15.03.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 20 / Tagesordnungspunkt 16

Petra SitteDIE LINKE - Absicherung von Solo-Selbständigen

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den vorliegenden Antrag haben wir in der letzten Woche schon in den sozialen Medien beworben. Da ist so mancher Kommentar ziemlich erstaunlich gewesen. Beispielsweise hieß es, es sei unklar, warum wir für Selbstständige ein branchenspezifisches Mindest- oder Basishonorar fordern; schließlich seien Selbstständige in ihrer Entscheidung viel freier. Wenn es denn die Zeiten je gab, so muss man sagen, sind sie doch für viele vorbei. Das hat mit der fortschreitenden Prekarisierung der gesamten Arbeitswelt zu tun, und dagegen wollen wir etwas tun.

Aktuell gibt es in diesem Land etwa 4,2 Millionen Selbstständige, rund die Hälfte davon ist solo-selbstständig. Wir beziehen uns in diesem Antrag vor allem auf jene, die nur ein geringes Einkommen erwirtschaften. Darunter sind viele, die eigentlich unfreiwillig selbstständig geworden sind, die quasi vor Arbeitslosigkeit geflüchtet sind. Wir finden darunter Grafiker, Designer, Reinigungskräfte, IT-Experten oder auch Kurierdienstfahrer und schließlich Lehrende an Musik- oder auch Hochschulen. Lassen wir vielleicht mal einen Lieferfahrer aus einem „FAZ“-Artikel zu Wort kommen – ich zitiere –:

Weil Christoph nicht angestellt ist, bekommt er kein Geld, wenn er verletzt oder krank ist. Für Rücklagen reicht sein Gehalt nicht aus. Was er bei einem Unfall machen würde? „ Dann hätte ich wohl ein ziemlich dickes Problem“, sagt er. Für Unfall- und Krankenversicherung muss er selbst aufkommen.

Im letzten Jahr hat meine Fraktion eine Große Anfrage zur sozialen Lage von Solo-Selbstständigen gestellt. Aus der Antwort ist hervorgegangen, dass circa 30 Prozent aller Solo-Selbstständigen über ein Nettoeinkommen von unter 1 100 Euro verfügen. Das heißt, sie haben ein massives Problem bei der sozialen Absicherung. Vor einiger Zeit saß bei mir im Wahlkreis jemand in der Sprechstunde, der 17 000 Euro Schulden bei seiner Krankenkasse hatte, wodurch klar ist, dass er überhaupt nur im Notfall behandelt wird.

Etwa 3 Millionen Selbstständige sind nicht pflichtversichert. Die meisten können sich zur Kompensation aber auch keine andere soziale Vorsorge leisten. Die Beitragssätze bei der freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung betragen nicht selten bis 40 Prozent des Einkommens, und das halten wir für einen unhaltbaren Zustand.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Besonders benachteiligt sind Frauen; mehr als ein Drittel der Solo-Selbstständigen sind Frauen. Oftmals haben diese familienbedingt geringere Arbeitszeiten. Dann sind eben auch Absicherung und Einkommen geringer; dafür ist die spätere Altersarmut aber höher.

Wer wie die letzten Bundesregierungen Selbstständigkeit und Unternehmertum ganz hoch gehängt hat, meine Damen und Herren, der darf Dienstleistende in diesen Bereichen doch nicht hängen lassen.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir wollen einen starken Dienstleistungssektor, aber wir wollen ihn mit fairen Arbeitszeiten und fairen Vergütungen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich greife einmal drei unserer Vorschläge heraus.

Erstens. Solo-Selbstständige müssen als Pflichtversicherte in die solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherung eingebunden werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Geringfügigkeitsgrenze soll bei 450 Euro liegen. Bei höheren Einkommen sind die Beiträge natürlich nach Einkommen gestaffelt.

Zweitens. Wir wollen eine Erwerbstätigenversicherung.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber bis dahin sollen alle nicht in einem obligatorischen Altersvorsorgesystem abgesicherten Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deren Beiträge sollen sich nach dem tatsächlichen Einkommen richten.

Drittens wollen wir insgesamt etwas für die Interessenvertretungen tun.

Ja, meine Damen und Herren, Normalarbeitsverhältnisse sind in den letzten Jahren massiv ausgehöhlt worden.

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.

Jawohl. – Eine Folge davon sind ungesicherte Beschäftigungsbereiche. Deshalb ist es uns so wichtig, dass wir in diesen Bereichen niemanden alleinlassen und auch schauen, wie es jenen geht, die aus diesen Beschäftigungsverhältnissen herausgefallen sind. Wenn wir jetzt nicht faire Möglichkeiten für die Betroffenen schaffen, dann zahlen wir später drauf.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Herzlichen Dank, Frau Dr. Sitte. Sie sollten Ihrem „Jawohl“ auch Taten folgen lassen und nicht auf meine Großmut setzen.

Als Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Jana Schimke.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7210282
Wahlperiode 19
Sitzung 20
Tagesordnungspunkt Absicherung von Solo-Selbständigen
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