Oliver KrischerDIE GRÜNEN - Bericht des 5. Untersuchungsausschusses (Abgas)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Uli Lange, Ihre Rede hat eigentlich wieder gezeigt, wie das Schönreden, das Wegdrücken, das Ignorieren der Probleme geht. Sie wollen einfach nicht wahrhaben, was Sie regeln müssen. Sie versuchen, das auszusitzen. Das ist längst der Skandal im Skandal.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Wir müssen noch einmal verdeutlichen, worum es hier eigentlich geht: Weil Automobilhersteller – nicht nur VW; ich rede hier von nahezu allen Herstellern, nicht nur deutschen, sondern auch ausländischen Herstellern – tricksen und betrügen, sind die Stickoxidwerte in unseren Innenstädten so hoch, haben wir Vertragsverletzungsverfahren vonseiten der EU. Am Ende führt die hohe Luftbelastung dazu, dass Menschen ihr Leben oder ihre Gesundheit verlieren.
Ich erwarte von jeder Bundesregierung, dass sie sich zuvorderst darum kümmert und dieses Problem löst. Ich erlebe aber seit fast zwei Jahren, seit dieser Skandal bekannt ist, dass Alexander Dobrindt und die Bundesregierung, auch Frau Hendricks, in diesem Bereich überhaupt nichts unternehmen, sondern alles so weiterlaufen lassen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])
Dazu muss man nur einen Blick in Ihren eigenen Bericht, in Ihre eigene Bewertung werfen. Dass Regierungsfraktionen versuchen, die Regierung herauszuhalten, und sagen: „Das war alles okay, was die gemacht haben“, erleben wir, glaube ich, bei jedem Untersuchungsausschuss. Sie gehen aber noch einen Schritt weiter. Sie bestreiten, dass es überhaupt ein Problem gibt, und schreiben in Ihrem Untersuchungsbericht, es sei gar nicht erwiesen, dass Stickoxid gesundheitsgefährdend ist.
(Ulli Nissen [SPD]: Lüge! – Kirsten Lühmann [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! Was erzählen Sie denn da? – Arno Klare [SPD]: Das steht da nicht drin!)
– Doch, das steht da so drin.
(Ulli Nissen [SPD]: Das ist doch Unfug! Was erzählen Sie da für einen Quatsch!)
Damit stellen Sie die Wissenschaft auf den Kopf, und damit stellen Sie 20 Jahre Gesetzgebung auf den Kopf.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Das ist, ehrlich gesagt, ein Skandal. Das ist das Niveau von Trump.
Sie brauchen mir ja nicht zu glauben. Aber dann schauen Sie sich doch einmal die Presseerklärung von fünf Gesundheitsorganisationen an, die Anfang dieser Woche veröffentlicht worden ist und in der Sie als Regierungsfraktionen kritisiert werden. Dort heißt es: Was in Ihrem Bericht steht, ist die Auf-den-Kopf-Stellung aller wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Stickoxiden. Das ist, ehrlich gesagt, niveaulos und eine Verhöhnung der Menschen, die unter diesen Schadstoffen leiden; das ist nicht angemessen. Lesen Sie sich durch, was die Gesundheitsorganisationen schreiben. Da bekommen Sie ins Stammbuch geschrieben, was Sie hier machen, meine Damen und Herren.
(Kirsten Lühmann [SPD]: Lesen Sie sich mal den Bericht durch! Das wäre hilfreich!)
– Ja, lesen Sie Ihren eigenen Bericht.
(Ulrich Lange [CDU/CSU]: Lesen bildet! – Gegenruf der Abg. Kirsten Lühmann [SPD]: Denken hilft!)
Ich bin froh – da bin ich bei Herbert Behrens –, dass wir diesen Untersuchungsausschuss eingerichtet haben; denn wir haben nachweisen können, dass die Bundesregierung, das Kraftfahrt-Bundesamt und andere Behörden seit über zehn Jahren von dem Problem wissen, dass sie in vielfältiger Weise immer wieder auf ein drastisches Auseinanderfallen von Messstandsemissionen und Realemissionen hingewiesen wurden. Und was ist passiert? Nichts ist passiert. Alle Hinweise sind systematisch ignoriert worden, obwohl Abschalteinrichtungen sogar schon in der EU-Verordnung stehen, obwohl solche Fälle bereits in den 90er-Jahren in den USA bekannt geworden sind, obwohl es zahlreiche detaillierte Hinweise und Gutachten von Umweltorganisationen gibt. Alles ist ignoriert worden. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Herr Zinke, der Präsident des KBA – es ist eigentlich ein Skandal, dass der Mann immer noch im Amt ist –,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
hat ganz offen gesagt, es sei nicht seine Aufgabe, herauszufinden, ob Grenzwerte auf den Straßen überschritten werden, ob die Gesundheit von Menschen gefährdet ist. Meine Damen und Herren, wer sich solche Mitarbeiter leistet, wer wie Herr Dobrindt solche Menschen im Amt hält, der ist mitverantwortlich für einen unserer größten Industrie- und Umweltskandale. Die Verantwortlichkeit zieht sich durch die gesamte Behörde, sie zieht sich durch das Verkehrsministerium und die Bundesregierung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Wir müssen feststellen: Es handelt sich eben nicht nur um einen VW-Skandal. Klar, VW hat es besonders doll getrieben – die haben eine Prüfstandserkennung als Abschalteinrichtung eingebaut –, aber es gibt etliche Unternehmen, die die Abgasreinigung bei 17 oder 20 Grad abschalten. Meine Damen und Herren, das ist illegal, in jedem Fall illegitim. Es kann doch nicht sein, dass in Mitteleuropa eine Abgasreinigungseinrichtung neun Monate im Jahr nicht funktioniert und Alexander Dobrindt und seine Untersuchungskommission sagen: Ja, das ist legal; das akzeptieren wir. – Eines der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses ist, dass von vornherein klar war: Außer VW werden alle mehr oder weniger reingewaschen und freigesprochen. Das ist genau das, was Alexander Dobrindt macht. Das haben wir in vielen Dokumenten nachlesen können, die mit „industriefreundlichen Grüßen“ endeten.
Ich hätte mir vorher nicht vorstellen können – das war für mich eine erschreckende Überraschung –, dass in den Bericht ganze Absätze, die die Autoindustrie geschrieben hat, Wort für Wort übernommen werden. Das zeigt, wer bei diesem Thema eigentlich regiert und dass es Ihnen viel wichtiger ist, die Trickser und Betrüger zu schützen und davonkommen zu lassen, statt die Gesundheit der Menschen in den Innenstädten zu schützen. Das muss hier in aller Klarheit gesagt werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Ein Tiefpunkt des Ausschusses war für mich persönlich der Auftritt von Bundeskanzlerin Merkel; denn sie hat gesagt, es gehe um Vorkommnisse und Verfehlungen einzelner Ingenieure bei VW. Meine Damen und Herren, ich habe, ehrlich gesagt, noch kein schlimmeres Kleinreden gehört.
Man muss einfach sagen: Von Frau Merkel über Herrn Dobrindt stinkt der Fisch vom Kopfe her. Sie sind nicht bereit und willens, die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Eine Konsequenz wäre, dass Sie sich die Behördenstrukturen anschauen, dass Sie einmal fragen: Was muss man denn gegebenenfalls ändern? Nichts von dem ist passiert. Es bleibt alles, wie es ist. Man macht so weiter. Man lernt nicht von den Amerikanern, die das Ganze aufgedeckt haben, die VW unter Druck gesetzt haben und damit diese Affäre, dieses Staatsversagen bekannt gemacht haben. Das wäre eine notwendige Konsequenz in Deutschland. Dazu höre ich von dieser Bundesregierung überhaupt nichts.
Ein weiteres Thema ist der Verbraucherschutz. Ehrlich gesagt, ist es doch ein Hohn, dass in den USA die Leute entweder ein sauberes Auto bekommen oder entschädigt werden.
(Kirsten Lühmann [SPD]: Eben kein sauberes Auto! Das hat die Zeugin deutlich gesagt, dass sie nicht sauber sind anschließend!)
In Deutschland bekommen die Leute in der Werkstatt ein Softwareupdate, von dem Sie nicht wissen, was es beinhaltet, und vielleicht noch einen lauwarmen Kaffee zur Begrüßung. Meine Damen und Herren, da müsste die Bundesregierung handeln. Da wäre eine Gruppenklage oder eine Sammelfeststellungsklage genau die richtige Konsequenz.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Ich werfe dieser Bundesregierung und diesem Verkehrsminister vor, dass sie genau das verhindert haben, obwohl Dieselgate der richtige Anlass war. Es kann nicht angehen, dass die Konsequenz von Dieselgate ist, dass die Folgen des Tricksens und Betrügens der Autoindustrie und des im besten Fall noch freundlichen Wegsehens der Bundesregierung bei den Menschen abgeladen werden, den Menschen, die ihre Gesundheit verlieren, und den Autofahrern, die jetzt von Fahrverboten bedroht sind.
Herr Lange, wenn Sie sich hier gegen Fahrverbote wehren, ist das doch ein Hohn. Sie und Ihre Bundesregierung haben doch die Fahrverbote verursacht. Wir müssen darüber reden – das wäre der Job des Verkehrsministers –, wie umgerüstet wird, wie die über 10 Millionen Fahrzeuge, die potenziell betroffen sind, sauber werden, wie sie endlich die Grenzwerte einhalten. Herr Kretschmann in Baden-Württemberg kümmert sich darum. Nach zwei Jahren ist endlich auch Herr Seehofer aufgewacht, worüber ich mich freue. Aber von Alexander Dobrindt ist nichts gekommen, bis Anfang dieser Woche. Da lesen wir plötzlich in einer Pressemitteilung, dass es am 2. August 2017 ein Nationales Forum Diesel geben wird – sechs Wochen vor der Bundestagswahl –, bei dem über die Nachrüstung und Umrüstung von vorhandenen Fahrzeugen geredet werden soll. Zwei Jahre lang ist nichts passiert. Meine Damen und Herren, hier wird Show für den Wahlkampf gemacht
(Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Aber ganz genau! Und zwar läuft die gerade zur Sekunde!)
und am Ende das Problem bei den Autofahrern und bei den Menschen abgeladen, deren Gesundheit Sie ruinieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Kollege, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen.
(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie können am 2. August weitermachen! Nehmen Sie doch mal eine gute Dosis!)
Ich hoffe, in der nächsten Wahlperiode haben wir eine Bundesregierung, die dieses Problem ernst nimmt und die die Konsequenzen aus der Aufarbeitung des Untersuchungsausschusses zu ihrem Programm macht. Die Menschen, die davon betroffen sind, die Millionen betrogenen Autofahrer, die Tausenden, die ihre Gesundheit verloren haben, haben es verdient, entsprechend behandelt zu werden.
Danke schön.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Als nächste Rednerin hat Kirsten Lühmann für die SPD-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 244 |
Tagesordnungspunkt | Bericht des 5. Untersuchungsausschusses (Abgas) |