Karl-Heinz BrunnerSPD - Atomwaffenverbotsvertrag
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch: Nur wenige Meter von hier entfernt, am Brandenburger Tor, hielt Barak Obama eine vielbeachtete Rede. Als ich mir zur Vorbereitung auf den heutigen Tag diese Rede noch einmal ansah, fiel mir ein Satz auf, der damals fast unterging. Er lautete:
Solange Nuklearwaffen existieren, sind wir nicht wirklich sicher.
Recht hatte er, und recht hat er – damals wie heute. Es war aber nichts Neues; denn Obama hatte das bereits in seiner Rede in Prag gesagt, als er den Anspruch der Vereinigten Staaten formulierte, die Welt in eine nuklearwaffenfreie Zeit zu führen. Nicht zuletzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil auf der Ebene der tatsächlichen Politik hierzu nicht allzu viel geschehen war, konnte man 2013 leicht zu dem Schluss kommen: Dieser Präsident meint es gut; er hält dies persönlich wohl auch für den richtigen Weg; aber realpolitisch wird wohl nichts oder nur wenig passieren.
Aus heutiger Sicht – nunmehr etwas mehr als vier Jahre später – ist es geradezu eine Wohltat, einem amerikanischen Präsidenten – wohlgemerkt Barack Obama – zuzuhören, der das Vernichtungspotenzial von Nuklearwaffen wirklich verstanden hat,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
der verstanden hat, dass die bloße Existenz dieser Waffen ein Sicherheitsrisiko ist, und zwar für uns alle, dass eine dem Frieden und der Freiheit verpflichtete Politik gegen die Bedrohung und die Angst, die auch von diesen Waffen ausgehen, vorgehen muss. Heute, meine sehr verehrten Damen und Herren, wünschten wir uns, wir könnten uns sicher sein, der Präsident im Weißen Haus würde diese Grundüberzeugungen und diese Grundbefürchtungen teilen oder wenigstens verstehen. Bei Trump glaube ich dies eher nicht.
Egal, meine Damen und Herren, wie ernst wir Barack Obamas Ankündigung damals genommen haben, egal wie wir zu einem Atomwaffenverbotsvertrag stehen, über den wir heute diskutieren und den wir hier in diesem Hohen Haus beraten: Die dahinterstehende Vision, die Vision einer nuklearwaffenfreien Welt, war und ist Ziel dieses Hauses, und sie muss sie bleiben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Diese Vision, meine sehr verehrten Damen und Herren, muss uns mit Sehnsucht und Mut erfüllen: mit der Sehnsucht danach, diese Welt zerstörende Nuklearkriege wirklich auszuschließen und sicher sein zu können, dass Terroristen niemals in den Besitz dieser Waffen gelangen, aber auch mit dem Mut, uns zu trauen, für diese Vision einzustehen,
(Beifall bei der SPD)
auch dann, wenn wir sie naiv nennen, und auch dann, wenn die Chancen aufgrund der weltpolitischen Lage noch so gering erscheinen.
Ja, Realpolitik verbietet es oft, uns allzu lange in Visionen zu ergehen. Wir kennen die Worte unseres Altkanzlers, der von Visionen als Krankheiten sprach. Zu schnell wird aus einer Vision dann eine schöne, aber irrelevante Utopie, wenn wir uns nur mit der Utopie beschäftigen. Wir müssen uns deshalb immer auch die Frage stellen: Was ist der richtige Weg, was sind die richtigen Mittel, um eine Vision Wirklichkeit werden zu lassen?
Meine Damen und Herren, die Begründungen der Bundesregierung, dem Atomwaffenverbotsvertrag nicht beizutreten, kann ich sehr wohl nachvollziehen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pflüger?
Bitte, gerne, wenn ich ihn sehe. Ich stehe zwar gerne im Licht,
(Zuruf von der CDU/CSU: Im Rampenlicht?)
aber die Sonne blendet.
(Heiterkeit – Zuruf von der CDU/CSU: Der Kollege wird erleuchtet! Aber er ist ein Netter! – Gegenruf des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das hat nichts Göttliches! Das kann ich Ihnen versichern!)
Lieber, geschätzter Kollege Brunner, Sie beschreiben die gesamte Entwicklung gerade sehr gut. Ich habe mir einmal den Koalitionsvertrag angesehen und festgestellt, dass zum ersten Mal in einem Koalitionsvertrag explizit ein Bekenntnis zur atomaren Komponente der NATO enthalten ist und eben nicht, wie in früheren Koalitionsverträgen – ich erinnere da nur an einen Außenminister Westerwelle –, eine klare Absage. Deshalb an Sie direkt die Frage: Warum hat die SPD eigentlich bei diesem Koalitionsvertrag nicht darauf bestanden, dass eine Absage an die atomare Komponente der NATO und ein Abzug der Atomwaffen explizit enthalten sind?
(Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Weil das falsch gewesen wäre!)
Das ist diesmal nämlich offensichtlich ad acta gelegt worden.
Lieber Kollege Pflüger, wenn Sie mich die Begründungen, die ich nunmehr für die Entscheidung der Bundesregierung abgeben möchte, hätten ausführen lassen, hätte ich dies darstellen können. Es ist nämlich so, dass wir als Bundesrepublik Deutschland diesen Prozess sehr wohl einleiten wollen, aber mit klugen und richtigen Maßnahmen. Diese klugen und richtigen Schritte bestehen nicht darin, die Vereinigten Staaten von Amerika und die Russische Föderation aus diesem Prozess herauszunehmen und die Situation von außen zu betrachten, sondern darin, von innen Veränderungen herbeizuführen.
(Beifall bei der SPD – Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war keine Antwort auf die Frage!)
Die Begründungen der Bundesregierung, dem Atomwaffenverbotsvertrag nicht beizutreten, kann ich nachvollziehen; das wiederhole ich. Dahinter steht nämlich nicht der Wunsch, Nuklearwaffen zu unterstützen oder an ihnen festhalten zu wollen, wie Sie unterstellt haben, sondern es steht die richtige Überzeugung dahinter, dass nur ein Verbot unter Einbettung jener Staaten, die Nuklearwaffen besitzen, überhaupt einen Effekt haben kann. Ebenso möchte ich auch nicht riskieren – und auch wir Sozialdemokraten nicht –, dass wir die verschiedenen bereits existierenden Überwachungs- und Verifikationssysteme, die wir haben, aufweichen oder gar schädigen. Wir müssen auf Verträge wie den Atomwaffensperrvertrag, wir müssen auf Verträge wie den Atomteststoppvertrag setzen.
Dennoch ist es gut und richtig, dass uns die Debatte über den Atomwaffenverbotsvertrag Anlass gibt, die nukleare Frage auch hier im Hohen Hause, im Deutschen Bundestag, zu diskutieren. Wir sollten das übrigens, Kolleginnen und Kollegen, viel öfter tun.
Obama sprach 2013 noch davon, dass zwar die Gefahr eines nuklearen Krieges weitgehend gebannt sei, die Gefahr des Einsatzes von Nuklearwaffen aufgrund ihrer fortschreitenden Verbreitung und der Terrorismusgefahr aber gestiegen sei. Heute ist es wohl kein Alarmismus mehr, wenn ich sage, dass wir in den letzten Jahren gelernt haben, dass die Gefahr eines nuklearen Konflikts – sei er nun regional begrenzt oder nicht – ebenfalls nicht vollständig ausgeschlossen werden kann. Beatrice Fihn von der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen hat letzte Woche auf der Münchner Sicherheitskonferenz sehr wohl und richtigerweise darauf hingewiesen, dass wir durchaus konkret und nicht nur abstrakt über diese Bedrohung sprechen müssen.
Warum kann eine SMS-Warnung vor einem Raketenangriff im Jahr 2018 Menschen in Hawaii in Panik versetzen? Sicherlich nicht, weil sich diese Menschen angesichts der Weltlage so sicher fühlen, dass die Ankündigung einer Auseinandersetzung zum Beispiel im Pazifischen Ozean sofort als Falschmeldung identifiziert wird. Die Menschen in Hawaii leben zwischen den USA und Nordkorea. Wir Europäer leben zwischen Russland und den USA, und wir alle wissen, dass diese Länder über gut 90 Prozent der weltweiten Atomwaffen verfügen.
Auch wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass eine nukleare Aufrüstung bereits in den Startlöchern steckt. Es wird zum Beispiel von taktischen Nuklearwaffen gesprochen, deren Einsatz sozusagen nicht ganz so schlimm sei. Der Einsatz wird also de facto angeblich einfacher – ein kleiner Nuklearkrieg statt eines großen. Nein, bei alledem müssen wir uns eingestehen, dass wir dem Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt seit Obamas Rede im Jahr 2013 keinen Schritt nähergekommen sind, sondern dass wir Gefahr laufen, uns noch weiter davon zu entfernen.
Deutschland und Europa müssen auf dem Weg der Diplomatie neue Brücken bauen, dort, wo Misstrauen und Aggression diese Logik der Aufrüstung begünstigen. Wir müssen uns für bestehende Abrüstungs- und Kontrollregime einsetzen und weiter auf deren Einhaltung und Verschärfung drängen. Die vielen Verhandlungsstunden und -nächte, die uns das kosten wird, werden oft frustrierend sein. Aber nur so können wir den Boden für den Zeitpunkt bereiten, an dem wir uns von der nuklearen Abschreckungslogik endlich verabschieden und eine umfassende Abrüstung weltweit einleiten können.
(Beifall bei der SPD)
Die Vision, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist da; sie ist lebendig. Erreichen können wir sie aber nicht mit dem sogenannten einzig großen Wurf – jetzt abziehen, jetzt verbieten –, sondern nur in vielen, vielen kleinen Schritten.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erst modernisieren und dann abbauen!)
Darüber müssen wir sprechen, insbesondere deshalb, weil eben kein Obama unsere Vision mehr teilt und wir als Deutschland und als Europa selbst eine Führungsrolle auf diesem Weg übernehmen müssen. Solange Nuklearwaffen existieren, sind wir nämlich nicht wirklich sicher.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Für die AfD-Fraktion spricht der Kollege Dr. Robby Schlund.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7203416 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 15 |
Tagesordnungspunkt | Atomwaffenverbotsvertrag |