Sonja SteffenSPD - Familienrechtliches Wechselmodell als Regelfall
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Justizministerin Katarina Barley! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf der Tribüne! Trennungen und Scheidungen sind für alle Beteiligten fast immer schmerzlich. Sie sind es oft besonders für die Kinder. Das liegt in aller Regel daran, dass die Eltern es nicht schaffen, sich so zu trennen, dass die Kinder nicht darunter leiden.
Für die Entwicklung der Kinder ist es allerdings unheimlich wichtig, dass sie auch nach einer Trennung weiterhin Kontakt zu beiden Elternteilen haben. Am besten ist es, wenn die Eltern es nach einer Trennung hinbekommen, möglichen Streit nicht auf dem Rücken der Kinder auszutragen und weiterhin gemeinsam Eltern zu bleiben.
Ich denke, wir alle kennen entweder aus eigener familiärer Erfahrung oder aus dem Bekanntenkreis Familien, bei denen das gut funktioniert. Davon gibt es eine ganze Menge; Frau Heil hat schon darauf hingewiesen. Dann braucht es auch keine Jugendämter, es braucht kein Gericht, es braucht keine Verfahrensbeistände, und es braucht auch keine umfangreichen Gutachten.
In aller Regel ist es in Deutschland immer noch so, dass die Kinder nach der Trennung bei einem Elternteil leben und von dem anderen in der Hinsicht versorgt werden, dass Umgang ausgeübt wird. Das ist das sogenannte Residenzmodell.
Daneben gibt es das Nestmodell, das nicht so häufig praktiziert wird. Bei diesem Modell verlassen die Eltern das Elternhaus, und die Kinder bleiben dort. Das ist kompliziert, weshalb es wahrscheinlich auch nicht so weit verbreitet ist.
Und dann gibt noch das Wechselmodell, bei dem die Kinder in regelmäßigen Abständen – möglichst paritätisch – den Aufenthaltsort zwischen Vater und Mutter wechseln. Gerade in den Fällen, dass beide Elternteile arbeiten, wird dieses Wechselmodell zunehmend beliebter. Der Riesenvorteil des Wechselmodells besteht darin, dass die Kinder weiterhin beide Elternteile erleben – auch im Alltag. Voraussetzung für das Funktionieren dieses Modells ist allerdings immer, dass die Eltern eng beieinanderbleiben, dass sie miteinander reden können und dass sie räumlich nicht zu weit voneinander entfernt wohnen; denn bei einem Wechsel fehlt irgendetwas immer – sei es der Turnbeutel, sei es die Lieblingsjeans oder seien es die Schulsachen. Deshalb ist es total wichtig, dass die Eltern auch nach einer Trennung miteinander reden können.
Wenn dies gut klappt und wenn die Eltern ihre persönlichen Befindlichkeiten hintanstellen, dann – davon bin ich überzeugt – können Trennungskinder sogar glücklicher sein als Kinder in einer noch existierenden Beziehung, jedenfalls dann, wenn die Beziehung insgesamt schlecht ist.
Was ist jedoch, wenn sich die Eltern nicht verstehen, wenn sie sich nach der Trennung nicht einigen können, wo ihre Kinder leben sollen? Im Jahr 2017 gab es eine BGH-Entscheidung, die besagte, dass das Wechselmodell angeordnet werden kann. Bis 2017 haben die Gerichte gesagt, dass es zum Wechselmodell nicht kommt, wenn nicht beide Elternteile zustimmen.
(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Nicht alle Gerichte! Das ist falsch!)
Seit der Entscheidung des BGH im Jahr 2017 kann das Wechselmodell auch angeordnet werden – auch gegen den Willen eines Elternteils –, wenn es dem Kindeswohl entspricht.
Seitdem gibt es in der Rechtsprechung eine gewisse Unsicherheit. Es wird unterschiedlich geurteilt. Es gibt Richter, die nach wie vor gar nicht für das Wechselmodell entscheiden, und es gibt Richter, die davon viel Gebrauch machen. Deshalb ist es an der Zeit, dass wir uns hier auf den Weg machen, dieses Wechselmodell auch im Gesetz zu verankern. Auch die SPD-Fraktion will diese Möglichkeit schaffen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Ihr Antrag ist jedoch keine gute Idee. Meine Fraktion kann diesem Antrag nicht zustimmen. Ich sage Ihnen auch, warum das so ist.
Sie wollen nämlich – so steht es in Ihrem Antrag –, dass das Wechselmodell zum Regelfall wird. Wenn es um Kinder geht, dann kann es aber keine Regelfälle geben. Das individuelle Kindeswohl – und nicht das Vorliegen eines Regelfalls – ist absolut entscheidend.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Für das Kind kann das Wechselmodell wirklich schrecklich sein, nämlich zum Beispiel dann, wenn es jeweils zur Hälfte der Zeit bei völlig zerstrittenen Elternteilen wohnt und immer dann, wenn es sich bei dem einen Elternteil aufhält, hört, wie furchtbar der andere ist, oder wenn es morgens und abends kilometerweit fahren muss, weil die Eltern zu weit auseinander wohnen.
Ich habe übrigens auch Ihren Begriff „multilokale Trennungsfamilie“ nicht verstanden. Darüber müssten wir im Ausschuss auch noch einmal reden.
Was ist, wenn das Kind von geliebten Halbgeschwistern zu lange und zu oft getrennt wird? Was ist, wenn es die neue Stiefmutter oder den neuen Stiefvater überhaupt nicht leiden kann und überhaupt nicht mit ihr oder ihm klarkommt? Was ist, wenn es ein Papa- oder ein Mama-Kind ist? Was ist letztendlich, wenn die Kinder 12, 13, 14 Jahre alt sind? Alle, die Kinder in diesem Alter hatten oder haben, wissen, dass sie irgendwann sagen: Du kannst uns mal. Ich will lieber mit meinen Freunden chillen, als mich bei Papa oder Mama aufzuhalten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Frau Kollegin.
Insofern denke ich: Diese Beispiele zeigen, dass der Einzelfall entscheidend ist. Es gibt bei Kindern keine Regelfälle.
Sie haben jetzt noch Zeit für einen Satz.
Deshalb: Wechselmodell ins Gesetz zur Klarstellung, ja, und zwar mit allem, was dazugehört, aber als Regelfall, nein.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Frau Kollegin Steffen. – Als nächste Rednerin erteile ich das Wort Frau Nicole Höchst von der AfD.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7210270 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 20 |
Tagesordnungspunkt | Familienrechtliches Wechselmodell als Regelfall |