21.11.2017 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 2 / Tagesordnungspunkt 4

Sigmar Gabriel - Bundeswehreinsatz in Afghanistan (Resolute Support)

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Bemerkung vorweg, Frau Dağdelen. Sie haben nicht genau gesagt, um wen es Ihnen ging. Nur damit es keine Missverständnisse gibt: Die PKK ist in diesem Land deshalb verboten, weil sie hier in diesem Land Nötigung, Erpressung, Drogenhandel, Menschenhandel und all das betrieben hat.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Es geht um die YPG!)

– Sie haben ja nicht genau gesagt, wen Sie meinen.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das war eindeutig!)

Sagen Sie doch nächstes Mal einfach klar, wen Sie meinen. Diese Organisation ist hier verboten, weil sie sich in diesem Land so verhalten hat, dass man sie besser verbieten sollte.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Herr Gabriel!)

Wenn die deutsche Polizei gegen das Zeigen dieser Fahnen und die Leute, die diese Organisation führen, vorgeht, dann sichert die deutsche Polizei die Durchsetzung von Recht und Gesetz in diesem Land. Nichts anderes tut sie.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist doch Quatsch!)

Ich wollte das nur klarstellen, weil wir in anderen Beziehungen darauf angewiesen sind, dass uns auch die Menschen in anderen Ländern verstehen.

Meine Damen und Herren, nach 16 Jahren Afghanistan-Einsatz fragen sich viele Menschen: Ist es wirklich richtig, dass weiter deutsche Soldaten am Hindukusch stehen? Ich finde, wir wären nicht recht bei Trost, wenn wir mit dieser Frage nicht im wahrsten Sinne des Wortes ringen würden. Ich finde aber auch: Wir müssen zu unserer internationalen Verantwortung stehen und uns deshalb in der Frage des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan durchringen.

Ja, der Einsatz in Afghanistan ist und bleibt hochgefährlich und bei weitem nicht widerspruchsfrei. Wie schwierig die Sicherheitslage nach wie vor ist, haben in den letzten zwölf Monaten die verheerenden Anschläge auf unser Generalkonsulat in Masar-i-Scharif und unsere Botschaft in Kabul in dramatischer Weise gezeigt. Ja, Fortschritte bei der innerafghanischen Versöhnung bleiben weit hinter unseren Erwartungen und Hoffnungen zurück. Und ja, wenn die neue Administration in Washington weniger entschieden als in der Vergangenheit auf eine politische Lösung für Afghanistan setzt, dann verunsichert das die gesamte Region.

Ich weiß übrigens, dass auch in diesem Haus am Anfang das Setzen auf politische Lösungen zum Teil verlacht wurde. Ich kann mich jedenfalls noch gut daran erinnern, wie der damalige SPD-Vorsitzende Kurt Beck verhöhnt worden ist, als er darüber geredet hat, dass man auch mit den Taliban reden müsse. Hätte man das früher begonnen, wäre uns vielleicht manches erspart geblieben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Manche hier wird das, was dort passiert, in all ihren Vorbehalten gegen Militäreinsätze im Allgemeinen und diesen Einsatz im Besonderen bestärken. Es wird sie in der Haltung bestärken: Am besten holen wir unsere Soldatinnen und Soldaten möglichst schnell heim und beschränken uns auf Entwicklungszusammenarbeit, Menschenrechtsschutz und Bildungsarbeit. – Das ist eine ehrenwerte Position. Ich glaube aber, wer so argumentiert, der sollte sich nicht allzu sicher fühlen; denn würden wir so entscheiden, dann hieße das letztlich, dass auch die Bemühungen um Menschenrechte, Zusammenarbeit und Bildung schnell wieder in Gefahr gerieten und zerstört würden. Wir ließen die afghanische Bevölkerung im Stich, die ihre Hoffnung auf uns und die internationale Staatengemeinschaft setzt. Es hieße, den Schauplatz Afghanistan anderen zu überlassen, die sich vielleicht nicht wie wir von der Vision einer politischen Lösung leiten lassen. Und es hieße: Wir würden uns der großen Verantwortung für eine friedliche internationale Ordnung entziehen, die unserem Land in den letzten Jahren so sehr zugewachsen ist.

Herr Minister, die Kollegin Dağdelen möchte gerne eine Kurzintervention machen. Gestatten Sie das?

Selbstverständlich.

(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Nach der Rede!)

Ich hatte verstanden, sofort. Bitte sehr, dann machen wir das nach der Rede.

Schade.

(Zurufe von der SPD)

Also doch. – Bitte sehr, Sie haben das Wort, Frau Kollegin.

Uns fehlt niemals der Mut. Das ist anders als bei Ihnen, Herr Kollege.

Aber, Herr Gabriel, kommen wir zum Thema. Meine Kollegen hatten mich gebeten, Ihre Rede nicht noch zu verlängern. Deshalb hatte ich mich eigentlich zu einer Kurzintervention gemeldet, aber egal; ich sehe es dem Präsidenten nach. Ich möchte Sie nur um eines bitten: Zur Redlichkeit unter Kollegen gehört, Herr Gabriel, nicht zu behaupten, dass eine Kollegin oder ein Kollege etwas getan haben soll, was sie oder er nicht getan hat.

Ich habe in meiner Rede – das wissen Sie ganz genau – nirgendwo eine Organisation erwähnt, die von Ihnen erwähnt wurde, nämlich die PKK, die natürlich als Terrororganisation gelistet ist. Ich habe eine andere Organisation genannt, nämlich die kurdischen Volksverteidigungseinheiten, die YPG. In dem Zusammenhang habe ich darauf hingewiesen, dass diese Bundesregierung heuchlerisch ist, weil sie einerseits sagt, dass diese Organisation, die auf keiner internationalen Terrorliste steht und deshalb auch keine verbotene Organisation ist, nicht dem Vereinsverbot unterliegt, es aber andererseits auf Wunsch des türkischen Präsidenten einen Erlass gibt, die Fahnen und Symbole dieser Organisation in Deutschland zu verbieten. Das hat mit dazu geführt, dass letzte Woche ein junger Wissenschaftler in München um sechs Uhr morgens von der Polizei geweckt wurde, um bei ihm eine Hausdurchsuchung durchzuführen, weil er auf Facebook mit diesen Kämpfern sympathisiert hat gegen die Barbaren des „Islamischen Staats“.

Die Kämpferinnen und Kämpfer der YPG kämpfen an Ihrer Seite gegen den IS. Sie kämpfen an der Seite der US-Amerikaner, und Sie unterstützen das.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ruhig werden!)

Ich finde es heuchlerisch, sich zum Büttel des türkischen Präsidenten zu machen, der von der Bundesregierung verlangt, die Kurden hier wegen ihrer Sympathie mit den Kämpfern gegen den IS in Syrien zu kriminalisieren. Das habe ich gesagt und nichts anderes.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der AfD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zur Redlichkeit gehört: Wenn Sie mich ansprechen, dann unterstellen Sie mir nichts, sondern sprechen Sie zur Sache. Finden Sie es richtig, dass hier die Fahnen und Symbole der YPG, die gegen den IS in Syrien kämpft, verboten werden? Beantworten Sie diese Frage, Herr Gabriel!

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt aber! Das ist eine Frechheit hier!)

Nein, es ist alles gut.

Ich bin Ihnen ausgesprochen dankbar. Die Antwort lautet: Niemand aus der Bundesregierung verbietet das Tragen von Symbolen oder eine Vereinigung mit ihren Repräsentanten in Deutschland auf Druck von Herrn Erdogan.

(Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])

Wenn Sie ausgerechnet mir den Vorwurf machen, ich würde mich Herrn Erdogan unterwerfen, dann, muss ich sagen, entbehrt das nicht einer gewissen Form von Humor.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU])

Bei Ihnen ist nach meinem Eindruck bei diesem Thema – –

(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Eindrücke?)

– Ich habe Ihnen ganz ruhig zugehört. Machen Sie das doch umgekehrt auch; denn wir beide sind mutig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Bitte sehr!)

Ich habe klargemacht, wann man bei uns Organisationen verbietet. Das tun wir, wenn sie in diesem Land Kriminalität unterstützen. Ich habe auch gesagt, wen das betrifft. Dazu brauchen wir Herrn Erdogan nicht; das haben wir selbst gemacht. Zur YPG wiederhole ich: Niemand in diesem Land, schon gar nicht die Bundesregierung oder Länderregierungen, verbietet Organisationen, weil irgendjemand aus dem Ausland das von uns fordert. Insofern gibt es keinen Grund für den Vorwurf der Heuchelei, jedenfalls nicht an die Regierung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Keine Antwort! – Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Ich bin ja gespannt, wie Sie begründen wollen, dass die YPG hierzulande – –)

Jetzt ist die Intervention beendet.

Was glauben Sie, wie viel Lust ich auf eine Debatte hätte! Aber das gestattet mir der Präsident nicht.

Zurück zu dem Inhalt des Antrages. Meine Damen und Herren, wir sind nicht in Afghanistan, um einen politischen Konflikt mit militärischen Mitteln zu lösen. Das wäre zum Scheitern verurteilt. Wir sind auch nicht dort, um „blühende Landschaften“ zu schaffen. Das wäre eine naive Illusion. Wir sind schlicht und einfach dort, um die notwendige Stabilität dafür zu schaffen, dass die Afghanen selbst ihre Angelegenheiten im Rahmen eines Versöhnungsprozesses in die eigenen Hände nehmen können. Dafür aber braucht es zuallererst Sicherheit, zu der Resolute Support einen nach wie vor unverzichtbaren Beitrag leistet.

Die Mission ist weiterhin kein Kampfeinsatz. Sie wird weiter nicht unmittelbar an Terror- oder Drogenbekämpfung beteiligt sein. Wir dürfen keine Wunder erwarten. Aber was bei der Stabilisierung in den letzten Monaten trotz aller Rückschläge gelungen ist, gibt doch Grund zur Hoffnung. Die Taliban haben dieses Jahr keinen ernsthaften Angriff auf eine Provinzhauptstadt unternommen und keine Distriktzentren dauerhaft einnehmen können. Die afghanischen Streitkräfte sind dank der internationalen Unterstützung deutlich leistungsfähiger geworden. Dem IS ist es nicht gelungen, seinen Einfluss auszuweiten. Daran hat Resolute Support maßgeblichen Anteil.

Auch bei den politischen Reformen hat es zumindest Lichtblicke gegeben. Lassen Sie mich nur einen hervorheben: Präsident Ghani hat mit einem Gerichtshof für Korruptionsfälle, mit der Entlassung hochrangiger Beamter wegen Korruptionsvorwürfen und einer Antikorruptionsstrategie erste wichtige Zeichen gesetzt.

Vieles bleibt zu tun. Nächstes Jahr sollen endlich die überfälligen Parlamentswahlen stattfinden. Hier steht Afghanistan vor einer Herkulesaufgabe, aber eben auch vor einer Sicherheitsherausforderung. Wir wollen das nach Kräften unterstützen. Entscheidend ist – da gebe ich allen Kritikern des Militäreinsatzes recht –: Letztlich wird nur eine politische Übereinkunft die Lösung der gewaltsamen Konflikte in Afghanistan herbeiführen. Ein Friedens- und Versöhnungsprozess zwischen Regierung und Aufständischen wird aber nicht möglich sein, solange die Taliban darauf hoffen können, ihre Ziele mit Waffengewalt durchzusetzen. Deshalb werden wir bis auf Weiteres nicht auf militärisches Engagement verzichten können. Der Abschluss des Friedensabkommens mit Hizb-e Islami von Herrn Hekmatjar zeigt: Frieden ist möglich. Dieser Frieden wird nur halten, wenn er ein festes Fundament hat: die in der afghanischen Verfassung garantierten Menschenrechte, insbesondere Frauen- und Kinderrechte, eine klare Abkehr von internationalen Terrorgruppen und schließlich ein günstiges Umfeld in der Region und darüber hinaus.

All dies kann den Menschen in Afghanistan nur gelingen, wenn sie auf ein Mindestmaß an Stabilität und Sicherheit bauen können. Darum müssen wir ringen. Wir sollten uns zu dem, was notwendig ist, durchringen. Deshalb bitte ich Sie im Namen der Bundesregierung um Ihre Zustimmung zu diesem zugegebenermaßen außerordentlich schwierigen Mandat.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Nächste Rednerin ist Bundesministerin Dr. von der Leyen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7174052
Wahlperiode 19
Sitzung 2
Tagesordnungspunkt Bundeswehreinsatz in Afghanistan (Resolute Support)
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