Michelle MünteferingSPD - Bundeswehreinsatz gegen die Terrororganisation IS
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es ist noch nicht vorbei. Als wir Ende des Jahres 2015 von unseren französischen Freunden nach den schrecklichen Angriffen in Paris um Beistand gebeten wurden und wir erstmals über dieses Mandat zu entscheiden hatten, wütete der sogenannte „Islamische Staat“ mit unvorstellbaren Gräueltaten gegen Menschen und ihr kulturelles Menschheitsgedächtnis. Die eroberten Territorien wurden zum Rückzugsort und zur Basis für weltweite Angriffe. Zu Recht entschieden wir uns damals mit großer Mehrheit, zu handeln, und traten an der Seite unserer europäischen Partner der sogenannten Anti-IS-Koalition bei.
Die Mitglieder von Daesh, dem selbsternannten „Islamischen Staat“, hatten 2014 ein Territorium erstritten, das etwa so groß war wie Baden-Württemberg und Bayern zusammen, ein Territorium reich an Ölquellen. Mit den Einnahmen aus den Ölquellen, aus Antiquitäten-, Drogen- und Menschenhandel erbeuteten sie schätzungsweise – niemand weiß es so genau – zweistellige Millionenbeträge im Monat. Daraus bezahlten sie die Kämpfer und diejenigen, die willig ihre menschenverachtende Ideologie in der Welt verbreiten, sowie ihre Propagandaabteilung, die eigene Zeitungen herausgibt und die vor allem über das Internet ihr Gift auch in unserem Land zu verbreiten sucht.
Heute, fast sieben Jahre nach Beginn des Konflikts in Syrien, in dem Hunderttausende von Menschen im Bombenhagel ums Leben gekommen sind, versklavt, gefoltert oder vergewaltigt wurden, Menschen geflohen sind, ist die internationale Lage sicherlich nicht minder kompliziert, als sie es in den vergangenen Jahren war, im Gegenteil. Das Assad-Regime sieht sich als militärischer Sieger des Konflikts, unterstützt von Russland und Iran. Aber eine politische Lösung, die das Land nachhaltig befrieden und versöhnen könnte, ist weiterhin nicht in Sicht. Doch der IS hat weitgehend an Territorium und militärisch weitgehend an Bedeutung verloren. Das selbst ausgerufene Kalifat ist Geschichte. Am Wochenende wurde der IS gleich mehrmals für besiegt erklärt. Andere Nachrichten, die von neuer Präsenz der Terrormiliz in Idlib berichten, als auch schreckliche Angriffe, auf deren Urheberschaft sich der IS immer wieder beruft, lassen erahnen, dass dieser Kampf noch nicht vorbei ist. Zeitungsberichte, Interviews Überlebender oder Filme wie „City of Ghosts“, der online zu sehen ist, vermitteln uns angesichts neu aufkommender Konfliktlinien bereits einen neuen Feind zwischen den Trümmern der zerstörten Städte: das Gefühl der Perspektivlosigkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir bestimmen heute über die Verlängerung des Mandats um drei Monate bis zum 31. März kommenden Jahres. Danach – so steht es im Text – sollen „Fortschritte … gefestigt und weiterentwickelt werden“. Bei der ersten Einsetzung des Mandats in diesem Hause sprachen wir bereits über die Notwendigkeit einer internationalen Strategie, die militärisches Vorgehen einer Koalition zwar einschließt, aber politisch breiter angelegt sein sollte. So haben wir uns entschlossen, auch einen wesentlichen Beitrag bei der humanitären Hilfe zu leisten und gegen die Finanzströme des IS, etwa beim Antiquitätenhandel, vorzugehen. Beides haben wir vorangetrieben, allen Schwierigkeiten zum Trotz.
Unter den SPD-Außenministern Steinmeier und Gabriel ist Deutschland zu einem der größten internationalen Geber geworden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Nun, vor dem drohenden Winter, wird das Auswärtige Amt noch einmal 120 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Das ist gut, und das ist richtig so;
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, uns wird es dauerhaft nur gut gehen, wenn es auch anderen auf der Welt gut geht.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen Hardt [CDU/CSU])
Diesen Beitrag also auch künftig zur Priorität zu machen, wird umso wichtiger, weil der bloße Wiederaufbau für eine stabile Zukunftsperspektive nicht genügt. Humanitäre Hilfe, die weitere Entminung, die Wiederherstellung grundlegender Wasser- und Gesundheitsinfrastrukturen sowie die Unterstützung der Zivilgesellschaft sind dringend geboten. Es bedarf also einer klaren Strategie, wie der Übergang zu einer Friedensordnung gestaltet und Resilienzen gegenüber Extremismus geschaffen werden können, damit sich die Fehler der Vergangenheit, von denen auch die jüngere Geschichte dieser Region berichten kann, nicht ein weiteres Mal wiederholen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Es muss weiterhin alles getan werden, damit für den syrischen Bürgerkrieg, in dem die Auseinandersetzung mit dem IS ja nur ein Teil des Konflikts ist, endlich eine politische Lösung gefunden wird.
Angesichts dieser Herausforderungen sollte die neue Bundesregierung, die noch zu bilden ist, prüfen, ob nach Ablauf der drei Monate eine Reduzierung der Mittel bei Flugzeugen und Personal zugunsten eines verstärkten zivilen Engagements im Irak angemessen wäre. Es könnte außerdem geprüft werden, ob andere technische Mittel zur Aufklärung notwendig sind und wie dem entstehenden Vakuum durch den zunehmenden Abzug des IS begegnet werden kann, um eine mögliche Machtübernahme durch andere islamistische Gruppen zu verhindern. Darüber ist zu diskutieren.
Verehrte Damen und Herren, kluge Außenpolitik muss mit Sorgfalt und Weitsicht komplexe Konfliktursachen berücksichtigen und die Konsequenzen von Handeln und Nichthandeln umsichtig gegeneinander abwägen. Deswegen werbe ich heute um Ihre Zustimmung. Um es mit den Worten von Willy Brandt zu sagen: „Der Tag wird kommen, an dem der Hass, der im Krieg unvermeidlich scheint, überwunden wird.“
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Florian Toncar [FDP])
Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Hardt, CDU/CSU.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7180627 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 4 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz gegen die Terrororganisation IS |