Thomas HitschlerSPD - Zwei-Prozent-Rüstungsziel der NATO
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was würde eigentlich geschehen, wenn die Bundesrepublik Deutschland die zur Erreichung des 2-Prozent-Ziels der NATO bis 2024 notwendigen Maßnahmen umsetzen würde? Der Kollege Pflüger hat darauf schon den einen oder anderen Hinweis gegeben. Wollten wir dieses Ziel erreichen, müssten wir den Verteidigungshaushalt um gut ein Drittel aufpumpen. Das entspräche etwa 20 Milliarden Euro. Ich weiß, dass hier die Berechnungen ein Stück weit auseinandergehen.
(Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Genau!)
Von den Befürwortern des 2-Prozent-Ziels möchte ich gerne hören, womit die immensen Mehrausgaben kompensiert werden sollen: Durch höhere Steuern, weniger Sozialausgaben, Verzicht auf Digitalisierungsprojekte? Die Antwort darauf bleiben viele schuldig.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Würden wir das 2-Prozent-Ziel bis 2024 erreichen, wären wir schlagartig die größte Militärmacht des Kontinents, und das mit Abstand. Ich halte das für kein erstrebenswertes Ziel.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich glaube auch nicht, dass eine deutsche Dominanz für die europäische Sicherheit positiv wäre. Besser wäre es, wenn wir uns um einen harmonisierten Anstieg der europäischen Verteidigungshaushalte bemühen würden. Die Ausgaben liegen bei den meisten EU-Ländern konstant auf einem ähnlichen Niveau. Mehr Europa wäre auch hier die richtige Antwort.
Die Probleme, die unser Rüstungswesen in den letzten vier Jahren hatte, lagen sicherlich nicht nur an einem zu niedrigen Budget. Wir sind schon jetzt kaum in der Lage, das vorhandene Budget voll auszuschöpfen. Etwas mehr Personal bei den Beschaffungsbehörden – vor allem Ingenieure und Techniker – wäre hilfreich.
(Beifall bei der SPD – Rüdiger Lucassen [AfD]: Zehntausende fehlen!)
Durch effizientere, gemeinsame europäische Beschaffungsprozesse ließe sich gleichzeitig deutlich mehr erreichen, als wenn wir einfach den Geldhahn aufdrehten. Für die Weiterentwicklung der europäischen Rüstungsindustrie wäre es sogar kontraproduktiv, wenn wir mit kurzfristig aufgepumpten Wehretats das Klein-Klein nationaler Rüstungsindustrien weiter zementierten. Es gilt – darin stimme ich dem Kollegen Otte zu –, PESCO mit Leben zu erfüllen, um die Effizienz der eingesetzten Finanzmittel zu erhöhen.
Bevor wir die Ausgaben so deutlich erhöhen, sollten wir zunächst Folgendes klären: Warum und wofür? Wir Sozialdemokraten fordern eine grundsätzliche Debatte über Sinn und Zweck unserer Verteidigungspolitik und unserer strategischen Ausrichtung. Leider hat sich die Bundeskanzlerin in der vergangenen Legislaturperiode dieser Debatte verweigert. Aber wir brauchen grundsätzliche Überlegungen, um daraus sinnvoll ableiten zu können, warum und wofür wir welche Mittel benötigen.
(Beifall bei der SPD)
Das starre 2-Prozent-Ziel gibt keine sinnvolle Antwort auf das Warum und das Wofür. Deshalb lehnen wir es genauso ab wie Ihren Antrag. Wir teilen nämlich nicht die dahinterstehende Grundintention. Wir wollen die Finanzierung und die Verantwortung für unsere Sicherheit nicht einfach auf andere schieben.
Etwas mehr Geld brauchen wir schon. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten denken dabei an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Bundeswehr, die Soldatinnen und Soldaten, aber auch an die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir wollen nicht nur neues Personal gewinnen – ich habe eine Stelle beschrieben, bei der dringender Personalbedarf besteht –, sondern uns auch um die jetzigen Angehörigen der Bundeswehr kümmern, also um den Bestand. Wenn Sie einmal mit diesen Menschen sprechen, dann werden Sie feststellen, was alles fehlt. An diesem Punkt müssen wir ansetzen.
(Beifall bei der SPD)
Wir müssen die Situation der Angehörigen bei der Vereinbarkeit von Familie und Dienst verbessern. Wir müssen den Dienst insgesamt attraktiver machen, finanziell, aber auch bei anderen Faktoren. Wir müssen eintreten für eine modernisierte Infrastruktur, gut ausgestattete Arbeitsplätze, bessere Unterkünfte, Sanitäts-, Sport- und Betreuungseinrichtungen sowie eine aufgabenorientierte Ausstattung und moderne Ausrüstung, die unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz bestmöglich schützt und die schon da ist, bevor wir die Soldaten in den Einsatz schicken, genauso wie für eine gute Ausbildung, zu der auch das passende Material gehört. Genau dem muss sich die kommende Regierung stellen.
Abschließend: Das Etatrecht ist das Königsrecht des Parlaments. Wie viel Geld die Bundesrepublik für Verteidigung ausgibt, entscheidet noch immer der Bundestag, und zwar dann, wenn er den Gesamthaushalt beschließt. Wir stehen für ein selbstbewusstes Parlament, das diese Entscheidung dann trifft, wenn sie ansteht. Diesen Antrag brauchen wir dafür nicht. Die Debatte halte ich trotzdem für wichtig. Die Überweisung an die zuständigen Ausschüsse ist deshalb absolut richtig.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Als Nächster spricht für die AfD-Fraktion Rüdiger Lucassen.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7193059 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 8 |
Tagesordnungspunkt | Zwei-Prozent-Rüstungsziel der NATO |