Burkhard LischkaSPD - Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir spüren es auch in dieser Debatte: In den letzten Wochen und Monaten wurde über kaum ein Thema so erbittert diskutiert wie über das Thema des Familiennachzugs. Die Diskussion war kontrovers, teilweise heftig und auch unversöhnlich. Das ist auf der einen Seite verständlich: Familie ist etwas ganz, ganz Wichtiges. Unsere Verfassung schützt Ehe und Familie, und zwar aus gutem Grund. Überall auf der Welt gilt: Kinder gehören zu ihren Eltern, genauso wie Ehefrau und Ehemann zusammengehören. Andersherum ist aber auch nachvollziehbar, dass gerade Städte und Gemeinden auf eine Steuerung von Zuzug drängen. Denn sie sind es, die sich vor Ort um Schulplätze, Kitaplätze und Wohnungen kümmern müssen.
Gleichwohl sage ich bei aller Wichtigkeit dieses Themas: Manchmal konnte man in den letzten Wochen schon den Eindruck gewinnen, wir hätten in unserem Land sonst keine gravierenden Probleme. Der CSU möchte ich ganz ehrlich sagen: Die Hartnäckigkeit, die Sie beim Thema Familiennachzug an den Tag gelegt haben, würde ich mir hin und wieder auch bei anderen Problembereichen wie gute Pflege, faire Löhne und armutsfeste Renten wünschen.
(Beifall bei der SPD – Jan Korte [DIE LINKE]: Unser Reden!)
Dieses Land hat sicherlich noch mehr Herausforderungen zu meistern als den geordneten Zuzug von 60 000 Kindern und Ehefrauen.
Damit kommen wir zu den Zahlen. Die meisten Experten und Studien sagen uns: Wenn wir den Familiennachzug wieder komplett zulassen, kommen etwa 60 000 Menschen zu uns ins Land. Das ist die eine Position. Die andere Position in dieser Debatte lautet: Wir setzen den Familiennachzug weiter komplett aus, dann kommt keiner.
Jetzt kommen wir zu den Planungen von Union und SPD, nämlich 1 000 Menschen pro Monat ab Sommer den Familiennachzug zu ermöglichen.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Bis zu!)
Das bedeutet, liebe Kolleginnen und Kollegen: bis Ende dieser Legislaturperiode etwa 40 000. Wenn man ganz nüchtern diese Zahlen betrachtet – null bei einer Aussetzung, 60 000 bei einer kompletten Wiederaufnahme des Familiennachzuges, und die Zahl von 40 000 mittendrin –, dann wird man doch nur zu dem Schluss kommen können, den auch Herr de Maizière gezogen hat: Das ist ein Kompromiss. – Die Zahl von 40 000 liegt zwischen null und 60 000. Das ist ein Mittelweg zwischen den Maximalforderungen.
Wir haben jetzt, ab Sommer, Planbarkeit für unsere Kommunen. Kein Bürgermeister muss irgendeine Turnhalle räumen, nur weil in den nächsten Jahren 40 000 Menschen zu uns nach Deutschland, einem Land mit über 80 Millionen Einwohnern, kommen. Aber ich sage auch ganz deutlich: 40 000 Menschen heißt, dass die Mehrheit der Betroffenen ihre Familienangehörigen in dieser Wahlperiode wieder wird in die Arme schließen können. Und ja, dass wir Familiennachzug in dieser Größenordnung überhaupt ermöglichen – was weit über die Verabredung von Jamaika hinausgeht –, ist ein Erfolg der Sozialdemokratie.
(Beifall bei der SPD)
Herr Kollege Lischka, Frau Kollegin Baerbock würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ja, okay.
Vielen Dank, Herr Lischka. Da Sie gerade Jamaika angesprochen haben: Es ist ja gut, dass Sie etwas wissen, was da gar nicht vereinbart wurde; aber sei’s drum.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich komme zu meiner Frage. Sie haben gesagt, dass man es mit Ihrer Regelung innerhalb von vier Jahren schafft, 40 000 Menschen nach Deutschland zu holen. Sie haben by the way gesagt: Ach, was soll das Emotionale hier? – Wissen Sie, was vier Jahre bedeuten? Viele hier haben Kinder. Nehmen Sie meine zweijährige Tochter: In vier Jahren ist sie sechs. Es ist ja nicht so, dass sie vier Jahre in einem Land sind, in dem sie einfach mal zur Schule gehen können. Diese Kinder sind in einem Kriegsgebiet. Das heißt, vier Jahre setzen Sie diese Kinder jeden Tag der Gefahr aus, von einer Bombe getötet zu werden, Herr Lischka. Deswegen frage ich Sie jetzt: Wenn Sie sagen, dass eigentlich alle hierherkommen sollen, warum holen Sie sie dann nicht jetzt?
Zur Frage des Innenministers. Hier gab es jetzt unterschiedliche Ausführungen zu den Zahlen, auch schon auf die Zwischenfrage von Frau Sitte. Werden jetzt die 1 000 auf die Härtefälle angerechnet, oder werden die Härtefälle auf die 1 000 angerechnet?
(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir doch schon geklärt!)
Wir haben Herrn de Maizière ganz genau zugehört. Da kam auch noch der Punkt, dass die 1 000 auf die Flüchtlinge aus Italien und Griechenland angerechnet werden. Das sind ja Kontingente, die die Bundesrepublik Deutschland den europäischen Partnern zugesagt hat. Wenn stimmte, was Herr de Maizière gerade gesagt hat, dann hieße das ja, dass wir sogar die Kontingente für Flüchtlinge aus Italien und Griechenland kürzen, wo die Leute schon jetzt seit anderthalb Jahren warten. Was bedeutet das eigentlich für die Zusage der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Europäischen Union? Was wird denn dann die Antwort der anderen Länder sein? Erklären Sie: Was wird wo wie angerechnet? Sonst können Sie niemals sagen, dass in vier Jahren alle Menschen da sein werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Sehr geehrte Frau Kollegin, ich kann Ihnen ganz einfach erklären, was unsere Lösung bedeutet: dass ab Sommer Monat für Monat 1 000 Kinder hier nach Deutschland kommen können. Wo Sie den Familiennachzug ein Jahr ausgesetzt hätten, holen wir in einem Jahr 12 000 Kinder ins Land.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE] – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unwahrheit! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht!)
Das ist der Unterschied zwischen diesen beiden Konzepten.
Menschlichkeit und Steuerung – das ist die einfache Formel für unseren Kompromiss.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt auch nicht! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nee! Jetzt reicht’s langsam!)
– Ja! – Ich finde, mit dieser Formel kann unser Land gut leben.
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Lischka, das wissen Sie doch besser! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich weiß: Kompromisse sind nicht dafür da, jeden glücklich zu machen. Und ich weiß: Wer weiterhin seine Maximalforderungen vertreten wird, der wird an dieser Lösung kein gutes Haar lassen. Aber ich sage auch: Verantwortungsvolle Politik darf nicht auf Dauer bei Maximalforderungen verharren, sondern sie muss Brücken bauen, gerade bei solchen Streitigkeiten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Ich finde, wenn wir das jetzt hier gemeinsam machen, ist das nicht das schlechteste Zeichen für Deutschland.
Danke.
(Beifall bei der SPD)
Jetzt erteile ich der Kollegin Dr. Petry das Wort.
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Electoral Period | 19 |
Session | 11 |
Agenda Item | Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten |