Stephan ThomaeFDP - Änderung des Aufenthaltsgesetzes
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie haben von einem großen Thema gesprochen, einer großen Debatte, die aber nach unserer Auffassung auch eine große Vision benötigt, ein konzeptionelles Zu-Ende-Denken des ganzen Themas. Nachdem die Große Koalition es zwei Jahre lang nicht geschafft hat, ein Konzept zu entwickeln, wie wir Einwanderung endgültig und umfassend regeln wollen, fehlt mir der Glaube, dass Sie das in sechs Monaten schaffen.
(Beifall bei der FDP)
Deswegen stellen wir uns eine große Lösung vor: die Neuregelung der Zuwanderung von Menschen insgesamt. Der überwölbende Gedanke dieses Themas muss sein, eine Balance zu finden zwischen Möglichkeit und Menschlichkeit. Wir wollen eine rechtsstaatliche – nicht eine rechte – Lösung, in der wir klare Regeln schaffen, ohne uns abzuschotten.
(Beifall bei der FDP)
All das muss man konzeptionell zu Ende denken.
Wir brauchen eine klare Unterscheidung zwischen dem Asylrecht für Menschen, die persönlich, individuell in ihrer Heimat verfolgt werden, sowie Menschen, die auf der Flucht vor Krieg und Bürgerkrieg sind, und Arbeitsmigration. Wir brauchen eine Regelung für Menschen, die als Arbeitsmigranten für begrenzte Zeit oder dauerhaft zu uns kommen wollen. Das müssen wir nicht fürchten, aber wir müssen es klar ordnen und regeln.
(Beifall bei der FDP)
Heute befassen wir uns mit einem granulären Sonderthema: dem Familiennachzug von Menschen, die subsidiären Schutz für vorübergehende Zeit bei uns bekommen haben. Dazu gibt es keine völkerrechtliche Verpflichtung, das ist weder in der Genfer Flüchtlingskonvention noch in der EMRK noch in der UN-Kinderrechtskonvention noch in der europäischen Familienzusammenführungsrichtlinie festgelegt. Es ist etwas, was mit unserem Grundgesetz zu tun hat.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
Unser Grundgesetz geht weiter als völkerrechtliche Verpflichtungen.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Da sind wir stolz drauf!)
Deswegen stehen wir zu dieser weiter gehenden Verpflichtung, die das Grundgesetz uns auferlegt.
(Beifall bei der FDP)
Im Jahr 2016 wurde vor dem Hintergrund des großen Zustroms in den Jahren 2015 und 2016 der Familiennachzug ausgesetzt. Jetzt, nach zwei Jahren, stellen Sie überraschend fest, dass eine Frist abläuft, Sie zwei Jahre nichts getan haben und jetzt noch schnell eine neue Regelung finden müssen.
Es sind nicht einmal verlässliche Zahlen darüber zu bekommen, mit welchem Nachzug wir eigentlich zu rechnen haben. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung spricht von 50 000 bis 60 000 Personen, die Regierung geht von 200 000 oder mehr aus. Wir haben keine Ahnung; wir stochern mit der langen Stange im dichten Nebel.
Wir sind der Meinung, dass wir auf die begrenzten Möglichkeiten Rücksicht nehmen müssen. Wir sehen in der Tat die Notwendigkeit, den Familiennachzug kurz vor Fristablauf erneut auszusetzen; denn wir brauchen Zeit, um dieses große Thema, von dem Sie, Herr Minister, gesprochen haben, insgesamt und endgültig konzeptionell neu zu ordnen. Deswegen schlagen wir als Freie Demokraten vor, uns für dieses große Thema Zeit zu lassen und den Nachzug noch einmal für zwei Jahre auszusetzen. Das kann aber bedeuten, dass Familien bis zu vier Jahre getrennt sind. Aus diesem Grund ist aus unserer Sicht eine Korrektur dringend nötig, die dem Gebot der Menschlichkeit Rechnung trägt. Wir müssen Härtefälle berücksichtigen und bei solchen den Familiennachzug ermöglichen.
Eine Zahl von 1 000 Härtefällen, die Sie, Herr Minister, vorschlagen, ist völlig willkürlich gegriffen.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Niels Annen [SPD])
Wo kommt sie eigentlich her? 1 000 kann einmal zu viel sein, es kann einmal zu wenig sein. Es kann einmal mehr als 1 000 Härtefälle geben, und es kann einmal weniger geben. Das müssen wir ordnen.
Darüber hinaus müssen wir das Thema der gut integrierten Selbstversorger angehen. Wie viele Menschen leben hier im Lande, die sich selbst versorgen, die gut integriert sind, deutsch sprechen, straffrei geblieben sind, vielleicht die F-Jugend im Fußballverein ihres Dorfes trainieren. Das sind doch Menschen – jetzt schimmert schon ein bisschen unser Konzept des Einwanderungsrechts durch –, von denen wir sagen würden: Warum sollen wir solche Menschen, die sich bei uns gut integriert haben, in der Gesellschaft, im Arbeitsmarkt einen Platz gefunden haben, die Steuern zahlen und auch für ihre Angehörigen ein gutes Vorbild sein werden, abschieben?
(Beifall bei der FDP)
Deswegen – damit komme ich zum Schluss – glauben wir: Wir sollten nicht noch einmal herumstöpseln und zu willkürlich gegriffenen Lösungen greifen. Wir brauchen ein Konzept. Dafür brauchen wir Zeit. Insofern ist der Vorschlag der FDP um Welten besser als Ihr Vorschlag.
(Beifall bei der FDP)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke von der Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7193000 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 8 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Aufenthaltsgesetzes |