Stephan ThomaeFDP - Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute vier Gesetzentwürfe und einen Antrag und hören von Ihnen, Herr Bundesinnenminister, dass Sie einen Kompromiss, also einen Ausgleich, zwischen den Vorstellungen der Union und den Vorstellungen der SPD gefunden haben. Sie haben uns auch erläutert, was ein Kompromiss ist. Was Sie aber nicht sagen, ist, dass dieser Kompromiss jemanden kompromittiert, nämlich die SPD. Denn die Streitigkeiten um die Lesart und die Deutung Ihres Änderungsentwurfs beginnen schon. Hat sich denn nun die Union auf ganzer Linie durchgesetzt, oder hat die SPD Spuren hinterlassen? Vielleicht kann ich bei diesem Streit für eine Lösung sorgen. Die Union hat sich auf ganzer Linie durchgesetzt.
(Beifall der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das, was Sie uns heute vorlegen, ist das, was Sie von der Union schon immer gesagt haben, nur sprachlich schlechter und eigentlich völlig unverständlich. Ich will kurz sagen, weshalb das so ist.
(Beifall bei der FDP)
Sie sagen: Bis zum 31. Juli dieses Jahres gibt es keinen Familiennachzug. Ab dem 1. August dieses Jahres gibt es ein Kontingent von 1 000 Menschen pro Monat aus humanitären Gründen. Schon hier beginnt die Unklarheit. Ist das ein Tatbestandsmerkmal? Können also maximal 1 000 Menschen aus humanitären Gründen nachziehen, oder erlauben Sie aus humanitären Gründen – sozusagen als Begründung – 1 000 Menschen den Nachzug plus Härtefälle, so wie es die SPD deuten will? Aber so steht es nicht im Gesetz. Dort heißt es: 1 000 Menschen aus humanitären Gründen – was auch immer das genau ist –, bis die Zahl von 1 000 erreicht ist. – Das ist immer Ihre Vorstellung gewesen, meine Damen und Herren von der Union. 1 000 ist nichts anderes als eine Obergrenze. Sie schaffen sogar eine Obergrenze für Härtefälle. Das kann nicht angehen.
(Beifall bei der FDP)
Herr Kollege Thomae, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hagedorn?
Ja, gestatte ich.
Lieber Herr Kollege Thomae, ich finde das ganz spannend. Sie haben darauf hingewiesen, dass vier Gesetzentwürfe vorliegen, davon einer von der FDP. Sie arbeiten sich in Ihrer Redezeit hauptsächlich an dem zwischen CDU/CSU und SPD gefundenen Kompromiss ab.
(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Seine Rede ist doch noch nicht vorbei!)
Schon die Zwischenfrage von Herrn Kubicki an unsere Kollegin Eva Högl hat den falschen Eindruck erweckt, als ginge der FDP die Regelung zum Familiennachzug nicht weit genug.
Fakt ist aber,
(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Sie müssen eine Frage stellen!)
– ich muss keine Frage stellen; lesen Sie einmal die Geschäftsordnung –
(Beifall bei der SPD – Dr. Marco Buschmann [FDP]: Sie haben aber eine Frage angekündigt!)
dass die FDP einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der auf eine Aussetzung des Familiennachzugs für die nächsten zwei Jahre abzielt. Auch die Kollegen von den Grünen haben im Rahmen der Jamaika-Verhandlungen eine Aussetzung für ein Jahr vorgesehen. In Wahrheit bringt also der zwischen Union und SPD gefundene Kompromiss, was den Familiennachzug angeht, den Menschen, um die es geht, deutlich mehr Humanität als der Gesetzentwurf der FDP und übrigens auch mehr als der Vorschlag der Grünen.
(Beifall bei der SPD)
Frau Kollegin Hagedorn, bitte lesen Sie unseren Gesetzentwurf ganz und gründlich. Wir wollen in der Tat keinen ungeregelten, kompletten Nachzug, sondern einen geregelten Nachzug. Unsere Regelung sieht zwar eine weitere Aussetzung vor. Aber der springende Punkt ist – das haben Sie offensichtlich nicht gelesen – unsere Härtefallregelung. Ein Härtefall kann demnach sowohl in der Person, die bereits hier im Land lebt, als auch in der Person, die nachziehen will, begründet sein. Nun kommt der große Unterschied. Wir sagen: Warum wollen wir nicht auch den Menschen, die gut integriert sind, sich selbst versorgen, Arbeit gefunden haben, Deutsch sprechen, straffrei geblieben sind, Geld verdienen, Miete und Steuern zahlen, den Nachzug der Familie ermöglichen? Das ist der wesentliche Unterschied. Dazu finde ich in Ihrem Entwurf nichts, aber auch gar nichts.
(Beifall bei der FDP)
Da Sie der Anhörung, die wir am Montag zum Familiennachzug durchgeführt haben, beigewohnt haben, haben Sie vielleicht bemerkt, dass dort etwas ganz Seltenes und Außergewöhnliches passiert ist. Sogar die von der Regierung benannten Sachverständigen haben klar und deutlich attestiert, dass die vorgesehene Kontingentierung auf 1 000 Menschen pro Monat eine Zwischenlösung sein kann, dass aber letztlich der Vorschlag der FDP richtig ist, die Härtefälle klar zu definieren.
(Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andrea Nahles [SPD]: Faktencheck!)
Auch der Vertreter des Deutschen Städte- und Gemeindebundes hat deutlich gemacht, dass das, was die FDP vorgelegt hat, schon die endgültige Lösung durchschimmern lässt, dass unser Entwurf richtig ist und dass es in diese Richtung gehen muss. Es kommt ganz selten vor, dass sogar die von einer Regierung benannten Sachverständigen einen Oppositionsentwurf für richtig halten.
(Beifall bei der FDP)
Stattdessen sieht die jetzt beschlossene Regelung vor, dass ab 1. August 2018 bis zu 1 000 Betroffenen pro Monat der Nachzug ermöglicht werden soll; bei Ihnen ist sogar eine Kontingentierung der Härtefälle vorgesehen. Was bewirken Sie denn damit, Herr Bundesminister? Sie bewirken, dass sogar bei der Behandlung der Härtefälle Warteschlangen von Menschen entstehen. Gleichzeitig sagen Sie nicht, wie Sie bei den Härtefällen priorisieren wollen. Wie wollen Sie denn sicherstellen, dass nicht die schlimmsten, gravierendsten Fälle am längsten warten müssen? Keinerlei Antwort darauf findet sich in Ihrem Gesetzentwurf.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Herr Kollege Thomae, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ich kann noch unendlich lange reden, sehr gerne.
Das fürchte ich schon.
(Heiterkeit)
Ich rede mich gerade erst in Rage.
Frau Esken, bitte.
Herr Kollege Thomae, was schätzen Sie, wie viele Jahre ein geflüchteter Mensch hier bei uns gut integriert sein muss, um Deutsch zu sprechen, eine Wohnung zu haben, diese Wohnung bezahlen zu können, eine Arbeit zu haben, damit Sie ihm erlauben würden, seine Familie nachzuholen?
Frau Kollegin, da schätzen Sie mich völlig falsch ein. Wir haben bereits eine ganze Reihe von Menschen, die seit gar nicht allzu langer Zeit hier leben, gut Deutsch sprechen, sich redlich verhalten, gegen die kein Einwand besteht, die hier arbeiten und in der Lage sind, ihre Familie nachzuholen. Ich kann Ihnen keine Zahlen nennen. Aber dass es solche Fälle bereits jetzt gibt, daran kann in meinen Augen kein Zweifel bestehen.
(Beifall bei der FDP)
Was wir erreichen wollen, ist, dass Menschen, die Leistung zeigen, ihre Familien nachholen können. Das aber ist in Ihrem Entwurf nicht zu erkennen. Deswegen sind wir der Meinung, dass das, was Sie uns hier vorlegen, für eine christlich ausgerichtete Regierung nicht der große Wurf sein kann. Ich glaube, Sie verschieben die Lösung dieses Problems auf einen noch zu erlassenden Gesetzentwurf, der dann kommen soll, wenn die Tinte unter dem Koalitionsvertrag trocken ist. Was dann kommt, darauf sind wir sehr gespannt. Ich bin jedenfalls gespannt, Frau Nahles, Herr Schulz, wie Sie Ihrer Partei das, was hier von Ihnen als Kompromiss ausgehandelt worden ist, schmackhaft machen wollen.
(Andrea Nahles [SPD]: Das lassen Sie mal unsere Sorge sein! Wir kriegen das schon gebacken!)
Wir sind sehr gespannt, wie es mit diesem Thema weitergehen wird.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Danke sehr. – Jetzt hat das Wort der Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Dr. Dietmar Bartsch.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7197675 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 11 |
Tagesordnungspunkt | Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten |