02.02.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 12 / Tagesordnungspunkt 13

Josip JuratovicSPD - Doppelte Staatsbürgerschaft

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD gibt sich alle Mühe, ihrem Ruf als monothematische Antiausländerpartei gerecht zu werden. Mit ihrem Gesetzentwurf gegen die Doppelstaatlichkeit wärmt sie ein Thema wieder auf, an dem sich CDU und CSU schon abgearbeitet haben. Mit der Union hatten wir vor drei Jahren nach zähem Ringen die Aussetzung der Optionspflicht durchgesetzt und gegen ihren Willen beibehalten.

Jetzt will die AfD diesen Kompromiss kippen. Und warum? Weil sich gegen Ausländer immer gut Stimmung machen lässt. Das Thema Staatsbürgerschaft hat schon mal Wahlen entschieden. Wir erinnern uns an die unerträgliche Unterschriftensammlung bei der Wahl in Hessen,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

bei der die Menschen gefragt haben: Wo kann ich gegen die Ausländer unterschreiben? – Die AfD möchte diese unselige Tradition fortsetzen.

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das war die Zeit von Roland Koch! Das war ein CDU-Ministerpräsident!)

– Jawohl.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gehöre zu der sogenannten Gastarbeitergeneration, einer Generation, die dieses Land seit sechs Jahrzehnten Schulter an Schulter mit den deutschen Kolleginnen und Kollegen aufgebaut hat, und zwar unter schwierigsten Bedingungen.

(Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wie viel Loyalität brauchen Sie noch? Heute muss ich erleben, dass selbsternannte Vaterlandsvertreter von der AfD, von denen nicht bekannt ist, dass sie diesem Land bislang einen großen Dienst erwiesen hätten, den Gastarbeitern die Genugtuung verweigern wollen, dazuzugehören.

(Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Noch nicht einmal deren Kinder sollen die deutsche Staatsbürgerschaft haben dürfen, ohne ihre Herkunft verleugnen zu müssen. Im Gesetzentwurf der AfD heißt es sogar:

Wenn Integration gelingen soll … muss der Fremdstaatler,

– was für ein Wort!

(Zurufe von der SPD: Ja!)

der in Deutschland leben will, wirklich hier ‚ankommen‘, sich auf das Land … einlassen wollen.

Ich möchte an dieser Stelle klarstellen: Integration hat nichts mit der Zahl der Pässe zu tun, die jemand hat. Integration ist Identifikation, Identifikation mit diesem Land, mit der Gesellschaft, in der man lebt,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

mit unserer Gesellschaft, deren Grundgesetz im ersten Artikel auf die Unantastbarkeit der Menschenwürde hinweist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Gesellschaft ist eine gespaltene Gesellschaft,

(Zurufe von der AfD: Ja!)

nicht nur in der Frage „Deutsche oder Ausländer“, sondern vielmehr insgesamt in der Frage der gelebten Werte und der Haltung der Menschen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Das spiegelt sich auch hier im Parlament wider. Das hat aber nichts mit der doppelten Staatsbürgerschaft zu tun, sondern mit der Stimmungsmache der AfD und ihren Gesetzentwürfen. Es ist nämlich ganz anders, als Sie es in Ihrem Gesetzentwurf schreiben. Da heißt es, die jetzige Aussetzung der Optionspflicht führe – ich zitiere – „automatisch zu einer … massenhaften, ja regelhaften Doppelstaatigkeit, die es zu vermeiden gilt“. Großer Gott, immer diese „Massen“, von denen die AfD spricht.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Da wird einem ja ganz bange.

Bleiben wir doch zur Abwechslung mal bei konkreten Zahlen. Laut Statistischem Bundesamt verfügen in Deutschland knapp 2 Millionen Menschen über zwei Pässe. Das sind nicht einmal 2,5 Prozent der deutschen Bevölkerung.

(Beatrix von Storch [AfD]: Das sind bald mehr als Ihre Wähler!)

Ich meine, das ist selbst für Kritiker verkraftbar. Davon – und das ist interessant – sind 870 000 gebürtige Deutsche.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das heißt, zum einen ist die Zahl derer, die zwei Pässe haben, durchaus überschaubar. Zum anderen profitieren auch gebürtige Deutsche von dieser Möglichkeit. Was soll also dieser Gesetzentwurf – außer spalten?

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen Menschen mit Migrationsgeschichte und Deutsche selbstverständlich gleichberechtigt behandeln und endlich damit aufhören, ständig an ihrer Loyalität zu zweifeln, wie es die AfD offen macht. Das erschwert die Integrationsbemühungen auf beiden Seiten. Zudem spielen Sie damit die Menschen den Erdogans und Putins dieser Welt in die Hände.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Abgeordneten der AfD – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ach nee, ausgerechnet wir!)

Wir Sozialdemokraten wissen um den Reichtum unserer Gesellschaft. Deutschland ist dank seiner Vielfalt zu einem Land geworden, das weltweit bewundert wird – ein Land, auf das ich stolz bin. Das wollen wir aufgrund unserer gemeinsamen Werte und Tugenden aufrechterhalten. Wir werden uns das nicht von irgendwelchen völkischen Gespinsten der AfD kaputtmachen lassen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Zum Schluss. Es ist widerlich, wie wir uns hier durch AfD-Anträge an menschlicher Herkunft und Schicksalen abarbeiten, statt bessere Lebensbedingungen für die Menschen zu schaffen, und zwar gleichermaßen für Deutsche wie für Ausländer.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7198133
Wahlperiode 19
Sitzung 12
Tagesordnungspunkt Doppelte Staatsbürgerschaft
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