30.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 244 / Tagesordnungspunkt 31

Kirsten LühmannSPD - Bericht des 5. Untersuchungsausschusses (Abgas)

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Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Sehr verehrte Zuhörende! Zu Beginn des Untersuchungsausschusses wurde mir von der Presse die Frage gestellt: Frau Lühmann, ist das denn eigentlich nötig? – Ich habe das Gleiche gesagt wie jetzt: Ja, dieser Untersuchungsausschuss ist nötig, weil es ein demokratisches Recht des Parlamentes ist, Auskunft zu verlangen. – Darum ist er richtig und wichtig für die Demokratie, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])

Die zweite Frage, die mir jetzt gestellt wurde, war: Was gab es denn an Erkenntnissen? – Wir haben heute schon einiges gehört. Ich kann mich erinnern: Der Kollege Krischer hat, bevor wir die erste Sitzung hatten, den Verdacht geäußert, es könne hier Staatsversagen vorliegen. Nach jeder Sitzung – völlig egal, wer was gesagt hat – trat er vor die Presse und sagte: Das war wieder die Bestätigung für Staatsversagen. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in keiner Sitzung, von keinem Zeugen irgendeinen Hinweis auf Staatsversagen erhalten. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ja, es ist so, dass die Laborwerte und die Straßenwerte auseinanderfallen. Aber das wussten schon die Politiker und Politikerinnen, die 2007 die europäische Richtlinie verabschiedet haben; das haben sie damals auch sehr deutlich gesagt. Das ist absolut nichts Neues. Allerdings haben sie – das haben uns die Zeugen bestätigt – kurze Zeit später festgestellt, dass das Auseinanderfallen dieser Werte exorbitant anstieg. Darum haben sie schon vor sieben Jahren – nicht erst nach Bekanntwerden der Manipulationen von VW – gesagt: Diesem Umstand müssen wir entgegenwirken; wir brauchen neue Tests im Realbetrieb. – Die wurden auch entwickelt und sind in Kraft getreten. Ab dem 1. September dieses Jahres, also noch in dieser Legislaturperiode, wird es bei jeder neuen Typzulassung die neuen Prüfverfahren geben. Dann werden wir die Situation haben, dass die Werte, die in der Typzulassung stehen, auch im realen Fahrbetrieb erreicht werden, und das ist ein großer Erfolg.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber auch die Euro-6-Fahrzeuge wurden noch mit dem alten Messverfahren geprüft, und auch bei den Euro-6-Fahrzeugen ist es so, dass die Werte, die in der Typzulassung stehen, nicht die sind, die wir im realen Betrieb haben. Aber, Kollege Krischer, das ist legal. Das war 2007 so gewollt.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Drei Sachverständige, drei Juristen sagen Nein!)

Aber das haben wir ja gerade verändert. Darum war es so wichtig, dass die Behörden, dass die Regierungen, dass die Parlamente in den letzten Jahren nicht weggeschaut haben, sondern etwas getan haben.

Den Zeugen wurde im Ausschuss immer wieder die Frage gestellt: Hätten Sie nicht mehr machen müssen? – Alle Zeugen haben übereinstimmend gesagt: Wir hatten niemals Hinweise auf illegale Manipulationen. – Einige von uns haben gefragt: Kann das denn sein? Ich sage ganz ehrlich: Ich finde es schwierig, mit dem Wissen von heute das Handeln der Verantwortlichen von gestern zu verurteilen. Es gibt ganz viele Dinge, die wir uns alle nicht vorstellen konnten, bevor sie passiert sind.

(Ulli Nissen [SPD]: Und auch nicht wollten!)

– Und auch nicht vorstellen wollten, Kollegin Nissen. – Insofern halte ich das nicht für ein Wegsehen, sondern ich halte es für richtig, dass wir festgestellt haben: Die Verantwortlichen haben nach den rechtlichen Vorgaben und im Rahmen ihrer Möglichkeiten gehandelt. Deshalb müssen wir diese rechtlichen Vorgaben verändern.

Damit komme ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu unseren Schlussfolgerungen. Es sind zehn Punkte, die ich aufgrund der Zeit nicht alle erwähnen kann. Aber ich fange mit einem an: Die Endrohrmessung bei Dieselfahrzeugen haben wir bereits in die Wege geleitet. Die Offenlegung von Motorsteuerungssoftware ist in Deutschland umgesetzt. Ich sage mit Blick auf die nächste Legislatur: Da gibt es noch einiges zu tun. Europa ist nämlich entgegen der Bundesregierung der Meinung, es reiche völlig aus, wenn bei der Typzulassung die Systeme der Motorsteuerung dargelegt werden. Man müsse nicht die komplette Software hinterlegen. Es ist uns klar, dass wir uns bei 1 000 Zulassungen pro Jahr nicht jede Motorsteuerungssoftware bis in den kleinsten Befehl ansehen können. Aber für uns ist wichtig, dass nicht nur das System dargelegt wird, sondern dass auch beim KBA die Steuerungssoftware hinterlegt wird. Das gilt nicht nur für die erste Typzulassung, sondern aus unserer Sicht auch für jedes weitere Update der Motorsteuerungssoftware.

Die nächste Frage war: Was ist mit den Richtlinien? – Herr Krischer, Sie haben heute gesagt, die Auffassung verschiedener Automobilhersteller sei illegal oder illegitim. Ich finde es schön, dass Sie wenigstens diese Einschränkung gemacht haben. Wenn die Richtlinie so klar wäre, wie Sie uns glauben machen wollen, dann hätten wir den Konflikt mit Italien nicht. Wir haben bei den Fiat-Fahrzeugen festgestellt, dass es auch dort eine Abweichung gibt. Aus unserer Sicht sind diese Fahrzeuge nicht konform mit der Richtlinie. Die Typzulassungsbehörden in Italien sagen das Gegenteil. Wir haben keine Möglichkeit, zueinander zu kommen. Aber dafür brauchen wir keine Kontrollbehörde, dafür müssen wir nicht das KBA kontrollieren. Was wir brauchen, ist eine vernünftige Clearingstelle auf europäischer Ebene, die, wenn zwei verschiedene Typzulassungsbehörden unterschiedlicher Meinung über die Auslegung sind, eine Entscheidung fällen kann. Auslegungshilfen oder Sonstiges reichen nicht aus. Wir müssen dieser Richtlinie Zähne verschaffen, damit sie vernünftig wirkt.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir brauchen auch Lösungen für Bestandsfahrzeuge; dazu wird mein Kollege Arno Klare gleich noch etwas sagen. Wir brauchen für die Menschen, die betroffen sind, bessere Rechtsinstrumente. Das können keine amerikanischen Rechtsinstrumente sein. Im amerikanischen und europäischen Rechtssystem gibt es Unterschiede. Wir als Koalition haben in den Bericht geschrieben, dass die Musterfeststellungsklage den Menschen in Deutschland helfen würde. Es ist schade, dass wir sie nicht mehr verwirklichen können. Wir brauchen vernünftige Sanktionen, die nicht die Halter und Halterinnen treffen, sondern die Automobilherstellenden, und zwar wirksame Sanktionen in einer erheblichen Höhe.

(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber die könnten auch schon jetzt vollzogen werden! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können wir alles machen!)

– Wir müssen diese Sanktionen einführen,

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Wie kommt das denn, dass wir die bis heute nicht haben?)

und das geht heute so nicht. Kollege Behrens, wir haben im Ausschuss auch diskutiert, dass das nicht geht.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben ein Vertragsverletzungsverfahren!)

Also müssen wir es einführen.

Insofern sage ich: Ich finde es schön, dass die Automobilherstellenden dem Kollegen Seehofer gesagt haben, sie wollten eine neue Motorsoftware entwickeln.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das nützt aber nichts!)

Aber dafür hätten sie zwei Jahre Zeit gehabt, und ich habe keine Lust, so lange zu warten, bis sie kommt. Wenn sie kommt, gilt: Alles, was dabei hilft, weniger Schadstoffe auf unserer Straße zu haben, halte ich für gut.

Wir müssen aber jetzt Dinge machen. Schlichte Verbote, liebe Kollegen und Kolleginnen, sind bestenfalls die letzte Option. Was wir benötigen, sind echte Lösungen, und zwar im Hinblick auf den Gesundheitsschutz, die Mobilitätsbedürfnisse und den Wohlstand der Menschen in unserem Lande. Ich freue mich, wenn wir in der nächsten Legislatur daran arbeiten können. Da haben wir viel zu tun.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Als nächster Redner hat Uwe Lagosky für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7125913
Wahlperiode 18
Sitzung 244
Tagesordnungspunkt Bericht des 5. Untersuchungsausschusses (Abgas)
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