29.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 243 / Tagesordnungspunkt 27

Silke LaunertCDU/CSU - Freiheitsbeschränkende Maßnahmen gegenüber Kindern

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren!“ richte ich an die Mitarbeiter, die auch zu dieser späten Stunde noch ihren Dienst tun. Wir verabschieden heute den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehalts für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern. Mit dem Gesetz wollen wir also bestimmte freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern und Jugendlichen unter den Vorbehalt der Genehmigung des Familiengerichts stellen.

Bislang unterliegen in Deutschland nur Unterbringungen von Minderjährigen, die mit einem Freiheitsentzug verbunden sind, einer Genehmigung durch das Familiengericht, das heißt, wenn die Unterbringung in einer Einrichtung erfolgt und die Tür geschlossen bleibt. Für die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen anderer Art sieht das Gesetz dagegen derzeit keine gerichtliche Genehmigungspflicht vor. Hierüber entscheiden allein die Eltern im Rahmen ihrer elterlichen Sorge und in Absprache mit den jeweiligen Einrichtungen.

Freiheitsbeschränkende Maßnahmen – gemeint sind beispielsweise Fixierungen durch Gurt, Anbringen von Bettgittern, die Gabe sedierender Medikamente oder der Einschluss in sogenannte Time-out-Räume – sind für die Betroffenen aber meist eine nicht weniger einschneidende Maßnahme als eine geschlossene Stationstür. Sie sind ein schwerwiegender Grundrechtseingriff, und sie werden von vielen Kindern als tiefste Demütigung empfunden.

Bei volljährig Betreuten sieht das Betreuungsrecht – das wurde heute schon mehrfach angesprochen – deshalb bereits jetzt ein solches gerichtliches Genehmigungserfordernis vor, also auch für unterbringungsähnliche Maßnahmen. Ich freue mich, dass wir heute für einen Gleichlauf des Kinderschutzes mit dem Erwachsenenschutz sorgen. Künftig stellen wir auch die Anwendung freiheitsbeschränkender Maßnahmen in Einrichtungen bei Kindern und Jugendlichen unter diesen familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehalt.

Leider – auch das wurde heute schon mehrfach angesprochen – gibt es Fälle, in denen freiheitentziehende Maßnahmen in den Einrichtungen zu leichtfertig angewandt wurden. In jüngster Zeit sind einige Fälle von Einrichtungen bekannt geworden, in denen Kinder mit geistigen und seelischen Behinderungen regelmäßig Freiheitsbeschränkungen ausgesetzt wurden, obwohl mildere Maßnahmen möglich gewesen wären. Insbesondere Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Behindertenhilfe haben die Aufnahme von schwierigen Jugendlichen zum Teil davon abhängig gemacht, dass die Eltern zu Beginn unterschreiben, dass sie mit solchen freiheitsentziehenden Maßnahmen einverstanden sind.

Die Ursachen für die angesprochenen Missstände können vielfältig sein. Nicht selten genug geschieht die Anwendung einer freiheitsentziehenden Maßnahme in gut gemeinter pädagogischer Absicht oder auch aus Personalmangel, obwohl die Maßnahme im Einzelfall hätte vermieden werden können. Maßgeblich ist aber, dass es sich bei dem Einsatz freiheitsbeschränkender Maßnahmen jedes Mal um einen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen handelt.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Katrin Werner [DIE LINKE])

Da die Entscheidung für freiheitsentziehende Maßnahmen weitreichende Auswirkungen für die spätere Entwicklung des Kindes haben kann, sollten sie wirklich nur das allerletzte Mittel sein. Natürlich gibt es auch Situationen, in denen aus Gründen des Kindeswohls der Einsatz zwingend erforderlich ist. Ich war in solchen Einrichtungen als Betreuungsrichterin bei den gerade 18 Jahre alt gewordenen Kindern und habe viele solcher Situationen und Konstellationen auch live erlebt. Ein Sachverständiger hat gesagt: Wenn man ganz viel Personal und viel Geduld hat, dann kann man irgendwann alle Kinder beruhigen. – Das ist genau die Argumentation im Bezirkskrankenhaus. Die Realität in vielen Einrichtungen und in vielen Bezirkskrankenhäusern sieht einfach anders aus.

(Katrin Werner [DIE LINKE]: Nur weil das Personal fehlt, gibt es solche Maßnahmen! Das ist doch echt nicht wahr!)

– In wie vielen solcher Einrichtungen waren Sie schon? Wie viele solcher Entscheidungen haben sie schon getroffen? Mit wie vielen betroffenen Kindern haben Sie schon geredet? Sie reden immer nur vom Schreibtisch aus. Sie haben nie die Praxis erlebt. Es tut mir leid. Glauben Sie mir, es ist wirklich bitter. Was glauben Sie, wie schwer es als Richter ist? In diesem Fall waren es gerade 18-Jährige. Deshalb musste man als Betreuungsrichter da entscheiden. Zum Glück werden diese Entscheidungen nicht am Fließband getroffen. Daher sollten wir uns freuen, dass wir eine zusätzliche Maßnahme zum Schutz einrichten.

(Zurufe von der LINKEN)

– Wir führen jetzt doch keine Diskussion. Ich soll eine Rede halten, oder?

(Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Wir haben jetzt fast 1 Uhr. Wir müssen morgen alle wieder um 7.30 Uhr hier sein. Eine Zwischenfrage lasse ich jetzt nicht zu.

(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Lass dich nicht irritieren! Mach weiter!)

Aus meiner Sicht ist es folgerichtig, dass wir den Genehmigungsvorbehalt jetzt einführen und damit letztlich einen Gleichlauf mit dem Betreuungsrecht. Das hat zwei Vorteile. Es hat zum einen für die Eltern einen Vorteil. Für die Eltern ist es sehr schwierig, ihr Einverständnis zu erteilen. Oft sind sie selbst unsicher. Manche Eltern haben vielleicht auch gar kein großes Interesse und interessieren sich nicht so sehr für ihre Kinder, die sie in die Einrichtung geben. Auch das kann es geben. Umso wichtiger ist es, dass das Gericht bei derart demütigenden Maßnahmen dies noch einmal kontrolliert. Es wurde von meiner Kollegin schon angesprochen: Manchmal ist es auch besser für die Kinder, wenn nicht nur die Eltern oder die Einrichtung das festlegen, sondern wenn eine unabhängige dritte Person drübergeschaut hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich sehe, meine Redezeit ist zu Ende; ich will sie nicht länger überziehen. – Aus der Praxis im Betreuungsrecht weiß ich: Manchmal nervt die richterliche Kontrolle. Aber es gilt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! Eine disziplinierende Wirkung hat ein zusätzliches richterliches Genehmigungserfordernis auf alle Fälle. Und ich glaube, wenigstens in dem Ziel, so wenige solcher Eingriffe wie möglich zu haben, sind wir uns doch heute hier einig.

Gute Nacht.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7125757
Wahlperiode 18
Sitzung 243
Tagesordnungspunkt Freiheitsbeschränkende Maßnahmen gegenüber Kindern
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