Renate KünastDIE GRÜNEN - Netzwerkdurchsetzungsgesetz
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eins will ich vorausschicken: Wir stellen heute grundlegende Weichen für das digitale Zeitalter. Wir testen nicht einfach etwas aus; vielmehr gibt Deutschland weltweit ein Muster vor. Ich weiß, dass viele andere Staaten dieser Welt beobachten, wie Deutschland diesen Bereich regelt. Das macht mir und uns an dieser Stelle übrigens Sorgen; denn wir geben vor, wie eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit auf der einen Seite und Persönlichkeitsschutz, Schutz vor Diskriminierung und Volksverhetzung auf der anderen Seite erfolgen kann, und da schauen auch nichtdemokratische Länder auf uns. Es ist deshalb bedeutsam, was wir heute diskutieren. Darum ringen wir um Seriosität und um einen guten verfassungsrechtlichen Ausgleich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Auch wenn die EU-Kommission nicht interveniert hat: Wir wissen, dass sie das Ganze als Testballon betrachtet. Wir wissen doch alle – die Komplexität des Themas kommt mir hier zu kurz; denn die ganze Debatte bezieht sich nur auf den vorliegenden Gesetzentwurf –: Eigentlich hätte hier angesichts all der Hasskommentare, die teilweise strafbar sind, teilweise nicht, und der vergifteten Debattenkultur eine Debatte darüber geführt werden müssen, was in unserer Gesellschaft passiert, was sich verändert.
Das erinnert mich manchmal an die Zeit nach der Wende. Denken Sie an Rostock-Lichtenhagen, an Hoyerswerda, an Kameradschaften und an Rechtsextreme, die die Jugendzentren übernahmen. Damals wussten demokratische Jugendliche gar nicht mehr, wo sie hingehen können. Auch damals haben wir angefangen, eine Grundsatzdebatte darüber zu führen, wie wir unsere gesellschaftlichen Strukturen und den Respekt vor dem Menschen – ich würde es positiv sagen: die Political Correctness; andere nicht zu diskriminieren, runterzumachen und zu verletzen – verteidigen und vertreten können. Das geht natürlich nicht allein mit Bußgeldtatbeständen, über die wir heute diskutieren, bei weitem nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])
Diese Engführung der Debatte macht mich nervös.
Auch – mit Verlaub – das Verfahren bis hierhin war nicht gut. Egal wie sehr ihr von CDU/CSU und SPD euch untereinander gekloppt habt,
(Dr. Matthias Bartke [SPD]: Das willst du nicht wissen!)
es war nicht gut, dass ihr erst einmal interne Gespräche geführt habt, ohne Einbeziehung des Parlaments. Zum angekündigten Evaluierungszeitpunkt wertete Herr Maas diese Gespräche aus und kam kurz vor Ostern plötzlich, wie Kai aus der Kiste, mit einem Gesetzentwurf, der helles Entsetzen auslöste. Das hat nichts mit dem Niveau und der Seriosität zu tun, die wir hier gebraucht hätten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit, Persönlichkeitsschutz und Schutz vor Diskriminierung liefert dieser Gesetzentwurf im Übrigen nicht.
Meine Vorrednerin Nadine Schön hat ein schauriges Beispiel gebracht. Ich will eins hinzufügen, um Ihnen zu zeigen, wie kompliziert das Ganze ist. Ich sage es einmal so: Auch ich habe mich über unterschiedliche Unternehmen geärgert, die glauben, sie könnten globusweit Geld mit Werbung usw. verdienen und mit ihren Algorithmen faktisch auch Meinungen machen, ohne sich um das jeweilige nationale Recht kümmern zu müssen. Der politische Druck und die Debatte waren nötig, damit an den entsprechenden Stellen überhaupt Personal eingestellt wurde, ja. Wir müssen aber eine Differenzierung hinbekommen. Wir können nicht sagen, dass alles, worüber wir uns ärgern, gelöscht werden muss. Wir müssen, digital wie analog, mit der Meinungsfreiheit umgehen. Deshalb ist es ja so wichtig, mehr zu tun, als Paragrafen zu schaffen. Wir müssen uns wehren, gegebenenfalls aber auch Entscheidungen akzeptieren.
Ich war bei einem Dienstleister. Dort habe ich erzählt, was mir passiert ist. Mir hat jemand geschrieben, in grenzenloser Weisheit: Von Ihnen würde ich auch gerne ein Enthauptungsvideo sehen. – Nach langem Quengeln – man muss immer nerven – durfte ich die Qualitätssicherung bei Arvato aufsuchen. Die für die Qualitätssicherung zuständige Frau hat nach langem Überlegen zu mir gesagt: Ich würde das nicht löschen, weil kein konkreter Hinweis und keine konkrete Aufforderung vorliegen. – Sie guckte mich unsicher an, weil ihr natürlich klar war, dass das auf emotionaler Ebene nicht das gewünschte Ergebnis war. Ich konnte ihr dann aber sagen, dass die Berliner Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwalt das genauso sehen.
Daran erkennt man das Problem: Wenn wir über das Löschen von bestimmen Inhalten reden, müssen wir uns auch fragen, ob wir uns nicht etwas vormachen. Wir reden nur über die Löscherei; aber das Verfassungsgericht hält in der Rechtsprechung immer die Meinungsfreiheit hoch. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Dafür reicht dieser Gesetzentwurf nicht, sosehr ich mich auch über solche Sachen ärgere und mich frage, wes Geistes Kind diese Leute eigentlich sind. Die Gesellschaft muss im wahrsten Sinne des Wortes auf die Straße.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, wir hätten uns ein anderes parlamentarisches Verfahren gewünscht. Die Mehrheit der Sachverständigen im Ausschuss hatte neben der Verfahrenskritik auch schwere verfassungsrechtliche Bedenken an der alten Fassung des Gesetzentwurfs geäußert. Ein paar Dinge haben Sie geändert: Sie haben den Straftatenkatalog reduziert. Der inländische Zustellungsbevollmächtigte – ich will mal loben – ist eine gute Idee; immerhin etwas. Vielleicht hätten wir in dieser Legislaturperiode an dieser Stelle enden sollen und uns Zeit lassen sollen.
Ein paar Regelungen sind gar nicht so schlecht, Frau Schön, zum Beispiel die regulierte Selbstregulierung. Das ist aber eine Kannregelung, die nicht sofort in Kraft tritt. Außerdem ist sie nicht ausformuliert. Sie haben nach der Sieben-Tage-Regelung unverzüglich, in der Regel innerhalb von sieben Tagen zu löschen. Ich frage jedes Erstsemester: Wer weiß, was das bedeutet?
(Präsident Dr. Norbert Lammert klopft auf das Mikrofon)
– Ich komme zum Schluss. – Sie haben beim Bußgeldverfahren eine Vorabentscheidung durch das Bundesamt für Justiz vorgesehen. Ich wünsche viel Vergnügen bei diesem schwierigen Verfahren mit Tausenden, Zehntausenden von Angaben. Sie haben nicht gesagt, wie unabhängig diese regulierte Selbstregulierung ist und wer sie eigentlich finanziert. Sie haben immerhin einen Richtervorbehalt bei der Auskunft vorgesehen.
Meine Damen und Herren, ich finde, wir haben eine Engführung. Dieser Gesetzentwurf entspricht nicht unseren Vorstellungen. Ich habe immer noch das Gefühl, dass der Reiz, zu löschen, größer ist als der Reiz, das Recht einzuhalten und die Meinungsfreiheit anzuerkennen. Und ich habe das sichere Gefühl: Wir hätten eine breitere Diskussion führen müssen, eine Diskussion, in der wir die Gesellschaft entsprechend aufstellen und uns gemeinsam für die Würde des Menschen und für Respekt einsetzen müssten. Das wird eine Aufgabe für die nächste Wahlperiode sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Lars Klingbeil ist der nächste Redner für die SPD.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7125799 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 244 |
Tagesordnungspunkt | Netzwerkdurchsetzungsgesetz |