Josip JuratovicSPD - Rückführung syrischer Flüchtlinge
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist schon ein bemerkenswerter Antrag, der uns da von der AfD vorliegt, bemerkenswert vor allem, weil die AfD als einzige Partei Deutschlands feststellt, dass in Syrien quasi Frieden herrscht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
„Sicherheitsrelevante Störungen“, wie sie es nennt, seien „nur noch in Teilen des Landes festzustellen“. Das Fazit: Daher könne man mit Staatschef Assad über ein Rückkehrabkommen für Geflüchtete verhandeln und deren Rückkehr sicher gestalten und finanziell unterstützen. Es wundert mich, dass Sie nicht gleich von blühenden Landschaften sprechen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Entweder haben Sie keine Ahnung in der Sache oder Sie sind bereit, über Leichen zu gehen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie wollen allen Ernstes ein Abkommen mit dem syrischen Diktator Assad abschließen und ihm Menschen, sogar Regimekritiker, anvertrauen?
(Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Ja!)
Lassen Sie sich, meine Damen und Herren, von mir als Ex-Bürgerkriegsbetroffenem, als Ex-Jugoslawe gesagt sein: Sie können versichert sein, ich wäre der Allererste, der Sektkorken knallen lassen würde, wenn diese Menschen nach Hause könnten. Der Großteil der Syrerinnen und Syrer würde mit wehenden Fahnen nach Syrien zurückkehren, um ihre Heimat wiederaufzubauen.
(Lachen bei der AfD)
Und wir würden hier stehen und ernsthaft über Unterstützung bei der Rückkehr debattieren.
Aber noch ist es ganz und gar nicht so weit. Und selbst wenn sich Russlands Präsident Putin und der syrische Machthaber gestern hingestellt und verkündet haben, eine politische Lösung in Syrien sei nahe, dann hören wir eine solche Nachricht mit sehr viel Skepsis. Denn sie wird von Autokraten verbreitet. Dass die AfD denen gerne Glauben schenkt, wundert mich nicht. Sie ist aus dem gleichem Holz geschnitzt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber wir von der SPD haben Ansprüche an demokratische Werte und schützen die Menschen vor gewalttätigen Regimen. Und das Assad-Regime ist ein gewalttätiges Regime. Dass der „Islamische Staat“ zurückgedrängt wurde, ist ein Fortschritt, aber überhaupt nicht ausschlaggebend; denn in Syrien tobt immer noch ein Bürgerkrieg. Das heißt, ein Regime geht mit aller Brutalität gegen seine Bürger vor. Hier ein paar traurige Beispiele dafür, was sich im Alltag in Syrien abspielt: Vor neun Tagen sind bei Luftangriffen auf einen Markt im syrischen Atareb mindestens 61 Menschen getötet worden, darunter auch Kinder. Der Ort gilt eigentlich als Deeskalationszone. Nicht einmal dort sind die Menschen mehr sicher. Bis heute ist nicht klar, ob es Kampfjets der syrischen Regierung waren oder die ihres größten Unterstützers Russland.
Im Oktober, also vor einem Monat, starben in einem Vorort von Damaskus zehn Menschen, darunter fünf Kinder, bei einem Granatenangriff syrischer Regierungstruppen. Ebenfalls im Oktober hat die Weltgesundheitsorganisation Angriffe auf Krankenhäuser und Nothelfer in Idlib und Hama verurteilt; ganz abgesehen von Orten in Syrien, in denen die humanitäre Lage so katastrophal ist, dass es dort wieder Hungertote gibt. Das ist also das friedliche Syrien, in das Sie Männer, Frauen und Kinder zurückschicken möchten?
(Zuruf von der AfD: Fast nur Männer! – Gegenruf der Abg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind auch Menschen!)
Ich könnte diese Aufzählung fortsetzen. Doch lassen Sie uns speziell bei der Sicherheit bleiben, die die AfD den Rückkehrern gewährleisten will. Seien Sie gewiss: Die Rachegelüste des Regimes gegen seine Gegner sind ungestillt. In einem Interview mit dem syrischen Staatsfernsehen drohte der mittlerweile getötete General der syrischen Regierungstruppen, Issam Zahreddine, den Millionen aus Syrien geflüchteten Menschen: Auch wenn der Staat ihnen vergebe, wir – gemeint sind die Republikanischen Garden, die Speerspitze der syrischen Armee – tun es nicht.
Und jetzt stellt die AfD sich hin und behauptet, die Syrerinnen und Syrer könnten ja zurückkehren. Als Beleg dafür führt sie die Zahl der Internationalen Organisation für Migration an: 600 000 Syrerinnen und Syrer seien ja bereits zurückgekehrt. Immerhin: Das ist tatsächlich eine Zahl, die von der IOM stammt. Doch was steckt wirklich dahinter? 600 000 sind nur 5 Prozent der 12 Millionen geflüchteten Syrerinnen und Syrer, die sich weltweit auf der Suche nach Sicherheit befinden. Die wenigen Rückkehrer sind zum allergrößten Teil Flüchtlinge innerhalb Syriens. Ein kleiner Rest kommt aus den Nachbarstaaten, die bereits unter den Millionen Flüchtlingen ächzen, die sie aufgenommen haben.
Im Bericht der IOM heißt es weiter – und das ist zentral –: Die Rückkehr der Syrerinnen und Syrer ist oft spontan, nicht unbedingt freiwillig, nicht sicher und nicht nachhaltig. Viele der Rückkehrer mussten danach erneut fliehen.
Was sagen uns also diese Zahlen? Dass Syrien sicher ist? Im Gegenteil. Sie hätten den Bericht vollständig lesen und sich nicht nur die Fakten heraussuchen sollen, die Ihnen in Ihre Ideologie passen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Dann hätten Sie gelesen, dass sich im gleichen Zeitraum erneut 810 000 Menschen auf die Flucht vor Krieg und Terror begeben haben, viele zum zweiten oder dritten Mal. Die Menschen, die zurückkehren – erschöpft und entwürdigt –, wollen schlicht nach Hause. Sie haben den Wunsch, heimzukehren und ihre Häuser wieder aufzubauen, auch wenn sie unter Umständen ihr Leben dabei riskieren. Aus diesem persönlichen Leidensdruck leiten Sie, Damen und Herren von der AfD, ab, Syrien sei sicher. Man könne nun mit dem syrischen Machthaber Assad, der Tausende in Folterkellern untergebracht hat, menschenfreundliche Schutzabkommen schließen. – Das ist an Zynismus schwer zu überbieten.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Worum es Ihnen bei dem Antrag eigentlich geht, ist doch dies: Sie wollen diese Menschen schlicht loswerden, egal ob sie ihre Rückkehr überleben oder nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie kleiden dieses menschenverachtende Ziel in ein humanitäres Gewand, nach dem Motto „Wir fordern eine sichere und kostenfreie Rückkehr“.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Einfach mal zuhören!)
Sie wissen ganz genau, dass dies nicht möglich ist. Sie sollten sich eigentlich schämen.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind eine Gesellschaft, die als Wertegemeinschaft angelegt ist. Und ja, manchmal ist es schwer, dem gerecht zu werden. Aber wir dürfen als Gesellschaft unsere ethischen und moralischen Ansprüche nicht aufgeben und auf ein reines Köpfezählen zurückfallen. – Was Sie von der AfD verkennen: Hier geht es nicht nur um Geflüchtete und darum, wie wir mit ihnen umgehen. Es geht auch um die Glaubwürdigkeit unserer Gesellschaft.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Meine Damen und Herren, die Sicherheitslage in Syrien lässt derzeit keine Verhandlungen der Bundesregierung mit dem syrischen Assad-Regime über ein Rückkehrabkommen zu. Natürlich werden das Parlament und die Bundesregierung so schnell wie möglich handeln, sobald es die Voraussetzungen glaubwürdig zulassen. Um das festzustellen, brauchen wir nicht die AfD. Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Für die FDP-Fraktion hat Stephan Thomae das Wort.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7174548 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 3 |
Tagesordnungspunkt | Rückführung syrischer Flüchtlinge |