02.03.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 18 / Tagesordnungspunkt 13

Rolf MützenichSPD - Abrüstungspolitik

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein nuklearer Schatten legt sich erneut über unsere Welt. In Hawaii gab es Fehlalarm. Menschen verabschiedeten sich von ihren Verwandten, von ihren Familien, weil man glaubte, eine nordkoreanische Atomrakete sei im Anflug. In Japan gibt es wöchentlich Übungen für Kinder, in Atombunker zu gehen. In den USA wird eine neue Doktrin über einen Erstschlag durch Atomwaffen mit geringerer Sprengkraft erlassen. In Europa wird angesichts der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland unser Nachbar Dänemark mit einem Atomschlag bedroht. Der russische Präsident fabuliert von der Inkraftnahme der russischen Atomraketen. Wer immer noch nicht glaubt, dass ein nuklearer Schatten auf der Welt liegt, der muss sich nur noch einmal die Bilder von gestern Abend anschauen, als der russische Präsident vor dem Hintergrund von anfliegenden Raketen und Animationen erneut über einen bevorstehenden Atomkrieg fabulierte.

Alles das sind Dinge, die Europa unmittelbar betreffen. Ich befürchte, dass wir Zeitzeugen einer solchen Auseinandersetzung werden können. Umso mehr muss die Bundesregierung und muss der Deutsche Bundestag alles dafür tun, dass es nicht dazu kommt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen diskutieren wir heute über einen Antrag, der in diesem Kontext steht: Der INF-Vertrag hat einst das Verbot und die Vernichtung von landgestützten Mittelstreckenraketen möglich gemacht hat. Er ist wieder in Gefahr. Ich bin dankbar, dass es nach den Koalitionsverhandlungen so schnell gelungen ist, einen gemeinsamen Antrag auf den Weg zu bringen. Das deutet Gutes an, nämlich dass wir dieses Thema auch in Zukunft besprechen werden. Aber ich würde mir wünschen, dass wir versuchen, diesen Antrag später vielleicht auch gemeinsam zu bereichern, mit anderen Parteien; denn ich glaube, es gibt ein gemeinsames Interesse, und es darf keine ideologischen Trennlinien geben, zumindest nicht in dieser Frage.

Meine Damen und Herren, warum haben wir uns dazu entschlossen, heute über den INF-Vertrag zu sprechen? Weil er ein Vorbild und ein Anker für andere Abkommen gewesen ist und insbesondere der Vertrauensbildung gedient hat – ein hohes Gut für Europa! Dieser Vertrag hat das Dilemma auch von Abrüstung und Rüstungskontrolle letztlich aufgelöst. Manchmal führen nämlich Abrüstung und Rüstungskontrolle auch zur Modernisierung von Waffensystemen. Der INF-Vertrag ist ein Nichtrüstungsvertrag von hoher Qualität geworden, und das hat Stabilität nach Europa gebracht.

Umso bedauerlicher und auch gefährlicher ist es, dass sich die USA und Russland in den vergangenen Jahren gegenseitig die Verletzung dieses Vertrages vorgeworfen haben. Alle, die auf der Münchner Sicherheitskonferenz waren, haben gemerkt, dass dieses Thema bei den Diskussionen eine große Rolle spielt. Auf der einen Seite werfen die USA Russland vor, neue Systeme an den europäischen Außengrenzen zu stationieren. Auf der anderen Seite wird die Raketenabwehr von Russland in der Diskussion angeführt und gesagt, dass auch hierdurch eine Verletzung des INF-Vertrags passiert. Wir sollten uns daran erinnern, dass es in der Tat ein Fehler gewesen ist, dass es uns in Europa, nachdem Präsident Bush 2002 den ABM-Vertrag einseitig gekündigt hat, nicht gelungen ist, die USA von einem alternativen Vertrag zu überzeugen. Gestern hat die Pressekonferenz von Putin noch einmal sehr deutlich gemacht, dass letztlich gerade die Raketenabwehr zu Unsicherheit in Europa führt. Ich fordere die Bundesregierung, aber auch den Bundestag auf, in Zukunft noch viel stärker wieder über ein vertragsgestütztes System für die Raketenabwehr zu sprechen.

(Beifall bei der SPD)

Umso mehr gilt, meine Damen und Herren: Wir wollen den INF-Vertrag verteidigen. Wir unterstützen keine Pläne für neue Forschung oder Entwicklung von Mittelstreckenraketen. Wir Sozialdemokraten würden einer Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland nicht zustimmen. Umso mehr werben wir Sozialdemokraten für eine geschlossene Haltung in Europa. Nach meinem Dafürhalten ist es das beste Mittel, den USA und Russland Raum für vertrauensbildende Verhandlungen zu geben. Ich glaube, dass diese Probleme zwischen diesen beiden Ländern bilateral gelöst werden können. Die NATO darf nicht instrumentalisiert werden.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, weitere Beiträge hier – da bin ich mir relativ sicher – werden sich auch mit den Kurzstreckenraketen in Deutschland befassen. In der Tat, ich war einige Zeit für einseitige Schritte. Aber die Erfahrungen des damaligen Bundesaußenministers Fischer, aber auch die Anstrengungen des ehemaligen und verstorbenen Außenministers Westerwelle – großer Aufwand und geringer Erfolg – haben mich nicht nur eines Besseren belehrt, sondern auch zu der Meinung geführt: Wenn wir diesen Weg gehen und den einseitigen Abzug aus unserem Land bewerben würden, löste dies keines der Probleme, auch nicht auf russischer Seite. Ich befürchte vielmehr: Es brächte neue Unsicherheiten nach Europa. Wir sind immer wieder mit Nachrichten vonseiten der polnischen Regierung konfrontiert, und zwar des Inhalts, dass sie diese Kurzstreckensysteme sehr gern in ihrem Land stationieren würde, wenn sie denn aus Deutschland abgezogen würden. Das brächte doch neue Unsicherheit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das zeigt noch einmal: Die alleinige Fokussierung auf unser Land bringt am Ende nicht mehr Sicherheit für uns alle.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wir schlagen deswegen einen anderen Weg vor. Wir müssen die taktischen Atomwaffen in Europa als Problem der konventionellen Disparitäten sehen. Es war daher klug und richtig und wurde von uns Sozialdemokraten sofort und nachhaltig unterstützt, als der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier gesagt hat: Innerhalb der OSZE muss über konventionelle Abrüstung und Rüstungskontrolle gesprochen werden, um in diesem Korsett die Frage der vollständigen Abschaffung und Vernichtung von taktischen Atomwaffen zu behandeln.

Wir diskutieren heute über zwei Dinge. Es geht erstens darum, den INF-Vertrag zu sichern, weil er letztlich die Stabilität für Europa gewährleistet. Er ist ein Ankerpunkt für Abrüstung und Rüstungskontrolle. Wir müssen zweitens der künftigen Bundesregierung deutlich machen, dass sich Abrüstung und Rüstungskontrolle lohnen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Johann Wadephul, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7206179
Wahlperiode 19
Sitzung 18
Tagesordnungspunkt Abrüstungspolitik
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta