22.11.2017 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 3 / Tagesordnungspunkt 12

Sigmar Gabriel - Bundeswehreinsatz im Irak

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte eben – aber auch gestern, finde ich – ist eigentlich ganz gut, weil sie uns Klarheit über folgende Fragen verschaffen wird – ich glaube, sie werden uns die ganzen Jahre dieser Legislaturperiode begleiten –: Wie weit sollen sich unser Land und Europa in die Welt hineinbewegen? Wie weit sollen wir uns raushalten? Unter welchen Bedingungen sollen wir uns in eine komplizierte und leider ziemlich gewalttätige Welt hineinbegeben? Unter welchen Bedingungen sollen wir das nicht machen? Eigentlich geht es um diese Fragen.

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Und auch, in welcher Form!)

– Ja, und in welcher Form. Wie ist das Verhältnis Militär – Zivil?

Im Kern geht es um die Frage: Glauben wir, dass wir Deutsche und Europäer etwas mit der Welt zu tun haben? Oder glauben wir, dass wir sie von uns fernhalten können?

Es gibt einen amerikanischen Exzeptionalismus, der besagt: Wir wissen, wie es in der Welt aussieht, und deswegen mischen wir uns überall ein. Es gibt in Deutschland einen europäischen Exzeptionalismus, der besagt: Wir wissen auch, wie es ist, aber wir wollen uns raushalten. – Ich glaube, beides ist falsch. Insofern ist es eine ganz interessante Debatte, die uns länger begleiten wird.

Es geht um die Fragen: Wie halten wir es mit der Frage unserer Beteiligung an der Welt und an dem, was sich dort an Schlimmem, an Unangenehmem, an Gewalttätigem abspielt? Glauben wir, dass wir das von uns fernhalten können? Oder glauben wir, dass wir ein Teil dieser Welt sein werden, auch wenn sie außerordentlich unangenehm ist? Übrigens ist sie unangenehmer als in der Vergangenheit, wo wir in der Regel sagen konnten: Ach, das lass mal die Amerikaner machen. Wenn es schiefgeht, dann haben wir jedenfalls jemanden, den wir für schuldig erklären können.

Der Rückzug der Amerikaner aus der liberalen Weltordnung ist eine große Herausforderung für uns Europäer. Ich glaube nicht, dass wir angesichts dieser Herausforderung ohne die Amerikaner bestehen können, aber ich glaube auch nicht, dass die Antwort sein kann, dass sich Deutschland und Europa auch aus der liberalen Weltordnung zurückziehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Aber das steht gar nicht zur Debatte!)

Ich sage nicht, dass wir dann nicht über die Fragen reden müssen – das ist ja Ihr Zwischenruf gewesen, Herr Neu –: Wie geht das? Wo hat das Grenzen? Wie ist die Ausstattung? Aber ich glaube, diese Debatte ist für unser Land und sein Selbstverständnis mehr als wichtig.

In diesem Zusammenhang haben wir uns 2014 dazu entschlossen, die Sicherheitskräfte der Region Kurdistan/Irak und die irakischen Streitkräfte in ihrem Kampf gegen den IS zu unterstützen. Der beste Weg dahin war damals – ich bin fest der Überzeugung, das ist auch heute noch so –, die Streitkräfte vor Ort besser auszurüsten und auszubilden. Wir haben die einheimischen Militärs in ihrer Fähigkeit zur Gegenwehr gestärkt. Nur so konnten sie den massiven Angriffen des IS standhalten. Aus heutiger Sicht kann man sagen: Wir haben damit eine drohende Katastrophe abgewendet. Insgesamt haben wir in den letzten drei Jahren mit unseren internationalen Partnern 16 000 Sicherheitskräfte ausgebildet, darunter viele Angehörige von Minderheiten. Aus meiner Sicht wäre es ein denkbar schlechtes Zeichen, jetzt damit aufzuhören. Wir sollten uns nicht nach ersten, kurzfristigen Erfolgen einfach zurückziehen und aus der Entfernung zuschauen, wie die Konflikte in dieser Gegend ausgehen oder vermutlich zurückkehren. Der IS jedenfalls darf nie wieder die Hoheit über den Nordirak gewinnen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Ein Rückzug zum jetzigen Zeitpunkt wäre auch das falsche Signal an die Konfliktparteien vor Ort. Wir haben von Anfang an mit Bagdad und mit Erbil kooperiert. Den nach dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum neu entfachten Konflikt zwischen der Zentralregierung in Bagdad und der Autonomen Region Kurdistan beobachten wir, glaube ich, alle miteinander mit großer Sorge. Wir versuchen mit unseren internationalen Partnern seit Wochen, hier auf den unterschiedlichsten Kanälen zur Deeskalation beizutragen. Was jetzt benötigt wird, ist ein intensiver Dialog zwischen Erbil und Bagdad. Deshalb begrüßen wir die Bereitschaft der kurdischen Regionalregierung, strittige Fragen auf der Grundlage der irakischen Verfassung zu verhandeln. Nun ist insbesondere die Regierung in Bagdad aufgefordert, auf dieses Angebot einzugehen.

Aber um es deutlich zu benennen: Die innerirakische Auseinandersetzung sollte uns nicht davon abhalten, die Streitkräfte im Nordirak weiter auszubilden und dort zu Ende zu bringen, was wir begonnen haben. Natürlich werden wir unsere Soldatinnen und Soldaten nicht in Gefahr bringen. Natürlich würden wir die Ausbildung, wie das schon einmal passiert ist, erneut aussetzen, wenn das Risiko besteht, dass ernsthafte Kampfhandlungen die Sicherheit unserer Bundeswehr gefährden. Ich betone aber noch einmal ausdrücklich: Eine Fortsetzung unserer Präsenz wird gerade nicht als Parteinahme verstanden, weder dort vor Ort noch international. Wir haben dafür die ausdrückliche Zustimmung beider Seiten. Im Gegenteil: Eine Beendigung zum jetzigen Zeitpunkt würde das Signal senden, dass wir den Irak sich selbst überlassen. Gerade jetzt – in dieser Einschätzung sind wir uns wirklich mit unseren Partnern einig – trägt die internationale Präsenz, zu der auch unsere gehört, zur Stabilisierung vor Ort bei. Richtig ist: Das Engagement darf nicht einseitig sein. Es muss zwischen Erbil und Bagdad ausgewogen sein. Wir konzentrieren uns zusammen mit anderen Partnern auf den Norden des Landes, dafür konzentrieren sich andere internationale Partner auf die zentralirakischen Streitkräfte.

Die Unterstützung der Streitkräfte ist aber nur ein Element unseres Engagements im Irak. Sie ist jedoch eine wesentliche Grundlage dafür, dass humanitäre und zivile Unterstützung möglich bleibt. Nur wenn wir beim Thema Sicherheit die erreichten Fortschritte bewahren können, kann unser breiter Ansatz der Unterstützung auch greifen. Ein wichtiger Teil dieses ausgewogenen Engagements ist die im Aufbau befindliche zivile EU-Beratungsmission zur Reform des Sicherheitssektors. Die Mission unter deutscher Leitung wird die Regierung in Bagdad auch dazu beraten, wie eine regional ausgewogene gesamtirakische Reform des Sicherheitsapparates unter politischer Kontrolle gelingen kann.

Unsere humanitäre Hilfe zielt darauf ab, Vertriebenen eine schnelle Rückkehr in befreite Gebiete zu ermöglichen. Im Irak hat die Bundesregierung, besser gesagt: das deutsche Parlament und nicht wir als Regierung, als einer der größten internationalen Geber alleine seit 2014 über 1 Milliarde Euro bereitgestellt. Wir haben zum Wiederaufbau in Mosul gerade noch einmal Mittel in Höhe von 250 Millionen Euro bereitgestellt.

Meine Damen und Herren, ein Land wie Deutschland kann sich angesichts der Konflikte und Unsicherheiten in unserer unmittelbaren Nachbarschaft nicht raushalten und auf andere verweisen. Deutschland hat in den letzten vier Jahren viel Verantwortung übernommen. Dabei wird es, glaube ich, bleiben müssen. Daher bitte ich Sie heute für die Bundesregierung um die Verlängerung des Mandats für zunächst drei Monate. Danach wird neu zu bewerten sein, welchen Beitrag Deutschland mittelfristig zur Stabilisierung des Irak leisten kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Danke sehr. – Jetzt hat das Wort die Bundesministerin der Verteidigung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7174474
Wahlperiode 19
Sitzung 3
Tagesordnungspunkt Bundeswehreinsatz im Irak
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