01.02.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 11 / Tagesordnungspunkt 4

Susann RüthrichSPD - Demokratieklausel

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Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ein Satz geht mir heute nicht aus dem Kopf: Wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Die deutschen Gerichte nannte ein Mitglied der AfD-Fraktion „Justizhuren“. Er spricht von „Systemgerichten“ und „Systemmedien“. Sieht so ein Bekenntnis zu unserem Rechtsstaat und zur Pressefreiheit aus? – Männer und Frauen sind gleichberechtigt, der Staat hat auf die Durchsetzung hinzuwirken. So steht es im Grundgesetz. Wie verträgt sich damit die Aussage eines Ihrer Kollegen, Gleichstellungsmaßnahmen seien eine „gesellschaftspolitische Umerziehungsmaßnahme“? – Die Würde eines jeden Menschen ist unantastbar. So steht es in Artikel 1 Grundgesetz. Passt dazu die Aussage eines Ihrer Bundestagskandidaten, die „deutsche Volksgemeinschaft“ sei befallen von „Schmarotzern und Parasiten“, oder die Aussage Ihres Vorsitzenden, er wolle ein Mitglied der Bundesregierung „entsorgen“? – Werte Herren und Damen auf der rechten Seite: Ganz ehrlich, seien Sie froh, dass es keine Demokratieerklärung für Mitglieder des Deutschen Bundestages gibt.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Wir würden die gerne unterschreiben! Damit hätten wir keine Probleme!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich selbst habe während meiner früheren beruflichen Tätigkeit wohl Dutzende Klauseln unterschreiben müssen. Ich habe hier eine Version mitgebracht – ich zitiere –:

Hiermit bestätige ich, dass ich mich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekenne und keine Aktivitäten entfalte, die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widersprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Eine Selbstverständlichkeit? Na klar! Warum musste ich das unterschreiben, Sie nicht?

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Niemand sonst, der staatliche Mittel erhält – was sind denn Ihre Diäten sonst? –, muss so etwas unterschreiben, nur diejenigen, die sich für Demokratie, für die Betroffenen von Hass und Gewalt einsetzen.

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Was soll das?)

Wenn das kein Misstrauensbeweis ist, was dann?

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegin Rüthrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage von der AfD?

Sie können mir jetzt zuhören. Dafür wollten Sie in dieses Hohe Haus. Hören Sie sich das also bitte an.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie versuchen, diejenigen zu beschämen, die sich für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung einsetzen, die Bildungsarbeit machen oder die Opfern beistehen, die von Rassisten und anderen Menschenverächtern angegriffen wurden. Dass Sie die nicht mögen, verstehe ich sofort; denn viele dieser Initiativen sensibilisieren für die Folgen von Diskriminierungen. Dabei fällt eben auf, dass unzählige Beispiele für die Abwertung von Menschen aus Ihren Reihen kommen. Sie können natürlich sagen, was Sie denken. Das gilt aber auch für diejenigen, die Ihnen widersprechen, die anderer Meinung sind. Die dürfen das; die sagen das. Das ist Demokratie, und das ist gut so.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das mit der Klausel geht aber noch weiter. Ich hatte dafür Sorge zu tragen, dass auch alle meine Projektpartner diese Klausel unterschreiben und sich zur fdGO bekennen. Dazu zählten alle unsere Ehrenamtlichen, der Redakteur der „Wochenzeitung“, der Techniker für eine Veranstaltung. Dazu zählte aber eben auch der Nachkomme von Holocaustüberlebenden, der aus Tschechien anreiste, eine Aufwandsentschädigung bekommen sollte, wenn, ja wenn er bestätigt, dass er kein Extremist ist.

Es war so übergriffig, dass der deutsche Staat genau diesem Menschen das Misstrauen ausspricht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Schauen wir uns doch einmal Ihre Partner an. Bei einem Ihrer Fraktionsmitglieder lese ich beispielsweise, dass er die rechtsextreme Identitäre Bewegung als Vorfeldorganisation der AfD ansieht. Diese wird in einigen Ländern und vom Bundesamt für Verfassungsschutz so eingeschätzt, dass es dort Bestrebungen gegen die fdGO gibt. Der Kollege wird im Übrigen selbst vom Verfassungsschutz beobachtet. Mit welchem Recht fordern also genau Sie, andere sollten sich bekennen? Kehren Sie doch vor der eigenen Haustür!

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ganz praktisch gesehen ist die Klausel so ziemlich das wirkungsloseste Instrument, um sicherzustellen, dass die geförderten Projekte ihre Programmziele erreichen. Diejenigen, die tatsächlich ein undemokratisches Ansinnen haben, werden das mit leichter Hand unterschreiben.

Wir unterstützen wirksame und nachhaltige Projekte der Demokratieförderung und der Radikalisierungsprävention

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ja, ja!)

allein durch das Programm „Demokratie leben!“ mit 100 Millionen Euro. Dafür gibt die Förderrichtlinie den Rahmen vor: Der Projektantrag muss plausibel sein, der Fördermittelgeber verlangt Projektdokumentationen, lädt zu Projekttreffen ein, stellt Begleitung sicher und macht Projektbesuche. Am Ende jedes Jahres gibt es einen Sachbericht samt Abrechnung. Wurde das Ziel erreicht, wunderbar.

(Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD], an die AfD gewandt: Das nennt man Rechtsstaat! Das kennt ihr nicht!)

Daneben gibt es eine Zielvereinbarung für die Folgezeit, und durch Evaluationen wird die Wirksamkeit geprüft. Wenn Verbesserungspotenzial gesehen wird, wird nachgesteuert, und wenn nicht gut ist, was herauskommt, endet die Förderung. Wo also ist das Problem? Eine Klausel ist dafür völlig unnötig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was aber nötig ist, ist, denen, die für die Demokratie einstehen, Planungssicherheit zu geben. Daueraufgaben müssen dauerhaft finanziert werden.

Es gibt jetzt seit fast 20 Jahren Demokratieförderprogramme. Daran wird deutlich: Die Aufgabe ist nicht einfach irgendwann erledigt. Deswegen wollen und werden wir die Engagierten weiter unterstützen und die Förderung verstetigen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Als letzter Redner in der Debatte hat der Kollege Martin Patzelt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7197876
Wahlperiode 19
Sitzung 11
Tagesordnungspunkt Demokratieklausel
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