01.02.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 11 / Tagesordnungspunkt 10

Elvan Korkmaz-EmreSPD - Chancen der Digitalisierung

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Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Digitalisierung darf in Deutschland und auch im Deutschen Bundestag nicht stiefmütterlich behandelt werden. Digitalisierung ist tägliche Realität. Digitalisierung bestimmt unser Leben in allen Bereichen. Digitalisierung hat auch hierzulande viele Industrien umgekrempelt, in Teilen zerstört. Denken wir nur an Kodak oder an die leerstehenden Buchläden, Reisebüros und Videotheken in unseren Innenstädten. Digitalisierung ist aber nicht WLAN in Bussen bis 2050, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, und Herr Dobrindt ist nicht der geeignete Berater.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der AfD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Digitalisierung ist das Thema, das bestimmt, ob Deutschland auch künftig auf der Höhe der Zeit sein wird. Genau deshalb – in diesem Punkt haben Sie recht, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen – gehört Digitalisierung ganz oben auf die Agenda. Falsch ist jedoch, die Verantwortung in einen Bundesdigitalrat oder sonst ein Gremium auszulagern. Wenn Digitalisierung so wichtig ist, wie wir das hier vertreten, dann gehört es auch genau hierhin, in den Deutschen Bundestag.

(Beifall bei der SPD)

Wenn ich Ihren Antrag lese, gewinne ich den Eindruck, Digitalisierung sei ein zahnloser Papiertiger oder ein schön verzierter Wunschzettel. Die Formulierungen in Ihrem Antrag klingen wirklich toll, ohne Frage: „aktive politische Gestaltung mit einer kohärenten Digitalisierungsstrategie“,

(Beifall des Abg. Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

„Multi-Stakeholder-Ansätze“,

(Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

„Open Data, Open Source“,

(Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

„Blockchain“, bis hin zur „sozial-ökologischen Modernisierung“ der Gesellschaft.

(Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wenn wir jetzt noch „Weltfrieden“ und „Freiheit für alle“ ergänzen, dann, muss ich sagen, können fast alle in diesem Raum das mit unterschreiben.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der AfD und der FDP)

Aber genau das, was Sie hier tun, ist das Problem der Digitalisierung in unserem Lande: Schaumschlägerbegriffe, Neudeutsch „Buzzwords“ oder auch „Bullshit-Bingo“ genannt, helfen niemandem.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir brauchen keine Beiräte und Kalendersprüche, sondern ganz konkrete Maßnahmen für die digitale Revolution, in der wir schon mittendrin sind.

(Dr. Anna Christmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf warten wir ja!)

Genau so behandeln wir als SPD dieses Thema auch in den Koalitionsverhandlungen – im Gegensatz zu Ihnen, Frau Dr. Christmann –: ganz konkret und wirksam.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Sie fordern zu Recht, dass wir kleine und mittlere Unternehmen stärken, auch junge Talente, die mit großem Risiko und ohne großen Lohn versuchen, ihre digitale Geschäftsidee mutig in der Selbstständigkeit umzusetzen. Aber was präsentieren wir ihnen? Einen Digitalbeirat oder einen Beschluss, dass wir ihre Zukunftsfähigkeit auf dem Papier gestalten wollen? Diesen Jungunternehmern müssen wir die Fokussierung auf ihr Geschäft leichter machen. Unsere Gesellschaft braucht klare Regeln, aber keine unnötige Bürokratie.

Dann reden wir noch über Entrepreneurship. Und was tun wir? Wird jemand nicht zum Millionär und muss aufgeben, sprechen wir von Scheitern, geben ihm einen Schufa-Eintrag, erschweren ihm einen Neuanfang und stempeln ihn als Loser ab. Wir brauchen eine Kultur der zweiten Chance. Alles andere verhindert die Digitalisierung in unserem Land.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen verstehen, dass Digitalisierung gelernte Modelle zerlegt und neu zusammenlegt. Das Unternehmen Miele aus meiner Heimatstadt Gütersloh vertreibt die neueste Generation von Waschmaschinen, die dem Kunden passend Waschmittel zusenden. Was heißt das nun für Persil oder für die Drogerie um die Ecke? Was bedeutet es, wenn uns unser Fernseher anbietet, Fotoabzüge zu bestellen? Wir müssen die neuen Geschäftsmodelle begreifen und weiterentwickeln, statt Altes zwanghaft zu protektieren.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Und: Wir dürfen nicht mit Schlagworten wie „autonomem Fahren“ oder „E-Mobility“ um uns werfen und denken, dass wir dann Digitalpolitik machen. Wir müssen die konkreten Fragen, die sich heute stellen, beantworten. Das betrifft die rechtliche Gestaltung, aber auch ethische Fragen: Wohin steuert das selbstfahrende Auto, das ausweichen muss, wenn rechts ein Kindergarten und links ein Altenheim steht? Das sind ohne Zweifel schwierige Fragen. Aber wir müssen sie beantworten. Denn wenn wir es nicht tun, werden sie woanders beantwortet, und dann kommen wir da nicht mehr hinterher.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber wir müssen natürlich auch auf dem Teppich bleiben. Zu glauben, Facebook in die Knie zwingen zu können, ist genauso unrealistisch wie zu meinen, dass die GEMA Youtube aufhält oder die deutsche Knappschaft Minijobs bei weltweiten Crowdworking-Projekten gestalten kann.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP)

Wir müssen vielmehr dort anpacken, wo es notwendig und möglich ist. Faire und soziale Arbeitsbedingungen in der digitalisierten Arbeitswelt sicherzustellen, muss hier unsere Aufgabe sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Von daher, liebe grüne Kolleginnen und Kollegen, überweisen wir Ihren Phrasenwunschzettel heute gerne an den Ausschuss.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist jetzt wirklich unangemessen!)

Ich bin auf die vertiefte Debatte sehr gespannt und freue mich darauf.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Florian Toncar [FDP]: Gut gemacht! Das war eine gute erste Rede!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/588 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Allerdings ist die Federführung strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen eine Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie.

(Zurufe von der FDP: Hört! Hört! – Manuel Höferlin [FDP]: So wichtig ist das Thema!)

Alle anderen Fraktionen – AfD, FDP, Linke und Bündnis 90/Die Grünen – wünschen eine Federführung beim Ausschuss Digitale Agenda.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7198015
Wahlperiode 19
Sitzung 11
Tagesordnungspunkt Chancen der Digitalisierung
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