13.12.2017 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 5 / Zusatzpunkt 7

Konstantin KuhleFDP - Opferentschädigung verbessern

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Reusch, es wäre schön, wenn wir jetzt nach fast zwei Stunden auch mal wieder über etwas anderes reden könnten als die Befindlichkeiten der AfD-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das hat mit Befindlichkeiten nichts zu tun!)

Die Familien der Opfer des schrecklichen terroristischen Anschlags am Berliner Breitscheidplatz haben sich vor kurzem mit einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin gewandt. Die Angehörigen machten in diesem Brief deutlich: Erstens. Sie sind von den verantwortlichen Stellen und von den Regelungen zur Opferentschädigung enttäuscht. Zweitens. Sie hätten sich früher Informationen über das Schicksal ihrer Angehörigen erwünscht und diese auch erwartet. Drittens. Sie empfinden die Regelungen zur Entschädigung von Angehörigen als zu kompliziert, als zu bürokratisch und oft auch als unzureichend. Viertens. Die Angehörigen verfolgen sehr genau, ob die Fehler der Politik und der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit der Gefahr, die von dem Attentäter Anis Amri schon vor dem Anschlag ausging, hier aufgearbeitet werden.

Es ist das Mindeste, was wir heute an dieser Stelle tun können – neben dem Ausdrücken unseres Mitgefühls –, dass wir klar und deutlich bekennen: Es tut uns leid –

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

es tut uns leid, dass die Verantwortlichen und die bestehenden Regelungen Sie enttäuscht haben, und wir entschuldigen uns dafür, dass auf diese Weise Verletzungen entstanden sind, jenseits der körperlichen Verletzungen.

Der Staat hat die Pflicht, die Bürgerinnen und Bürger zu schützen, und zwar nicht nur die eigenen Staatsbürger, sondern auch diejenigen, die sich in Deutschland aufhalten. Dazu verfügt er über das staatliche Gewaltmonopol. Wenn er nicht in der Lage ist, dieser Pflicht, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen, nachzukommen, dann wandelt sich diese Schutzpflicht in eine Entschädigungspflicht, dann wandelt sie sich in eine Pflicht, die Opfer von Gewalttaten und deren Familien angemessen zu behandeln. Insofern müssen die Erlebnisse und Erfahrungen der Familien der Opfer vom Breitscheidplatz Anlass sein, die bestehenden Regelungen zu überprüfen und auch das Verfahren auf den Prüfstand zu stellen. Denn die bestehenden Regelungen für die Entschädigung der Opfer und ihrer Angehörigen sind tatsächlich überarbeitungsbedürftig.

Macht es wirklich einen Unterschied, ob ein Opfer eines terroristischen Anschlags die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedslandes hat oder nicht? Macht es wirklich einen Unterschied, ob ausländische Opfer sich länger in Deutschland aufhalten oder als Touristen zum Opfer werden? Die Opferfamilien werfen in ihrem offenen Brief zu Recht die Frage auf, ob die Höhe der Entschädigung angemessen ist. Sie werfen die Frage auf, wie sich verschiedene berufliche Voraussetzungen auf die Entschädigung auswirken, zum Beispiel bei Kindern in Ausbildung, zum Beispiel bei Selbstständigen. Es darf nicht sein, dass Opferfamilien trotz materieller Entschädigung nach dem Anschlag schlechter dastehen als zuvor. Da muss etwas an den Entschädigungsregelungen geändert werden. Es ist gut, dass der vorliegende Antrag hier Abhilfe schaffen will.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ehrhorn?

Sehr gerne.

Verehrter Herr Kollege, natürlich – Sie haben es gerade gesagt – tut es Ihnen leid; uns allen tut es leid. Das ist völlig klar. Ich denke aber, das reicht in der Tat nicht. Wenn es um Entschädigungen für Opfer geht, dann reicht es nicht, über Beträge im Bereich von 10 000 Euro zu sprechen. – Das ist das eine.

Nun zu meiner Frage. Herr Kollege, sind Sie nicht vielleicht auch mit mir der Meinung, dass es eine Kausalität zwischen dem Umstand, dass wir lange Zeit die Sicherung unserer Grenzen vernachlässigt haben,

(Marianne Schieder [SPD]: Eijeijei!)

und diesen furchtbaren Vorfällen gibt? Ich rede dabei nicht von Toten, sondern auch von vielen vergewaltigten Frauen.

(Ulli Nissen [SPD]: Auf dem Breitscheidplatz, oder was?)

Wären Sie, wenn Sie anerkennen würden, dass es diese Kausalität gibt, vielleicht auch bereit, einzugestehen, dass wir eine Verantwortung für solche Vorfälle tragen?

(Beifall bei der AfD)

Eine solche Kausalität mag im Einzelfall vorliegen. Es ist jedoch ganz offen die Frage zu formulieren: Welche Möglichkeiten hat eigentlich die Politik, um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten? Da gibt es zwei Herangehensweisen: Es gibt diejenigen, die sich im Umgang mit solchen Ereignissen von Angst, von Hass, von negativen Gefühlen leiten lassen, und es gibt diejenigen, die klar und deutlich bekennen: Eine hundertprozentige Sicherheit wird es auch mit den von Ihnen vorgeschlagenen geschlossenen Grenzen nicht geben.

(Dr. Gottfried Curio [AfD]: Aber mehr!)

Das ist eine Illusion,

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

der man redlicherweise nicht verfallen sollte, wenn man sicherheitspolitisch seriös argumentieren will. Deswegen bitte ich darum, dass wir bei der Sache bleiben und uns den Brief der Opferfamilien noch einmal genau zu Gemüte führen, in dem sehr klar dafür plädiert wird, die Höhe der Entschädigungszahlungen massiv heraufzusetzen. Das unterstützt die FDP-Fraktion gerne, aber Ihre Kausalitätsspielchen nicht.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Neben der Überarbeitung der rechtlichen Regelung bedarf es auch einer Überarbeitung des Verfahrens. Schauen wir uns die beiden zentralen Anspruchsgrundlagen an. Das ist zum einen das Opferentschädigungsgesetz, und es sind zum anderen die sogenannten Härteleistungen für Opfer terroristischer Straftaten aus dem Bundeshaushalt. In beiden Regelungsbereichen läuft das Ganze im Falle Breitscheidplatz am Ende auf eine Härtefallregelung hinaus. Das Opferentschädigungsgesetz ist nach seinem Wortlaut nicht anwendbar auf Angriffe mit Kraftfahrzeugen. Erst durch eine ministerielle Vereinbarung kann ein Härtefall festgestellt werden. Bei der Opferentschädigung aus dem Bundeshaushalt verhält es sich ähnlich. Schon in der Präambel heißt es, auf die entsprechende Leistung bestehe kein Rechtsanspruch.

Das heißt: zweimal kein Anspruch, zweimal Härtefall. Das bedeutet doppelte Ungewissheit für die Menschen in dem Moment größter Trauer. Deshalb muss dieses Verfahren dringend überarbeitet werden. Es sollte zum Beispiel einen zentralen Ansprechpartner geben. Außerdem sollte man nur einen Antrag für verschiedene Leistungen stellen müssen, der dann von den entsprechenden Stellen gemeinsam geprüft wird.

Wir sind dafür, dass auch auf Bundesebene schnellstmöglich ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss zum Fall Amri eingesetzt wird. Wir sehen dem Abschlussbericht des Opferbeauftragten Kurt Beck mit Freude entgegen.

Lassen Sie mich noch einmal betonen: Wir können die schrecklichen Ereignisse vom Breitscheidplatz nicht rückgängig machen. Wir können aber gemeinsam daran arbeiten, dass die Opfer anständig behandelt werden und dass die Wahrscheinlichkeit für solche Taten in Zukunft sinkt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Für die Fraktion Die Linke spricht nun Dr. André Hahn.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7181841
Wahlperiode 19
Sitzung 5
Tagesordnungspunkt Opferentschädigung verbessern
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