21.11.2017 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 2 / Zusatzpunkt 1

Thomas JurkSPD - Aktuelle Stunde zu Arbeitsplatzverlusten bei Siemens

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich hervorragende Zahlen, die da Siemens auf der Pressekonferenz am 9. November präsentiert hat: Rekordumsätze, Rekordgewinne – und dann der Schicksalsschlag für ganze Standorte in Deutschland bis hin zur Schließung. 6 900 Beschäftigte werden weltweit abgebaut, ungefähr 3 000 in Deutschland. Das ist eben nicht soziale Marktwirtschaft, wie wir sie uns vorstellen. Ich bin sehr dankbar, dass es differenzierte Wortmeldungen auch aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion dazu gegeben hat.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])

Der Vorstandsvorsitzende der Siemens AG, Joe ­Kaeser, wird sehr häufig zu Vorträgen eingeladen. Er ist ein gefragter Gesprächspartner. Viele Zitate werden ihm zugeschrieben. Übrigens sagte er bei seinem Amtsantritt als Siemens-Chef im Jahr 2013 wörtlich:

Es ist keine unternehmerische Leistung, möglichst viele Arbeitsplätze zu vernichten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, Sonntagsreden sollten auch in der Arbeitswoche Bestand haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/CSU])

Was sage ich jetzt den Beschäftigten, die vom Verlust ihres Arbeitsplatzes bedroht sind, die eigentlich mit ihrer tagtäglichen fleißigen, innovativen Arbeit zu dem Rekordergebnis beigetragen haben? Die müssen sich doch völlig verhöhnt vorkommen. Deshalb sage ich ganz klar: Unsere Solidarität gilt allen Beschäftigten deutschlandweit, die von diesen Sparmaßnahmen betroffen sind.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber nur deutschlandweit!)

Ich blicke auf mein Heimatbundesland Sachsen: In Leipzig sind durch Schließung des Kompressorenwerks 270 Beschäftigte, in Görlitz an der Neiße 960 Beschäftigte von der Schließung betroffen. Das stellt eine beschäftigungspolitische Katastrophe für Ostdeutschland dar. Dabei rede ich jetzt noch nicht einmal über Erfurt oder Berlin oder von Standorten wie Mülheim oder Erlangen oder Offenbach in Westdeutschland. Generell ist es so – das muss zur Kenntnis genommen werden –, dass das für uns alle angesichts der guten Ergebnisse nicht akzeptabel ist.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gilt nun wirklich, einmal den Praxischeck zu machen. Ich sage es mal so: Sicherlich ist die weltweite Lage auf dem Markt für fossile Stromerzeugung schwierig und angespannt – keine Frage. Da gibt es auch ein von der Politik gewolltes Umdenken. Aber am Standort Görlitz werden viele Produkte hergestellt, die davon gar nicht betroffen sind. Auch das gehört zur Wahrheit. Görlitz ist Weltspitze in der Ausrüstung von dezentralen Biomassekraftwerken mit Kraft-Wärme-Kopplung oder von solarthermischen Kraftwerken und hat übrigens auch volle Auftragsbücher. In Leipzig werden Turbokompressoren für die Prozessindustrie hergestellt, die nicht nur im energetischen Bereich, sondern auch in der chemischen Industrie und bei der Stahlproduktion zum Einsatz kommen.

Joe Kaeser sagt ja gerne, dass beides wichtig ist: Mensch und Marge. Aber offensichtlich ist bei dieser Entscheidung von Siemens darüber nicht ernsthaft nachgedacht worden. Wer sich die aktuelle Geschäftsentwicklung anschaut, der wird feststellen, dass bei der Division „Power and Gas“ statt 11,4 Prozent wie im letzten Jahr nur noch 10,3 Prozent Gewinn erreicht wurden. Jetzt frage ich Sie aber: Ist es nicht unglaublich, dass man trotz eines zweistelligen Gewinns Arbeitsplätze abbaut? Es ist doch angesichts dieser Ergebnisse verlogen, zu sagen, die Arbeitnehmer hätten schlecht gearbeitet. Über die strukturellen Folgen in meiner Region will ich gar nicht weiter reden. Sie sind verheerend. Wir haben in Görlitz nun einmal ein Geflecht aus Zulieferunternehmen und eine enge Kooperation mit Schulen und Hochschulen. Das alles wird kaputtgemacht und aufs Spiel gesetzt. Das ist ungerechtfertigt und unverantwortlich. Leuchttürme im Osten sind gefragt. Wir müssen neue aufbauen und dürfen die bestehenden nicht abbauen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was die Perspektiven betrifft, will ich darauf hinweisen, dass vor kurzem 52 Unternehmensverbände in Deutschland ein Bekenntnis zur Klimapolitik veröffentlicht haben. Siemens hat diese Erklärung mitgetragen. Darin heißt es übrigens, dass das Pariser Klimaabkommen die unternehmerische Planungssicherheit erhöht und zusätzliche Investitionen ermöglicht. Nehmen wir also Siemens beim Wort. Investieren Sie von Siemens in Görlitz, Berlin, Offenbach, Erlangen, Mülheim, Leipzig und Erfurt! Tun Sie etwas für die Zukunft gerade auch in Ostdeutschland! Herr Kaeser, Sie sind herzlich eingeladen, dort mitzutun. Kommen Sie nach Görlitz, schauen Sie sich das Werk an, und helfen Sie mit, dass das Unternehmen auch in Ostdeutschland eine Zukunft hat!

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Jana Schimke für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7174129
Wahlperiode 19
Sitzung 2
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zu Arbeitsplatzverlusten bei Siemens
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