Sebastian HartmannSPD - Kostenloser Öffentlicher Nahverkehr
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast müsste man sich bei den Grünen für den Antrag bedanken. Aber dann habe ich ihn gelesen und gesagt: Da wäre doch eigentlich viel mehr drin gewesen. – Wer ein so ambitioniertes Wahlprogramm geschrieben hat, dann aber schon in der Überschrift einen Tackling-Fehler macht und daneben tritt, obwohl der Ball auf dem Elfmeterpunkt lag, darf sich nicht wundern, wenn er den Ball nicht hineinschießt. Da ist das Problem. Ich könnte mich aufregen. Denn Sie sind einfach hinausgestolpert und sagen: Es geht um einen kostenlosen Nahverkehr. – Nein, es geht um einen freien Nahverkehr und einen steuerfinanzierten Nahverkehr in Deutschland. Was machen Sie? Sie spielen sie gegeneinander aus. Leute, die einen Gebrauchtwagen gekauft haben, fragen sich nun, wie sie jetzt pendeln und mobil bleiben können. Dann wollen Sie ihn gegen diejenigen ausspielen, die in Deutschland für einen vernünftigen Nahverkehr sorgen, sodass man mobil bleiben kann. Der Nahverkehr ist doch ein Erfolgsmodell. 10 Milliarden Fahrgäste gibt es jedes Jahr; das ist die Zahl des VDV. Wir pendeln in die Städte hinein und hinaus.
Nun sagt die Bundesregierung: Wir haben ein Problem, weil die EU vorgibt, die Luft reinzuhalten. Wir müssen uns darum kümmern, dass der Gesundheitsschutz nicht gegen die Möglichkeit der Mobilität ausgespielt wird. Bezahlbare Mobilität wollen wir erhalten. Es ist eine Vielzahl guter Vorschläge gemacht worden. Sehr schade ist, wie das zerredet worden ist.
Das Ganze ist von den Grünen nicht vernünftig aufgenommen worden. Es geht nicht darum, den Nahverkehr kostenlos zu machen, sondern darum, die Kommunen auf dem Weg dorthin zu unterstützen.
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Vorschlag kam nicht von uns!)
Ich teile übrigens auch die Kritik an dem Verhalten mancher Kommunen. Schauen wir einmal in meine Heimatregion Bonn/Rhein-Sieg. Auch der Bonner Oberbürgermeister, der übrigens von Schwarz-Grün unterstützt wird, wurde eingeladen, um diese Vorschläge zu diskutieren. Und das Ergebnis ist, dass, bevor diese Vorschläge überhaupt vernünftig diskutiert worden sind, nach dem ersten Gespräch im Umweltministerium sofort eine Absage erteilt wird.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Pfui!)
Ich halte das für zu wenig. Denn wir müssen Mobilität in Metropolräumen anders denken. Wir müssen neue Möglichkeiten schaffen und hier entsprechende Ansätze wählen, um auch Pendlerinnen und Pendlern aus dem Umland die Chance zu geben, in die Metropolräume einzupendeln.
(Beifall bei der SPD)
Herr Kollege Hartmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gerne.
Herr Hartmann, danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben sich eben darüber ausgelassen, dass der Antrag der Grünenfraktion nicht ausreichend sei. Das mag sein. Würden Sie mir dann aber die Frage beantworten, ob Ihnen aufgefallen ist, dass der Antrag, übersetzt in die deutsche Sprache, im Wesentlichen die Vorschläge enthält, die die Bundesregierung an die EU-Kommission geschickt hat, mit denen sie versucht hat, darauf hinzuwirken, das Vertragsverletzungsverfahren einzustellen? Insofern wären Sie dann mit mir auch einer Meinung. Offensichtlich sind Sie ja der Auffassung, dass das, was die Bundesregierung vorgeschlagen hat, nicht ausreichend ist. Denn wenn Sie unseren Antrag als nicht ausreichend bezeichnen, sagen Sie, dass auch das, was drei Bundesminister, nämlich Herr Altmaier, Ihre Parteikollegin Frau Hendricks und der geschäftsführende Verkehrsminister Herr Schmidt, an die EU-Kommission geschrieben haben, nicht ausreichend ist. Könnten Sie mir das bitte erläutern?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Lieber Kollege Krischer, darin sind ja mehrere Punkte enthalten.
Der erste Punkt berührt das Selbstverständnis dieses Verfassungsorgans Deutscher Bundestag. Jetzt mag es eine geschäftsführende Bundesregierung geben. Aber wir sind Vertreter des Souveräns. Wir sind das deutsche Parlament und können eigene Vorschläge machen, die deutlich über das hinausgehen, was eine Bundesregierung vorschlägt.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Antworten Sie mir einmal!)
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wissen auch, dass insbesondere dann, wenn wir mit der CDU/CSU koalieren müssen, bestimmte Dinge, die wir gerne hätten, noch nicht möglich sind.
(Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Dafür muss man in die Verantwortung gehen, vor der Sie sich gedrückt haben.
(Beifall bei der SPD)
Denn 2013 hatten Sie die Chance, Schwarz-Grün zu machen. Sie haben sich weggeduckt. Dann haben wir Verantwortung übernommen. Diese Verantwortung haben wir übernommen, indem wir mehr Geld in den Nahverkehr investiert haben. Die Erhöhung der Regionalisierungsmittel geht auf unser Konto. Das zählt bei uns. Sie haben sich da weggeduckt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Entwicklung, die wir beim Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz hinbekommen haben
(Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Sie haben gefragt; Sie kriegen jetzt auf alles eine Antwort –,
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Außer auf die von mir gestellte Frage!)
haben wir durchgesetzt. Wir wollten über das hinausgehen, was die Länder in der Bund-Länder-Finanzvereinbarung erreicht haben.
Wenn wir schon bei dem Antrag der Grünen sind: Er ist ja so hervorragend, dass der geschätzte Kollege Dr. Toni Hofreiter darüber gar nichts gesagt hat. Im Wesentlichen hat er nämlich über die Entreicherung von vielen Millionen Besitzern von gebrauchten Dieselkraftfahrzeugen gesprochen. Er hat sich aber nicht getraut, über diesen Antrag zu reden. Denn eine simple Übersetzung eines entsprechenden Briefes der Bundesregierung an die EU-Kommission ganz knapp vor dem Vertragsverletzungsfahren ist nicht genug.
Herr Kollege Hartmann, es wäre schön, wenn Sie einfach nur auf die Frage antworten würden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich respektiere, dass Sie Ihre Redezeit ausweiten wollen. Aber das ist nicht der Sinn einer Zwischenfrage und der Antwort darauf. Die Antwort war ausreichend. Der Fragesteller hat sich bereits hingesetzt. Nun kommen Sie bitte zu Ihrer weiteren Rede.
Sehr geehrter Herr Präsident, ich möchte Ihnen nicht widersprechen, bin aber anderer Auffassung.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich sage zum Schluss, auch wenn die Redezeit weiterläuft: Hier steht „public transport free of charge“. Das kann man auch anders übersetzen. Denn es gibt den kostenlosen ÖPNV nicht. Es gibt ihn nicht.
(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein Übersetzungsfehler!)
Am Ende wird es darum gehen, die Nutzerbeiträge in Form des Fahrgeldes durch eine Steuerfinanzierung zu ersetzen. Das finden wir von der SPD-Bundestagsfraktion toll. Wir wollen, dass die fünf Modellstädte dies auch annehmen.
Wir verstehen allerdings nicht, dass Kommunen – zum Beispiel der Bonner Oberbürgermeister, getragen von Schwarz und Grün – die große Chance, das zunächst einmal zu diskutieren, nicht ergriffen haben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Lassen Sie uns doch nicht immer alles zerreden. Lassen Sie uns doch einmal die Chance ergreifen, zu sagen: Auf der einen Seite wird es individuelle Mobilität geben – auch mit einem gebrauchten älteren Kraftfahrzeug –, auf die die Leute sich verlassen können. Auf der anderen Seite gibt es einen Nahverkehr, der es zum Beispiel ermöglicht, dass man dank unserer 60 000 Busse und Bahnen auch in Metropolräumen mobil bleibt. – Das muss man zusammen denken; das muss man zusammen machen.
(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wissen Sie eigentlich, welche Partei regiert?)
Daher glauben wir, dass es ein guter Aufschlag der Bundesregierung gewesen ist, diesen Brief an die EU-Kommission zu schreiben.
Ich ergänze zum Schluss allerdings eins: Es wird nicht nur darum gehen, eine Alternative zu den Fahrgelderlösen zu finden; es wird um einen massiven Ausbau des Infrastrukturansatzes gehen. Wir müssen mehr in Busse und Bahnen investieren. Wir müssen mehr für die Straßen und für die Schienen tun. Wir müssen auch dafür sorgen, dass wir die Kommunen nicht alleinlassen, wenn es darum geht, Hybridbusse und E-Busse zu finanzieren und die alten Dieselbusse aus den Städten herauszubringen.
Herr Präsident, es blinkt am Rednerpult; aber die Zeit ist noch nicht abgelaufen.
Jedenfalls ist Ihre Redezeit bedauerlicherweise abgelaufen.
Ich folge Ihrem Wort. – Ich freue mich auf die Debatte.
Danke für die Aufmerksamkeit.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Herr Kollege Hartmann, ich bewundere Ihre langjährige parlamentarische Erfahrung, die sich darin ausdrückt, dass Sie behaupten, mir nicht widersprechen zu wollen, und es dennoch tun. Ich akzeptiere auch, dass Sie die Sekunden Ihrer Redezeit mitgezählt haben. Gehen Sie davon aus, dass das Präsidium sehr großzügig war, auch bei der Beantwortung der Zwischenfrage.
Als Nächstes spricht für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Wolfgang Wiehle.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7205888 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 17 |
Tagesordnungspunkt | Kostenloser Öffentlicher Nahverkehr |