15.03.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 20 / Zusatzpunkt 3

Ulrich LechteFDP - Vorgehen der Türkei in Syrien

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Auch ich möchte gleich zu Beginn auf den Punkt eingehen, über den gerade hier im Haus diskutiert wurde. Wir sind uns alle einig: Das Vorgehen der Türken in Nordsyrien ist völkerrechtswidrig.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das gesamte Haus teilt diese Auffassung, zumindest nach den Aussagen der Kollegen Schmid und Frei sowie der Aussagen vonseiten der AfD, der Linken und der Grünen. Die Fraktion der FDP teilt diese Auffassung auch. Damit geben 100 Prozent der Mitglieder des Bundestages der Regierung den Auftrag, über das völkerrechtswidrige Vorgehen der Türkei in Nordsyrien nachzudenken.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN)

Die militärische Offensive der Türkei in Nordsyrien läuft seit dem 20. Januar unter dem euphemistischen Namen „Olivenzweig“. Bei diesem Namen denkt man an Frieden. Doch statt für Frieden zu sorgen, heizt die Offensive den Konflikt in Syrien weiter an. Beim Vorrücken der türkischen Truppen wurden bereits mehrere Hundert Menschen in der Zivilbevölkerung getötet. Jetzt wird die Großstadt Afrin belagert, und für die 300 000 Einwohner wird die humanitäre Lage immer bedrohlicher. Die Wasser- und Stromversorgung wurde zerstört, und die Nahrungsmittelvorräte sind de facto aufgebraucht; in einigen Teilen der Stadt kursieren bereits Hunger und Not.

Die türkische Offensive führt zu weiteren Binnenflüchtlingen in Syrien und destabilisiert das Land auch jenseits des Kampfgebietes. Paradoxerweise führt die Offensive zu einer Schwächung des Kampfes gegen den IS. Denn Kurdenmilizen, die bisher mit uns gegen den IS gekämpft haben, verteidigen stattdessen jetzt das Gebiet gegen die Türken. Mit dem Verhalten eines verantwortungsbewussten NATO-Partners hat dies meines Erachtens erkennbar wenig zu tun.

(Beifall bei der FDP und der AfD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Türkei hat die UNO und die NATO lediglich über ihre Offensive informiert, statt sich mit ihren Partnern abzustimmen. Sie beruft sich dabei auf das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta. Aber sie liefert keine stichhaltigen Beweise für einen Angriff, der eine derartige Selbstverteidigung rechtfertigen würde. Eher kommt einem der Gedanke, dass Erdogan beginnt, seine Träume von einem neuen Osmanischen Reich in die Tat umzusetzen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)

Fakt ist: Die türkische Militäroffensive ist völkerrechtswidrig, sie ist nicht abgestimmt mit den ­NATO-Partnern, sie heizt den Konflikt in Syrien weiter an, und sie stärkt dem teuflischen IS dabei den Rücken.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Daher fordert die FDP:

Erstens: Stopp der Rüstungsexporte in die Türkei.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Entscheidung der geschäftsführenden Bundesregierung, die Rüstungsexporte auszusetzen, war völlig korrekt. Eine Anfrage des Kollegen Nouripour wiederum hat gezeigt, dass die Umsetzung ja wohl offensichtlich äußerst mangelhaft war.

(Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Sehr freundlich formuliert!)

Wir hoffen, dass die neue Regierung diesen Fehler nicht wiederholt und den Ankündigungen endlich Taten folgen lässt. Der Stopp der Rüstungsexporte muss konsequent umgesetzt werden.

(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD)

Zweitens: Kritik innerhalb der NATO. Wir haben ja schon länger Probleme mit der Türkei innerhalb der NATO. Denken Sie nur an die türkische Blockade jeglicher Kooperation mit Österreich, weil die Österreicher, und zwar zu Recht, den Stopp der EU- Beitrittsverhandlungen gefordert haben. Die Kritik der Bundesregierung an der Türkei ist schlicht zu zurückhaltend – quasi zahn- und ergebnislos. Auch zur türkischen Offensive in Syrien hat man im NATO-Rat viel zu kleinlaut um Zurückhaltung und Verhältnismäßigkeit gebeten. Aber wir müssen den NATO-Rat ja gerade dazu nutzen, um gemeinsam mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern auf die Türkei einzuwirken. Dazu gehört deutliche Kritik an der türkischen Militäroffensive.

(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD)

Drittens: Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen. Für einen Stopp gab es bereits viele Gründe, auch vor der Offensive in Syrien. Insbesondere seit dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 wandelt sich die Türkei schrittweise in einen autoritären Staat. Es gibt andauernd Verstöße gegen Rechtsstaatlichkeit, Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Es erfolgen willkürliche Verhaftungen von angeblichen Unterstützern des Putsches und angeblichen Unterstützern des Terrorismus. Zehntausende Menschen sind der Willkür von Präsident Erdogan und seiner Regierung ausgeliefert. Über 100 000 Staatsbedienstete wurden wegen hanebüchener Vorwürfe aus dem Dienst entlassen. Der Übergang von einer Demokratie zu einer Autokratie ist in vollem Gange. So jemand hat in der EU – so leid es mir tut – nichts verloren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN)

Kommen Sie bitte zu Ihrem letzten Satz, Herr Kollege.

Nun mein letzter Satz. Das beinhaltet für die FDP – das ist etwas Neues, auch in diesem Hause –: keine Erweiterung der Zollunion und keine Visafreiheit.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Für uns sind gute wirtschaftliche Beziehungen nicht alles. Wir müssen die Freundschaft mit dem türkischen Volk von unserer Reaktion auf die Militäroffensive der türkischen Regierung trennen.

Und nun ist wirklich Schluss.

Wir müssen Präsident Erdogan deutlich sagen, dass die Belastungsgrenze mehr als erreicht ist.

Herzlichen Dank, Herr Präsident.

(Beifall bei der FDP und der AfD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Lechte, es war Ihre erste Rede. – Als Nächstes für die Fraktion Die Linke die Kollegin Heike Hänsel.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7210252
Wahlperiode 19
Sitzung 20
Tagesordnungspunkt Vorgehen der Türkei in Syrien
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