Alexander Graf LambsdorffFDP - Aktuelle Stunde zur Lage im Nahen- und Mittleren Osten
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In meiner letzten Intervention habe ich darauf verzichtet, die geschichtliche Kontinuität, die die AfD seit Wilhelm II. hier für unsere Außenpolitik zu entwerfen versucht, aufzugreifen,
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
tue das aber gerne, lieber Herr Gauland, angesichts Ihrer sehr selektiven Lesart der Geschichte. Die Behauptung, dass Deutschland überhaupt keine Rolle, überhaupt keinen Einfluss in der Region gehabt hat, ist spätestens seit den Debatten um den Genozid an den Armeniern wohl ein für alle Mal widerlegt.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es muss nicht immer ein guter Einfluss gewesen sein; aber dass wir hier keine Rolle spielen, ist, glaube ich, eine wirklich sehr selektive Lesart. Das war mein erster Punkt.
Ich komme zu meinem zweiten Punkt. Wir debattieren hier – das ist mir wichtig – über die Situation im Nahen Osten. Ich sage das mit einer gewissen Betonung auf dem Wort „nah“. Das ist keine entlegene Weltregion. Das ist unsere Nachbarschaft. Die Betroffenheit Deutschlands, unser Interesse an einer Stabilität der Region, an einer Stabilisierung dort, wo es erforderlich ist, sind evident. Spätestens seit der massenhaften Flucht von Menschen vor dem syrischen Bürgerkrieg in unser Land muss das jedem klar geworden sein.
Dass die Situation vor Ort des Engagements – des diplomatischen Engagements, des politischen Engagements – bedarf, das weiß jeder, der sich anschaut, was dort passiert. Die Stellvertreterkriege der Regionalmächte Saudi-Arabien, Iran und Türkei in Syrien, im Irak und im Jemen, die Blockade von Katar haben ein unglaubliches Leid geschaffen, das den Fluchtdruck noch erhöht. Die Situation im Jemen ist menschlich unbeschreiblich. Die Auswirkungen der Situation in Syrien haben wir in unseren Kommunen erleben und bewältigen müssen.
In dieser Situation ergibt sich ein zweiter Bogen, den Herr Gauland ganz zum Schluss angesprochen hat. Es wird Sie überraschen, da stimme ich Ihnen sogar zu: Das Ganze ergibt eine dramatische Gefährdung Israels. Es gibt einen Staat, für den Deutschland aufgrund historischer Schuld eine besondere Verantwortung übernommen hat. Dieser Staat, Israel, sieht sich einer völlig neuen Dimension von Gefahr ausgesetzt durch das, was die Experten den „schiitischen Bogen“ nennen, der jetzt vom Iran über Syrien bis in den südlichen Libanon hineingeht. Eine Militärkommission, an der der ehemalige deutsche Generalinspekteur Klaus Naumann beteiligt ist, hat gerade festgestellt, es sei keine Frage mehr, ob es einen neuen bewaffneten Konflikt zwischen der Hisbollah und Israel geben wird, sondern nur, wann der beginnen wird. Wegschauen ist in dieser Situation eben keine Option.
Es ist auch keine Option, sich durch diplomatische Ungeschicklichkeit aus dem Spiel zu nehmen. Herr Minister Gabriel, Sie haben ganz tolle Zustimmungswerte – ich vermute, manche Ihrer Kabinettskollegen schauen neidisch darauf –, aber Sie haben sie nicht wegen Ihrer Nahostpolitik.
Ihr erster Fehltritt – das sage ich als jemand, der Betselem geholfen hat in seiner Aktivität gegen das israelische NGO-Gesetz, der sich mit Breaking the Silence getroffen hat – war Ihr verpatzter Antrittsbesuch in Israel.
Ihr zweiter Fehltritt war der Eklat, den Sie kürzlich produziert haben, der dazu geführt hat, dass Saudi-Arabien, die sunnitische Führungsmacht, ihren Botschafter aus Berlin abgezogen hat. Das macht Deutschlands Rolle schwächer.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es wäre meiner Fraktion und mir lieber, wir würden in einer Zeit, in der wir ohnehin nur eine geschäftsführende Regierung haben, anstatt derartige Verwerfungen diplomatischer Art zu produzieren, einen europäischen Ansatz mit geduldigem Engagement, mit nachhaltiger Arbeit in der Region gemeinsam mit unseren Partnern verfolgen. Diese Partner in der Europäischen Union werden allein nicht ausreichen – das wissen wir –; wir brauchen auch Partner außerhalb der EU.
Hier will ich auf das zurückkommen, was Herr Röttgen gesagt hat: Früher wurde im Zusammenhang mit Nahost sozusagen in der Byline immer Camp David erwähnt. Heute wird Sotschi erwähnt. Die Zeiten haben sich geändert. Die Interessen, die wir in der Region gemeinsam mit den USA und Russland haben, müssen wir ausloten, um dort zu einer Stabilisierung beizutragen und um dafür zu sorgen, dass es nicht zu weiteren gewalttätigen Konflikten kommt, um dafür zu sorgen, dass nicht noch mehr Menschen unsägliches Leid erfahren müssen und die Notwendigkeit sehen, die Region fluchtartig zu verlassen und ihren Weg nach Europa anzutreten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Herzlichen Dank, Herr Graf Lambsdorff. – Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, darf ich eine kurze Vorbemerkung machen. Ich bin neu in diesem Parlament, wie Sie wissen. Sollte ich einen Namen falsch aussprechen, dann ist das der Tatsache geschuldet, dass ich
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Norddeutscher bin! – Heiterkeit)
– nein, nicht dass ich Norddeutscher bin – trotz meiner Bemühungen es nicht geschafft habe, sämtliche Mitglieder dieses Hohen Hauses in mein Bewusstsein aufzunehmen. Es kann aber auch an der Schrift des Schriftführers liegen.
(Heiterkeit)
Bitte weisen Sie mich darauf hin, wenn ich einen Namen falsch ausspreche.
Als Nächstes spricht Frau Sevim Dağdelen.
(Beifall bei der LINKEN)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
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Electoral Period | 19 |
Session | 3 |
Agenda Item | Aktuelle Stunde zur Lage im Nahen- und Mittleren Osten |