02.03.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 18 / Tagesordnungspunkt 14

Stephan ThomaeFDP - Deutsch als Landessprache

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Quousque tandem abutere patientia nostra? Wie lange wollen Sie eigentlich noch die Geduld dieses Hauses mit Ihren deutschtümelnden Anträgen missbrauchen?

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Heute haben wir es also mit einem Vorschlag zu einer Grundgesetzänderung zu tun. Ich habe mich schon immer als Verfassungspurist – entschuldigen Sie das Fremdwort –

(Heiterkeit bei der FDP)

bekannt, der gegen jegliche Verfassungslyrik ankämpft, auch gegen eine Banalisierung des Grundgesetzes, gegen Vorschriften, die keine weiterreichende Folge haben. Was ist denn die Aufgabe unserer Verfassung? Die Verfassung soll den Staatsaufbau ordnen und die Freiheits- und Abwehrrechte der Bürger gegen den Staat und gegenüber dem Staat definieren.

(Stephan Brandner [AfD]: Artikel 20a, was sagen Sie dazu? – Gegenruf des Abg. Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]: Zuhören und lernen!)

Sie soll aber nicht die Lebensgewohnheiten der Menschen regeln; sie soll nicht die Entwicklungsmöglichkeiten, das Entwicklungsstreben der Gesellschaft behindern, blockieren, einhegen oder bremsen.

Vor allem die Sprache ist etwas Lebendiges, etwas Vitales, etwas, was sich ständig ändert, was sich weiterentwickelt. Die Sprache ist auch aufnahmefähig; sie ist offen, sie ist ein offenes System. Sie haben uns selber aufgefordert, Courage zu haben und Ihrem Vorschlag zuzustimmen. An diesem Fremdwort sieht man schon, dass unsere Sprache so etwas aufnimmt, dass sie damit umgehen kann, ohne nachhaltigen Schaden nehmen zu müssen.

(Beifall bei der FDP)

Das ist der erste Grund, weshalb wir Ihrem Gesetzentwurf in der Sache nicht zustimmen werden.

Ich will zum Zweiten aber noch etwas ganz Grundsätzliches sagen. Auch ich habe einen Sinn für Sprache, für das Schönklingende, für das Ästhetische unserer Sprache.

(Stephan Brandner [AfD]: Merkt man!)

Auch wenn ich diesen Aspekt mit Ihnen teile, so trennt uns doch eines: Von der ganzen Intonation her atmet Ihr Gesetzentwurf die Angst vor dem Neuen. Und aus Angst wird Hass, und aus Hass kann Gewalt entstehen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Na, na, na! – Weiterer Zuruf von der AfD: Was denn noch alles?)

Nicht jede Veränderung ist eine Degeneration. Sprache ist ein hochkomplexes System. Lebendige Sprache ist komplex. Ihr Ansatz aber, Sprachpflege zu betreiben, die Reinheit der Sprache zu bewahren und das im Grundgesetz zu regeln, ist zutiefst unterkomplex. Das sieht man schon daran, dass unsere Sprache Lehnwörter aus dem Lateinischen kennt, dass sie Fremdwörter aus dem Französischen übernimmt, dass die Musik von lateinischer und italienischer Sprache unterlegt ist; es gibt italienische Opern und dergleichen mehr. Sprachkultur ist nicht retro, meine Damen und Herren!

Herr Kollege Thomae, der Kollege Hampel würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Ja, sehr gerne. Bitte schön, wenn das meine Redezeit zu verlängern imstande ist.

Herr Kollege Thomae, Sie haben gerade so schön dargestellt, dass Sprache immer im Wandel ist, sich immer erneuert und dass sie deshalb im Grunde genommen von einer gesetzlichen Regelung oder gar einer verfassungsrechtlichen Regelung ausgeschlossen sein sollte. Können Sie mir sagen, warum wir dann in Deutschland eine Rechtschreibreform hatten?

Zur Rechtschreibung gibt es in Deutschland kein Gesetz. Rechtschreibung trägt natürlich dazu bei, dass uns das Lesen leichter fällt. Sie ist auch ein Teil der Sprachkultur, aber sie ist nicht im Gesetz und vor allem nicht im Grundgesetz festgeschrieben.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN)

Es gibt Staaten, in denen die Rechtschreibung gesetzlich geregelt ist. Unser Nachbarland Frankreich etwa kennt das aus Richelieus Zeiten und aus Tradition, zum Beispiel bei der Akzentsetzung. Das kennen wir in Deutschland nicht. Es gibt kein Gesetz zur Rechtschreibung, und trotzdem kommen wir damit ganz gut zurecht. Es gibt Einrichtungen wie das Bibliographische Institut in Mannheim und die Dudenredaktion, die uns Vorschläge unterbreiten, wie wir zu schreiben haben. Aber wenn Sie diese nicht befolgen, müssen Sie keine Haftstrafe und nicht einmal eine Geldstrafe durch die Gerichte fürchten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das zeigt: Wir kommen ganz gut damit zurecht. Die Rechtschreibung verändert sich, auch durch entsprechende Reformen. Es gibt auch Länder, die andere Rechtschreibungen pflegen, wie die Schweiz, ohne dass das unserer Sprache Abbruch tut.

Herr Kollege Thomae, der Kollege Spangenberg würde auch gerne eine Zwischenfrage stellen.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Er weiß ja selbst nicht, warum sie den Antrag gestellt haben!)

Sehr gerne. Dann verlängert sich meine Redezeit.

Verehrter Kollege, ist Ihnen bekannt, dass in der französischen Verfassung der Satz steht: „Die Sprache der Republik ist Französisch“?

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So steht er da bestimmt nicht!)

Das war mir bislang nicht bekannt – ich merke, man kann heute auch etwas lernen –; aber das heißt nicht, dass wir auch so eine Regelung benötigen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ich habe gerade ausgeführt, dass die Franzosen eine andere Tradition, eine andere Kultur haben. Das stammt noch aus absolutistischen Zeiten. Das heißt aber nicht, dass auch wir das benötigen. In unserem Land wird die deutsche Sprache gesprochen und geschrieben, ohne dass es irgendeiner Festschreibung im Grundgesetz oder in einem Gesetz bedarf.

Das zeigt uns aber, dass Sie Angst vor Veränderungen haben. Das durchzieht Ihren ganzen Gesetzentwurf. Sie pflegen einen romantisch verklärten Kulturbegriff, den wir nicht benötigen.

(Stephan Brandner [AfD]: Also romantische Angst, oder wie?)

Sie haben Angst vor Veränderungen. Sie haben Angst vor dem Neuen und vor der Zukunft. Dagegen setzen wir Vertrauen in die Zukunft, Optimismus und Mut zur Veränderung. Das braucht unser Land, meine Damen und Herren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Jetzt erteile ich der Kollegin Simone Barrientos, Fraktion Die Linke, das Wort zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7206212
Wahlperiode 19
Sitzung 18
Tagesordnungspunkt Deutsch als Landessprache
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