Johannes VogelFDP - Änderung des Arbeitszeitgesetzes
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Slack, Skype, Facebook, WhatsApp, iMessage, Facetime, Google, Google-Hangout, Wikis, Clouds, Blackberry, Outlook usw. usf., wissen Sie, was diese Dinge gemeinsam haben? Es gab sie 1994 noch nicht. 1994 schrieben sich die allermeisten Menschen noch keine E-Mails, surften nicht im Internet, mobiles Arbeiten gab es kaum. Das Smarteste an Telefonen war, wenn sie keine Wählscheibe mehr hatten.
(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Gute Zeiten!)
1994 trat auch das heutige deutsche Arbeitszeitgesetz in Kraft. Die Welt hat sich seitdem verändert. Wir haben viel mehr Freiheiten, wie, von wo, auch wann wir arbeiten.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht alle!)
Wir leben im Jahr 2018, aber unser deutsches Arbeitszeitgesetz ist noch immer aus dem vorigen Jahrhundert. Wir finden, das kann so nicht bleiben.
(Beifall bei der FDP)
Was heißt das ganz konkret im Alltag? Freunde berichten mir, dass sie das Büro nachmittags verlassen, am Abend Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen, solange diese noch wach sind, und dann abends um 22 oder 23 Uhr gerne noch eine dienstliche E-Mail schreiben oder auch nur lesen wollen. Wenn sie das heute so machen, dann dürfen sie am nächsten Morgen ihre Arbeit vor 10 Uhr eigentlich nicht wieder aufnehmen, ansonsten verstoßen sie gegen das Arbeitszeitgesetz. Ganz ehrlich: Wer macht denn das? Meine These ist: Dieses Gesetz wird in Deutschland schon heute millionenfach ignoriert.
(Beifall bei der FDP)
Aber gerade wenn es um Gesetze geht, durch die Arbeitnehmerrechte geschützt werden, dürfen wir nicht zulassen, dass sie ignoriert werden. In einem Rechtsstaat müssen Gesetze gelten. Das heißt aber auch: Wenn diese veraltet sind, dürfen wir das nicht ignorieren, sondern müssen sie modernisieren, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP)
Herr Vogel, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung von Frau Krellmann von der Linken?
Von der Kollegin Krellmann immer gerne.
Herr Vogel, wir kennen uns nun schon längere Zeit und haben in der Vergangenheit Gelegenheit gehabt, ab und zu einmal zusammenzuarbeiten. Die Forderung, die Sie in Ihrem Antrag stellen, und die Begründung, die dort zu lesen ist, sind identisch mit den Forderungen der BDA und des BDI, vom 8-Stunden-Tag wegzugehen und die Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden festzulegen. Ich habe in diesem Zusammenhang folgende Fragen an Sie:
Erstens. Ist Ihnen klar, dass Sie damit Schutzrechte abbauen, die im Grunde historisch erkämpft wurden? Dabei geht es nämlich nicht nur um alte Gesetze. Für diese Schutzrechte wurde historisch lange gekämpft.
Zweitens. Ich selbst habe eine Kleine Anfrage zur Kontrolle des Arbeitszeitgesetzes gestellt. Dabei ist herausgekommen, dass bei der Hälfte der Kontrollen der Arbeitsschutzbehörden festgestellt wurde, dass gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen wurde. Wollen Sie mit Ihrem Antrag jetzt das, was in der Vergangenheit falsch war, legalisieren, damit es keine Rolle mehr spielt, oder was wollen Sie eigentlich?
(Beifall bei der LINKEN)
Das kann jetzt der Herr Vogel erklären.
Das tue ich gerne. – Es ist ganz einfach: Wir wollen uns an der europäischen Arbeitszeitrichtlinie orientieren. Sie gibt – deswegen wird auch nichts abgebaut, Frau Kollegin Krellmann – genau dieselbe wöchentliche Arbeitszeit vor wie das deutsche Recht, sie lässt nur eine freiere Einteilung unter der Woche zu, und das ist aus unserer Sicht ein vernünftiger Weg.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Frau Kollegin, niemand soll in Summe mehr arbeiten müssen oder weniger Pause machen dürfen. Die Einteilung soll aber freier sein als heute; denn ein moderner Arbeitsmarkt braucht, ehrlich gesagt, auch moderne Regeln. Mit Regeln aus dem analogen Zeitalter werden wir die digitale Zukunft nicht gestalten können. Deshalb müssen wir hier eine Veränderung vornehmen.
(Beifall bei der FDP)
Ich habe jetzt im Koalitionsvertrag von Union und SPD gelesen, dass Sie bei diesem Thema Experimentierklauseln wollen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Das wird bei weitem nicht ausreichen. Stellen wir uns das doch einmal konkret vor! Welches Unternehmen und welcher Betriebsrat stellt denn das Arbeitszeitsystem für Hunderte Beschäftigte um, wenn der Gesetzgeber ihm sagt: „Ich weiß gar nicht, ob das in einiger Zeit noch gilt; schauen wir mal“? – Die Leute brauchen doch eine echte Erneuerung und Rechtssicherheit. Nur dann wird es auch eine Veränderung geben, und deswegen reicht eine Experimentierklausel nicht aus.
(Beifall bei der FDP)
Ich habe es gerade schon gesagt: Aus unserer Sicht, aus Sicht der Freien Demokraten, gibt die europäische Arbeitszeitrichtlinie einen klugen Rahmen vor, der mehr Freiheiten für das Arbeiten im digitalen Zeitalter gibt und gleichzeitig Arbeitnehmerrechte schützt. Wir wissen aber, dass unsere Position, wonach die europäische Arbeitszeitrichtlinie einfach eins zu eins ins deutsche Recht übertragen werden sollte, hier in diesem Haus, im Deutschen Bundestag, aktuell leider noch keine Mehrheit hat. Deshalb legen wir hier auch nicht die FDP-Position pur vor, sondern ein faires Kompromissangebot. Wir sagen nämlich: Die europäische Arbeitszeitrichtlinie muss dauerhaft und rechtssicher – nicht per Experimentierklausel – ausgenutzt werden können, aber nur dann, wenn auch die Tarifpartner in einer Branche, also die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften, zugestimmt haben. Das schließt jeden Missbrauch, den Sie befürchten mögen, sicher aus.
Diesen Schritt – zumindest als ersten Schritt – müssen wir gehen. Wer sich dem in den Weg stellt, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, der muss begründen, warum er sich dem Wunsch der Menschen nach mehr Selbstbestimmung in den Weg stellt.
(Beifall bei der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU, ich spreche Sie direkt an: Was wir hier vorlegen, ist exakt das, was wir im Koalitionsvertrag zwischen CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen vereinbart haben. Das, was ich mit Karl-Josef Laumann persönlich verabredet habe, müsste doch auch für die CDA akzeptabel sein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union.
(Beifall bei der FDP)
Ich komme zum Schluss. – Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich habe vor zwei Tagen mit Faszination wahrgenommen, dass in dem von Ihnen geführten Bundesministerium für Arbeit und Soziales Staatssekretär Albrecht die Abschaffung der Kernarbeitszeit verkündet hat.
(Nicola Beer [FDP]: Ja!)
Es soll ab jetzt möglich sein, dass die Mitarbeiter in einem Korridor zwischen 6 und 22 Uhr ihre Arbeit individuell und flexibel gestalten. Wir sollten es möglich machen, dass die Mitarbeiter in einem Bundesministerium das wirklich selbstbestimmt ausnutzen können, ohne gegen Gesetze zu verstoßen.
(Beifall bei der FDP)
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD: Werfen Sie Ihr Herz über die Hürde! Lassen Sie diese Mutlosigkeit in Form der Experimentierklausel hinter sich! Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf, dem der Freien Demokraten, zu, und gehen wir einen großen Schritt für die Modernisierung des Arbeitsmarkts, die wir in unserem Land dringend brauchen! Auf die weitere Debatte freue ich mich.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Vielen Dank, Johannes Vogel. – Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich einen ehemaligen Kollegen begrüßen. Herzlich willkommen, Herr Schiewerling.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir alle kennen Sie. Schön, dass Sie bei dieser Debatte dabei sind. Wer Rückfragen hat, kann sich ja an Herrn Schiewerling wenden.
Nächster Redner in der Debatte: Torbjörn Kartes für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7210150 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 20 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Arbeitszeitgesetzes |