Mahmut ÖzdemirSPD - Demokratieklausel
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Unser Zusammenleben in diesem Land wird von zwei Dingen getragen: dem Grundgesetz und dem Beherrschen der deutschen Sprache. Der Geist des Grundgesetzes wird beatmet von der niedergeschriebenen freiheitlich-demokratischen Grundordnung und den daraus folgenden Rechten, beispielsweise dem Recht auf Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und freie Wahlen.
(Beifall bei Abgeordneten der AfD)
Unser Land ist eine Verantwortungsgemeinschaft, die auf den grundrechtlich garantierten und unumstößlichen Werten fußt. Keiner von uns hat sich je das Grundgesetz vorgenommen und handschriftlich unterschrieben als eine Sammlung von Klauseln, denen wir uns unterwerfen. Und doch: Es ist unser Gesellschaftsvertrag, den wir ehren, den wir achten, aber vor allem schützen. Zum Schutze des Grundgesetzes bestellt der Staat Polizeibehörden, Staatsanwälte und Richter. Doch der beste Schutz sind Menschen, die mit den Chancen, Rechten und Pflichten des Grundgesetzes aufwachsen. Gerade deshalb richten sie bewusst oder unbewusst ihr Handeln danach aus, weil sie die Freiheiten, die sie genießen, als Kehrseite desselben Freiheitsrechtes bewahren wollen.
Nach dieser idealisierten Betrachtungsweise gebe ich gerne zu, dass wir dennoch Anlass genug haben, mit Misstrauen und Argwohn auf Gesetzesverstöße zu blicken. Besonders verwerflich ist das, wenn das Vertrauen des Staates, etwa durch eine Zuwendung, enttäuscht würde. Was ist also der beste Schutz gegen eine solche Enttäuschung? Vertrauen oder Misstrauen zu Beginn? Die SPD-Fraktion hat sich damals für das Vertrauen in den Rechtsstaat und die Zuwendungsempfänger entschieden und diese Demokratieklausel hinsichtlich ihrer unbestimmten Rechtsbegriffe – ich zitiere: „Anschein der Unterstützung extremistischer Strukturen“ – kritisiert. Das Verwaltungsgericht Dresden bestätigte diese Haltung. Die Verpflichtung zu bestimmten Weltanschauungen oder Bekenntnissen und folglich damit einhergehende Grundrechtsbeschränkungen sind nur in bestimmten Gewaltverhältnissen zulässig. Einbürgerungen, das Beamtenverhältnis sind solche Fälle, ein Zuwendungsverhältnis zwischen Staat und Privaten sicherlich nicht.
Ein gesetzliches Förderprogramm ist durchdacht. Es setzt Vergabeverfahren voraus. Eine Armada von Verwaltungsvorschriften und eine Prüfung von Voraussetzungen und Bedingungen sowie die belebende Konkurrenz von sich bewerbenden Vereinen und Verbänden gehen einer solchen Förderung voraus. Viele würdigen das als Bürokratiewahn herab. Ich sehe darin ein Verfahren, das Recht und Gesetz in Entscheidungen konkretisiert und im Übrigen auch jetzt schon die Möglichkeit kennt, fehlerhafte Förderbewilligungen zu revidieren. Ein Blick in das Verwaltungsverfahrensgesetz würde die Rechtsfindung sicherlich erheblich erleichtern. Eine Institution, die demokratiefeindlich ist oder wäre, begibt sich doch nicht freiwillig unter das Joch einer staatlichen Überprüfung. Ich sage Ihnen: Selbst wenn – unsere Demokratie fürchtet sich nicht, nicht einmal vor ihren Feinden, sie hält Meinungen und Versammlungen und Menschen aus, die sich eines Schutzes bedienen, den sie nicht ansatzweise verdienen, ob sie dies nun mit offen zur Schau gestellten Absichten in Springerstiefeln tun oder ob in versteckten Chatprotokollen – ich zitiere – von „Grube auszuheben“ und „Löschkalk obendrauf zu streuen“ die Rede ist. Das dürfte Ihnen wahrscheinlich bekannt vorkommen. So sind selbst diese demokratiekritischen bis ‑feindlichen Äußerungen und Institutionen Dünger für unsere Demokratie, weil sie unseren Widerspruch hervorrufen und die Schwäche jener Menschen offenbaren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Bertolt Brecht hat es einmal markanter formuliert:
Die Veränderbarkeit der Welt besteht auf ihrer Widersprüchlichkeit.
Ich bin der festen Überzeugung: Unsere Demokratie braucht keine zusätzlichen Klauseln. Für mich ist das Grundgesetz Garant gegen Extremismus genug.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der AfD – Gegenruf des Abg. Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]: Lern mal Lesen!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7197865 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 11 |
Tagesordnungspunkt | Demokratieklausel |