Nils SchmidSPD - Sanktionen gegen Russland
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Linksfraktion fordert zum wiederholten Male die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland.
(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Richtig!)
Die Kadenz nimmt zu: erster Antrag im November 2014, nächster Antrag im Februar 2017, und jetzt ein Antrag im November 2017. Wir können uns also darauf einstellen, dass im Halbjahresrhythmus Anträge vorgelegt werden.
Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, Sie machen es sich zu einfach. Niemand in diesem Hause will einen neuen kalten Krieg.
(Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Ach so!)
Alle, die wir hier versammelt sind – ich nehme an, das gilt auch für die AfD –, wissen um die historische Verantwortung Deutschlands, wissen um die historische Bedeutung der Befreiung Deutschlands von der nationalsozialistischen Diktatur und um den wichtigen Beitrag, den die Sowjetunion dabei geleistet hat. Es geht aber nicht an, dass man in der Argumentation in diesem Hause einfach das russische Narrativ übernimmt;
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Frank Steffel [CDU/CSU] – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Wer tut das denn?)
denn gerade gute Freunde und Partner plappern nicht einfach nach, was der andere sagt, sondern bringen ihre eigenen Werte, Überzeugungen, ja, auch Interessen ein. Ja, wir argumentieren und streiten mit unseren Partnern. Wir tauschen Argumente aus, nehmen die Argumente der russischen Seite ernst und nehmen zur Kenntnis, dass die Narrative auf russischer Seite und auf europäischer Seite, auf westlicher Seite in den letzten 25 Jahren deutlich auseinandergelaufen sind. Nicht zuletzt Gernot Erler hat in diesem Hause darauf hingewiesen, dass das aus westlicher Sicht die Geschichte einer verfehlten Partnerschaft und einer verfehlten gemeinsamen Wertegemeinschaft ist und aus russischer Sicht die Einkreisung und Nichtberücksichtigung russischer Interessen. Diese Narrative wahrzunehmen und zu benennen, ist richtig. Man sollte aber nicht einfach nur ein Narrativ übernehmen, sondern sich darum bemühen, diese Narrative durch möglichst viele Kanäle des Dialoges und durch Zusammenarbeit in einzelnen Feldern zu überwinden. Das setzt aber voraus, dass man aus europäischer und deutscher Sicht ein paar Vorklärungen benennt.
Die erste Vorklärung ist: Die Annexion der Krim ist völkerrechtswidrig, und der Krieg im Donbass muss beendet werden.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der russische Beitrag dort muss beendet werden, genauso wie der Beitrag der Separatisten und die Provokationen von ukrainischer Seite.
Die zweite Vorklärung ist – für uns ist es hart, das einzugestehen –, dass die regierungsamtliche Politik in Russland nicht auf die Annäherung an den Westen setzt. Wenn man die regierungsamtliche Politik der letzten Jahre ernst nimmt, dann muss man feststellen, dass sich Russland als Nichtwesten definiert,
(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Leider ja! Reaktiv!)
manchmal sogar als Antithese zum westlichen gesellschaftlichen, demokratischen Ordnungsmodell. Das heißt, die Selbstverständlichkeit, dass alles auf eine Konvergenz westlicher Werte in der Beziehung zu Russland hinausläuft, ist nicht mehr gegeben. Das müssen wir uns eingestehen. Das heißt nicht, dass wir Russland aufgeben, und insbesondere nicht, dass wir die Kräfte aufgeben, die in Russland nach wie vor für Demokratie und Menschenrechte streiten. Aber wir können nicht davon ausgehen, dass, wie wir 1989, 1990 und lange Zeit in den 90er-Jahren gedacht haben, quasi automatisch alles in einer Gemeinsamkeit westlicher Werte endet.
Dritte Vorklärung: Regelverletzungen der Nachkriegsordnung, der Ordnung der KSZE, der OSZE und der Charta von Paris, dürfen wir nicht tolerieren. Wenn das in Europa einreißt, sind Frieden und Stabilität gefährdet.
Letzte Vorklärung – sie sollte uns in diesem Hause einen; ich glaube, zumindest in der breiten Mitte dieses Hauses eint sie uns –: Deutsches Handeln muss in das Handeln der EU eingebettet sein. Nicht umsonst sind es keine deutschen Sanktionen, über die wir heute diskutieren, sondern EU-Sanktionen. Wir werden unsere Beziehung zu Russland immer nur im Geleitzug der EU definieren. Das schließt nicht aus, dass wir innerhalb der EU Initiativen ergreifen; aber wir werden nicht ohne die EU handeln. Insbesondere werden wir nicht über die Köpfe unserer osteuropäischen Partner hinweg handeln können.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Zu den Sanktionen. Erst einmal muss ich sagen: Sie wirken.
(Zuruf von der AfD: Oh ja, für die deutsche Wirtschaft!)
Das kann man bedauern oder nicht. Aber sie wirken, und sie sind besser, als nur wortlos und tatenlos Völkerrechtsbrüche und den Bruch der Charta von Paris hinzunehmen. Trotzdem hat die Bundesregierung und hat insbesondere Bundesaußenminister Gabriel mehrfach deutlich gemacht, dass ein Abbau von Sanktionen natürlich denkbar ist, geknüpft an die Einhaltung des Abkommens von Minsk. Er hat auch sehr deutlich gemacht, dass nicht die hundertprozentige Einhaltung des Abkommens von Minsk Voraussetzung für einen Einstieg in den Abbau der Sanktionen sein muss, sondern dass wir beides quasi parallel und schrittweise laufen lassen können. Es geht also um einen schrittweisen Abbau der Sanktionen gegen eine schrittweise Implementierung des Minsk-Abkommens.
Wenn ich mir die letzten Entwicklungen anschaue, bin ich etwas hoffnungsvoller als vielleicht noch vor einem halben Jahr, dass es uns gelingen kann, auf diesem Weg voranzukommen. Aber die Kopplung der Sanktionen an die Einhaltung des Abkommens von Minsk ist für die SPD nicht verhandelbar. Lasst uns im Sommer dieses Jahres, wenn die nächste Verlängerung der Sanktionen ansteht, Bilanz ziehen.
Wir führen derzeit eine spannende Debatte über eine UN-Blauhelmmission. Wir würden es sehr begrüßen, wenn die Blauhelme nicht nur an der Kontaktlinie, sondern auch über das gesamte Konfliktgebiet und an der ukrainisch-russischen Grenze stationiert werden könnten. Zuletzt war zu lesen, dass sich die Herren Volker und Surkow eine schrittweise Stationierung einer Blauhelmmission im Konfliktgebiet vorstellen könnten. Auch da haben wir es also mit einer schrittweisen Vorgehensweise zu tun, im Gegenzug zur schrittweisen Implementierung der politischen Punkte des Minsk-Abkommens. Wie Sie sehen, gibt es viele Spielräume, um auch in Anbetracht der verfahrenen Lage in der Ostukraine zu einem sinnvollen Ausgleich zu kommen, und zwar unter Beachtung dessen, was wir in Minsk gemeinsam vereinbart haben.
Schließlich nehme ich gerne den Punkt auf, den Sie von der Linksfraktion angemahnt haben, nämlich die Bedeutung des NATO-Russland-Rates. In der Tat: Die SPD war immer der Auffassung, dass der NATO-Russland-Rat das richtige Forum ist, um sicherheitspolitische Debatten zu führen und einen sicherheitspolitischen Interessenausgleich zwischen Russland und der NATO herbeizuführen. Deshalb spricht überhaupt nichts dagegen, den NATO-Russland-Rat häufiger und wieder höherrangig tagen zu lassen. Das wäre sicher ein Schritt, um zwischen Russland und der NATO sowie zwischen Russland und Deutschland gemeinsam Dinge zu besprechen.
Also: Machen Sie es sich nicht so leicht. Man kann nicht einfach, wie Charles de Gaulle einmal gesagt hat, „wie ein Zicklein auf einen Stuhl springen“ und „Freundschaft mit Russland! Freundschaft mit Russland!“ rufen. Die Realität ist nicht ganz so einfach. In dieser Realität will die SPD Fortschritte erzielen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Für die AfD-Fraktion spricht der Kollege Armin-Paul Hampel.
(Beifall bei der AfD)
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Electoral Period | 19 |
Session | 11 |
Agenda Item | Sanktionen gegen Russland |