Gabriela HeinrichSPD - Aktuelle Stunde zur Lage im Nahen- und Mittleren Osten
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollegen und Kolleginnen! Wenn wir heute in der Aktuellen Stunde über den Nahen und Mittleren Osten sprechen, dann müssen wir uns natürlich die Situation der Menschen ganz konkret bewusst machen. Wir hören, dass der „Islamische Staat“ 95 Prozent seines Gebiets verloren hat. Das ist erst mal eine gute Nachricht; aber Frieden bedeutet es nicht, nicht in Syrien und auch nicht im Irak. Es wird weiter gemordet, es wird weiter zerstört, die medizinische Versorgung ist ausgesprochen schwierig, und die Kinder haben wenig Chancen auf Bildung und Ausbildung. Zukunft sieht anders aus.
Eine andere humanitäre Katastrophe und eine viel zu lange vergessene Krise finden wir im Jemen; der Kollege Nouripour hat völlig zu Recht einen Teil seiner Redezeit darauf verwendet. Auch ich finde, dass es unfassbar ist, dass wir uns mit diesem Thema so wenig beschäftigen, dass es so wenig bekannt ist. Wenn man heute „Jemen“ googelt, dann erscheint als Erstes der Spendenaufruf von UNICEF und nicht Informationen zu diesem Land. Schon vor der Krise – Sie haben es gesagt – war der Jemen das ärmste Land der Arabischen Halbinsel, betroffen von Wasserknappheit und Dürre. Nun ist er Opfer eines Stellvertreterkriegs zwischen Iran und Saudi-Arabien und mittlerweile in einer völlig unübersichtlichen Lage, weil viele bewaffnete Gruppen ihre ganz eigenen Ziele verfolgen. Die Bevölkerung muss das ausbaden: 10 000 Tote, davon 5 000 Zivilisten, 2 Millionen Menschen als Binnenvertriebene, über 200 000 Menschen mussten bereits flüchten.
Das Auswärtige Amt spricht völlig zu Recht von der größten humanitären Krise weltweit. Der Jemen zählt zu den aktuellen vier Hungerkrisen – zusammen mit dem Südsudan, Somalia und Nordost-Nigeria. 7 Millionen Menschen – es wurde bereits gesagt – sind akut von Hungersnot bedroht, 20 Millionen Menschen benötigen Hilfsgüter, um zu überleben, 15 Millionen Menschen haben keinen ausreichenden Zugang zu Gesundheitsleistungen, und 16 Millionen Menschen haben kaum ausreichend Zugang zu sauberem Wasser. Und in dieser Situation blockiert Saudi-Arabien jetzt, seit fast zwei Wochen, fast alle Häfen, Flughäfen und Grenzübergänge.
Zahlen sind das eine, aber noch einmal: Was bedeutet das konkret für die Menschen? Das bedeutet: Die Cholera ist ausgebrochen. Das ist laut WHO die größte Choleraepidemie weltweit. Viele Menschen sind bereits qualvoll daran gestorben. Schwangere Frauen verlieren ihre Babys, weil sie unterernährt und dehydriert sind.
Krankenhäuser sind zerstört. Lebenswichtige Medikamente und Impfstoffe bleiben an den Grenzübergängen hängen. Dadurch können nicht nur Kranke und Verwundete nicht behandelt werden, vielmehr drohen auch Millionen von Kindern schwere Schäden durch Diphterie, also durch eine vermeidbare Krankheit, oder sie sterben gar daran.
Deutschland beteiligt sich 2017 mit 125 Millionen Euro an der humanitären Hilfe für den Jemen, 2016 waren es 33,3 Millionen Euro. Und wir wissen, dass wir uns 2018 wieder auf enorme Hilfsleistungen einstellen müssen. Das ist eine humanitäre Verpflichtung, und ich hoffe sehr, dass das alle hier im Deutschen Bundestag auch weiter so sehen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Der Konflikt kann natürlich nur politisch gelöst werden. Die Forderung nach einer sofortigen Waffenruhe gehört ebenso dazu wie die Forderung an alle Konfliktparteien, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten. Die humanitäre Hilfe muss auch ins Land kommen können. Die Hilfsorganisationen im Jemen fordern, alle Häfen für humanitäre Hilfe, aber auch für kommerzielle Fracht zu öffnen.
Aus Deutschland fordern unter anderem CARE, Oxfam, ADRA, Aktion gegen den Hunger, Ärzte ohne Grenzen, Handicap International und World Relief dringend die sofortige Aufhebung der Blockade. Dem müssen wir uns anschließen. Deutschland und die internationale Gemeinschaft sind gefordert, auf Saudi-Arabien genauso wie auf den Iran einzuwirken. Sie müssen aufhören, Häfen zu blockieren und Konfliktparteien zu unterstützen.
Meine Damen und Herren, wir haben im letzten Jahr viel darüber gesprochen, dass wir in der Welt Verantwortung übernehmen müssen. Die humanitäre Hilfe, auch vom Deutschen Bundestag beschlossen, gehört dazu. Ich gehe davon aus, dass das weiter so bleiben wird und dass wir diese Verantwortung übernehmen werden.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herzlichen Dank. – Als Nächstes: Dr. Johann Wadephul, Schleswig-Holstein, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7174512 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 3 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Lage im Nahen- und Mittleren Osten |