weg in den Deutschen Bundestag gefunden haben; denn Sie ehren das Hohe Haus mit Ihrem Besuch.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich möchte mich – das hört sich pathetisch an; aber es ist genau so gemeint, wie ich es sage – vor Ihnen verneigen. Ich möchte meinen tiefen Respekt dafür ausdrücken, dass Sie nicht gebrochen sind, dass Sie nicht verbittert sind. Sie haben meinen tiefen Respekt, dass Sie das alles ertragen haben und dass Sie heute dafür sorgen, dass erlittenes Unrecht nicht vergessen wird, dass Sie dafür kämpfen, dass den Opfern Gerechtigkeit widerfährt, dass die Vergangenheit aufgearbeitet wird und dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden.

Ja, es ist eine schreiende Ungerechtigkeit, die ich bei unserem Treffen wahrgenommen habe, dass eine 70-jährige Frau, die in dieser Kolonie ein Opfer war, ihr Leben lang Zwangsarbeit geleistet hat und heute eine Rente von 112 Euro erhält, während Täter wie der frühere Arzt Hopp, der heute in Krefeld lebt, mit allen Raffinessen ausgestattet, vermutlich über Finanzquellen aus dem damaligen Unrecht verfügen. Es ist ein hochkomplexes System, in dem Verbrecher versuchen, ihre Taten zu verschleiern und ihren Profit daraus zu ziehen. Deswegen braucht es endlich mehr Licht im Dunkeln. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Täter in Deutschland weitgehend unbehelligt leben und die Opfer in die Röhre schauen. Lange war Gras über die schlimmsten Verbrechen gewachsen, die Opfer auch weitgehend vergessen. Damit muss Schluss sein. Das sind wir als Deutscher Bundestag den Überlebenden schuldig.

(Beifall im ganzen Hause)

Chile trägt Verantwortung für die Verbrechen, die während der Zeit der Militärdiktatur begangen wurden, aber Deutschland trägt eine moralische und auch politische Mitverantwortung. Deutsche Diplomaten haben sich mitschuldig gemacht. Ignoranz bedeutet auch Schuld.

Den Opfern eine Stimme geben, konkrete Unterstützung für sie, Aufarbeitung der Verbrechen und eine bessere Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung auf der deutschen und auf der chilenischen Seite sind die wichtigsten Ziele dieses fraktionsübergreifenden Antrags. Ich möchte von Herzen allen danken, die mit Energie und Empathie dabei mitgeholfen haben. Ich danke Renate Künast, Christian Flisek, Stephan Harbarth, Volker Ullrich, Klaus Barthel und vielen mehr, die ihren Beitrag geleistet haben. Es war kein einfacher Weg bis hierher. Deswegen bin auch ich froh, dass wir über diese Frage doch noch, einen Tag bevor die letzte Sitzungswoche in dieser Wahlperiode endet, entscheiden können. Es ist aus meiner Sicht ein politisch starkes Signal, das wir mit diesem fraktionsübergreifenden Antrag setzen, versehen mit einer Frist, um die konkreten Maßnahmen der Bundesregierung einzufordern. Das Thema darf nicht auf die lange Bank geschoben werden. Die Überlebenden sind nicht mehr in jungen Jahren. Wer es jetzt auf die lange Bank schiebt, macht sich ein zweites Mal schuldig. Der erste Schritt wird heute getan. Aber helfen Sie bitte alle mit. Das ist schon die Ankündigung, eine Drohung, dass wir in den Monaten nach der Wahl dieses Thema aktiv begleiten werden. Wir wollen ein Ergebnis haben, und wir werden nicht ruhen, bis wir ein ordentliches konkretes Ergebnis haben. Auch das sind wir den Überlebenden schuldig.

Ich sage noch einmal: Es ist schön, dass Sie heute gekommen sind. Es ist für uns eine besondere Stunde und Ehre.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)

Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege Klaus Barthel für die SPD das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7125729
Wahlperiode 18
Sitzung 243
Tagesordnungspunkt Aufarbeitung der Verbrechen in der Colonia Dignidad
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