18.01.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 7 / Tagesordnungspunkt 12

Rainer SpieringSPD - Digitalisierung in der Landwirtschaft

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Frau Präsidentin! Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Rängen! Es ist gut, wichtig und vor allen Dingen überfällig, dass wir heute über Digitalisierung in der Landwirtschaft sprechen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, wir hätten deutlich weiter sein können. Sie können sich daran erinnern, dass ich vor gut drei Jahren das erste Mal über Digitalisierung in der Landwirtschaft gesprochen habe. Leider waren Sie nicht so recht willig, mitzugehen.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ach, das kann doch gar nicht sein!)

Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das Papier, das wir 2016 zum Thema „Smart Farming“ erarbeitet haben. Kollegin Konrad, lesen Sie es sich ruhig durch. Sie werden alles finden, was Sie beschrieben haben. Wer lesen kann, ist häufig im Vorteil.

(Beifall bei der SPD – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Man muss es aber auch verstehen!)

Wir müssen eingestehen, dass wir den Bundesminister zwei Jahre belagert haben, damit Bewegung in die Digitalisierung in der Landwirtschaft kommt. Der Bundesminister sah sich leider nicht in der Lage, sich zu bewegen und zu rühren. Deswegen sind wir heute keinen Schritt weiter als vor zwei Jahren. Das bedauere ich sehr.

(Beifall bei der SPD)

Digitalisierung bedeutet Chancen und Risiken sowie Daten in einem unvorstellbaren Maße. Ich weise alle darauf hin, die sich mit Landwirtschaft auskennen: Die Parameter, die wir zu berücksichtigen haben – Wind, Wetter, Wasser, Luft, Bodenverhältnisse, Bodenphysik, Mensch, Maschinen und die Kommunikation dazwischen –, sind für die Digitalisierung in der Landwirtschaft eine deutlich größere Herausforderung als die Industrie 4.0. Smart Farming ist die Herausforderung in der Digitalisierung schlechthin. Wir werden sie bewältigen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Unser Ansatz, der sehr gut nachvollziehbar ist: Wir wollen Datenscheiben zum Schutz von landwirtschaftlichen Mittelständlern und mittelständischen Landmaschinenherstellern und vor allen Dingen der Bevölkerung im ländlichen Raum. Wir möchten nicht, meine Damen und Herren von der FDP, dass unsere guten Landmaschinenhersteller wie Amazone, Grimme, Krone, Claas, oder wie sie alle heißen

(Carina Konrad [FDP]: Die haben die Chancen bereits erkannt! – Hans-Georg von der Marwitz [CDU/CSU]: Fendt!)

– Fendt gehört doch zum amerikanischen Konzern –, zum Anhängsel von internationalen IT-Konzernen werden. Mit Ihrem vorliegenden Antrag würden Sie dem Tür und Tor öffnen. Das ist die große Gefahr. Ich werde gleich die Damen und Herren beim Namen nennen.

Die IT sorgt dafür, das Gleichgewicht zwischen ländlicher Produktion und guten Lebensbedingungen im ländlichen Raum herzustellen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf einen großen deutschen Politiker hinweisen. Willy Brandt hat Anfang der 60er-Jahre formuliert: „Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden.“ Dieser Satz ist ein Synonym dafür, dass wir zwar gut gearbeitet, aber die Umwelt vernachlässigt haben.

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

Willy Brandt hat die Ansage gemacht: Die Menschen müssen sich in dem Umfeld, in dem sie leben, wohlfühlen.

Wir haben seit dieser Zeit viel in Bewegung gesetzt, sehr viel sogar. Wir waren aufgrund hervorragender Innovationen und hervorragender Ingenieurtechnik und aufgrund von ausreichend Kapital in der Lage, den Standort Deutschland zu modernisieren.

Wir haben in den letzten 10, 20, 30 Jahren sehr viel erreicht. Wir sind effizienter geworden. Wir sind wesentlich besser im Umgang mit Energie geworden. Wir sind schlicht und ergreifend besser geworden. Aber hier gilt: Das ist gut, aber nicht gut genug. Genau an dieser Stelle befinden wir uns jetzt in der Landwirtschaft.

Die deutsche Landwirtschaft hat den Sprung in den internationalen Wettbewerb gemacht. Wir sind von einem Eigenversorger zu einem Exporteur geworden. Das hat Folgen, die wir auch kennen. Jetzt kommt die Analogie zum Ruhrgebiet, dass die Menschen sich dort, wo sie leben, wohlfühlen wollen. Das tiefe Gefühl, das wir den Menschen mitgeben müssen, ist: Ihr müsst euch wohlfühlen können. Deswegen werden wir in der deutschen Landwirtschaft, die ich für gut halte, dafür sorgen, dass die Unversehrtheit von Boden, Luft und Wasser – diese Begriffe sind uns wichtig – durch den deutschen Staat gewährleistet werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich werde Sie mit ein paar Zahlen konfrontieren – Sie kennen sie –: Wir haben 27 Millionen Schweine im Bestand. Es werden 54 Millionen Schlachtungen durchgeführt. Es gibt 12,4 Millionen Rinder, 1,8 Millionen Schafe und über 40 Millionen Legehennen. Wir erzeugen die sagenumwobene Summe von 210 Millionen Tonnen Gülle. Das CO 2 -Äquivalent, das deutschlandweit durch die deutsche Landwirtschaft entsteht, beträgt 7,4 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen. Damit ist die Landwirtschaft der zweitgrößte Einzelemittent. Und 95 Prozent des Ammoniakausstoßes stammen von der deutschen Landwirtschaft. Das gilt es zu berücksichtigen.

Gibt es Antworten? Ja. Boden, Luft und Wasser sind nicht vermehrbar, aber veränderbar. – Und das haben wir getan. Gegen diese Veränderungen müssen wir antreten. Wir haben einen ersten Schritt unternommen und auf Druck der SPD die Stoffstrombilanz entwickelt. Die Stoffstrombilanz ist aber nur anwendbar – da hat die Kollegin von der FDP recht –, wenn die Digitalisierung kommt. Nur dann kann sie zum Erfolg führen.

Die Frage ist: Wem überlassen wir die Stoffstrombilanz? Wem überlassen wir die Datenhoheit? Will man die Kontrolle und Prozesssteuerung hinsichtlich Ernährungskreisläufe, Tierwohl, Pflanzenwachstum und biologische Lebenszyklen in der Landwirtschaft dem multinationalen Agrarbusiness überlassen, dann folgt man der FDP. Der Slogan „Digital first. Bedenken second“ macht deutlich sichtbar, wie Sie ticken. Das erfüllt mich schon mit Schrecken.

(Christian Dürr [FDP]: Was genau ist Ihr Vorschlag, Herr Kollege? – Gegenruf der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Er hat keinen!)

Im Übrigen ist das ein tolles Denglisch. Das finde ich auch verwunderlich. Will man, dass Dow Chemical, Pioneer, Syngenta, DuPont, Monsanto und John Deere in der deutschen Landwirtschaft die Rolle von Google, Facebook und Twitter als Kontrolleure der Daten, als Meinungsmacher, als Meinungsvervielfältiger übernehmen? Will man das?

(Christian Dürr [FDP]: Was ist Ihr Vorschlag?)

Mit der Öffnung, die Sie vornehmen wollen, erreichen Sie genau das. Wir wollen das nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christian Dürr [FDP]: Erzählen Sie mal, was Sie wollen!)

Wir wollen das In und Out wissen. Wir wollen die Minimierung von fremden Stoffeinträgen, die negative Begleiterscheinungen haben. Ich nenne die Stichworte: Herbizide, Pestizide, Düngemittel, Antibiotika. Und wir wollen den Weg des Wirtschaftsdüngers Gülle nachvollziehen.

(Christian Dürr [FDP]: Um Datenansammlungen zu verhindern? Das ist wirr!)

Welche Voraussetzungen sind dafür zu schaffen? In diesem Bereich waren wir auch in den letzten vier Jahren deutlich zu schwach. Grundvoraussetzung ist die Physik. Das heißt, wir müssen Datenautobahnen schaffen, und zwar keine zweispurigen, sondern sechs- bis achtspurige. Wir haben völlig versagt bei der Digitalisierung des ländlichen Raums, bei Glasfasernetzen und allem, was dazugehört. Das ist etwas, was wir nicht hinbekommen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der AfD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christian Dürr [FDP]: Ja, die Große Koalition! Waren Sie nicht in der Regierungsverantwortung, Herr Kollege?)

Lassen Sie mich darauf hinweisen, dass wir uns einen Konzern, der quasi ein Staatskonzern ist, genauer anschauen müssen: Mit welchem Recht vernachlässigt die Telekom den ländlichen Raum bei der Versorgung mit mobilen Daten?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich denke, wir werden deutlich machen müssen, dass die Telekom einen klaren Auftrag hat, den ländlichen Raum mit Blick auf den Datenfluss so zu versorgen, dass man arbeiten kann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Die Telekom? Wieso denn die Telekom?)

Wir brauchen eine Cloud, staatlich gefördert und finanziert, in der Kenntnisse und Kompetenzen gebündelt werden. Wir brauchen Istzeit-Wetterdaten, wir brauchen die Bodenphysik, wir brauchen metagenaue Daten der Katasterämter, wir brauchen die Bodenbiologie, wir brauchen Satellitendaten – Tandem-L werden wir demnächst in Umlauf schicken –, wir brauchen die Definition von Schnittstellen, damit wir Stoffströme erfassen und leiten können. Datensicherheit hat absolute Priorität. Wir müssen den Ring schließen zwischen artgerechtem Leben, Biodiversität, Produktqualität, Produkteffektivität und Eigenständigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe.

Abschließend – –

Ja, bitte.

Der ländliche Raum mit seinen Seen, Bergen, Wiesen, Wäldern und Äckern ist ein Schatz. Lassen Sie uns diesen Schatz hüten, für uns, vor allem für unsere Kinder.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Spiering. – Zu seiner ersten Rede rufe ich auf: Uwe Schulz für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7192693
Wahlperiode 19
Sitzung 7
Tagesordnungspunkt Digitalisierung in der Landwirtschaft
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