Heiko Maas - Bundeswehreinsatz in Afghanistan (Resolute Support)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach 17 Jahren Afghanistan-Engagement wird in unserem Land und auch hier vielfach gefragt: Was hat das gebracht? Es gibt viele Fragen, die sich in dieser Diskussion stellen, und wir haben Anlass genug, auch sehr selbstkritisch auf diese Zeit zurückzublicken.
Aber in der Diskussion gerät oft aus dem Blick, welche Fortschritte es in Afghanistan seit 2001 gegeben hat. Es gerät aus dem Blick, dass in den Jahren der grausamen Taliban-Herrschaft international agierenden Terroristen ein sicherer Hafen geboten wurde und die Menschenrechte mit Füßen getreten wurden. Und es gerät aus dem Blick, dass die Stabilisierung eines Staates nach Jahren eines intensiven, gewaltsamen Konfliktes nicht weniger als eine Generationenaufgabe ist, die vor allen Dingen eines, nämlich strategische Geduld, erfordert.
Leicht gerät auch in Vergessenheit, dass sich Umfang und Charakter unseres militärischen Engagements über die Jahre fundamental gewandelt haben.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Haßelmann?
Nein, ich würde das gerne im Zusammenhang zu Ende ausführen.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann mache ich eine Kurzintervention!)
Dann gestatten Sie keine Zwischenfrage?
Genau. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, 130 000 Soldatinnen und Soldaten haben sich in Afghanistan befunden. Inzwischen – und auch das wird nicht häufig genug gewürdigt – hat die afghanische Regierung die Sicherheitsverantwortung selbst übernommen. Diese schwere Aufgabe wird – wenn auch unter enormen Opfern – mittlerweile bewältigt.
Ob wir uns in Afghanistan weiter engagieren sollten, ist aber nicht nur eine Frage der Vergangenheit, sondern es ist vor allen Dingen eine Frage mit Blick auf die jetzige Situation im Land und natürlich auch auf die Aussichten in der Zukunft. Um diese Fragen zu beantworten, hat die Bundesregierung im Perspektivbericht Afghanistan die Lage vor Ort und unser Engagement in seiner ganzen Bandbreite – zivil wie auch militärisch – einer mehr als kritischen Reflexion unterzogen. Der Bericht zeichnet ein ungeschöntes Bild von Afghanistan und den Herausforderungen, vor denen die Regierung, die Menschen in Afghanistan, aber auch die internationale Gemeinschaft jetzt und in der Zukunft stehen.
Der Bericht geht nüchtern und eben auch vor allen Dingen selbstkritisch auf Versäumnisse und Unzulänglichkeiten ein, die niemand ernsthaft in Abrede stellen kann. Dazu gehört – das muss man im Rückblick so benennen – auch die starre Fristsetzung für einen Abzug der internationalen Truppen. Das hat den Taliban die Zuversicht gegeben, uns aussitzen zu können.
Wer jetzt oder für einen festen Zeitpunkt in der Zukunft einen vollständigen Abzug unserer Truppen aus Afghanistan fordert, der muss sich dann aber auch bitte der Frage stellen, was die Konsequenzen wären. Denn auch Nichthandeln hat einen Preis. Wir sind davon überzeugt, dass der Rückzug uns teuer zu stehen kommen würde und es deshalb in unserem Interesse liegt – auch im Interesse dessen, was dort angefangen wurde –, Afghanistan weiter zu unterstützen und dies auch militärisch zu tun.
Meine Damen und Herren, Afghanistan steht nämlich in den nächsten Jahren vor ganz entscheidenden Wegmarken.
(Zuruf von der AfD: Jahrzehnten!)
2018 sollen die Afghanen ein neues Parlament und im Frühjahr 2019 einen neuen Präsidenten wählen. Diesen Schlüsselherausforderungen muss sich das Land auch stellen. Die Regierung muss der überwiegend jungen Bevölkerung – über 40 Prozent sind jünger als 15 Jahre – eine glaubhafte Perspektive bieten. Sie muss weiterhin den aufständischen Gruppen, die ihr insbesondere in Gebieten mit ländlichem Charakter die Kontrolle streitig machen, entgegentreten; denn solange die Sicherheitslage prekär ist, wird es keinen wirtschaftlichen Aufschwung geben. Die Verantwortlichen müssen auch den Kampf gegen die Korruption entschlossen fortführen. Hier gibt es erste Fortschritte etwa bei der Strafverfolgung in großen Korruptionsfällen, gerade in den Streitkräften und den Ministerien. Wir erwarten von der afghanischen Regierung, dass sie diesen Reformkurs entschlossen hält. Das ist eine klare Bedingung – das wurde immer so gesagt – für die Fortsetzung unserer Unterstützung.
Das Wichtigste ist aber die Friedensperspektive, die es in Afghanistan gibt. Ende Februar hat Präsident Ghani den Taliban ein umfassendes Angebot für Friedensgespräche gemacht. Dieses Angebot wird von der internationalen Gemeinschaft unterstützt. Wir sind uns mit den USA und den anderen Alliierten in der NATO ebenso einig wie mit China und Russland, dass Frieden in Afghanistan nicht allein durch militärische Mittel erreicht werden kann. Frieden in Afghanistan wird am Ende nur durch einen politischen Versöhnungsprozess unter Afghanen möglich werden, der die in der afghanischen Verfassung verbrieften Rechte der Menschen, die dort leben – dazu gehört auch die Demokratie –, ebenso wie die individuellen Freiheitsrechte schützt. Die Regierung in Kabul hat ihre Hand hierzu ausgestreckt und muss sich im Weiteren ernsthaft um eine Lösung des Konflikts mit den Taliban bemühen. Nun ist es aber auch an denen, auf dieses Angebot ernsthaft einzugehen.
Durch unsere Unterstützung des Versöhnungsprozesses sowie des weiteren Auf- und Ausbaus selbsttragender afghanischer Streitkräfte wollen wir das Generationenprojekt der Stabilisierung in Afghanistan vorantreiben. Ein Teil dieser Bemühungen ist die Unterstützung, die die Bundeswehr im Rahmen dieses Mandats leistet. Dafür bitte ich Sie um Ihre Zustimmung.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Dann erteile ich das Wort der Kollegin Britta Haßelmann zu einer Zwischenbemerkung.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7210092 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 20 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz in Afghanistan (Resolute Support) |