16.03.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 21 / Tagesordnungspunkt 21

Leni BreymaierSPD - Lohndiskriminierung von Frauen

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haben Sie sich heute Morgen beim Zähneputzen auch überlegt, wie Sie am Wochenende Frauen am besten diskriminieren können?

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Wenn wir heute einen Teil von Diskriminierung, nämlich den des Entgelts, mit allen Weiterungen auf Rente, auf Arbeitslosengeld, auf Ersparnisse, auf Wohnsituation, auf Immobilienbesitz, betrachten und wieder einmal feststellen, dass Frauen 77 Tage länger arbeiten müssen, um das Einkommen zu erzielen, das der Durchschnittsmann in Deutschland vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Dezember 2017 erhalten hat, so ist das nicht das Ergebnis von bewussten Entscheidungen, die in diesem Hohen Hause, in den Länderparlamenten, den Kommunalparlamenten oder bei Tarifverhandlungen getroffen wurden, sondern von unbewusst diskriminierenden Maßnahmen.

(Beifall bei der SPD)

Wir stehen vor der Summe vieler Fehlentscheidungen in vielen Jahrzehnten. Für mich ist einer der wichtigsten Paragrafen, der schon weit über 100 Jahre alt war und den wir 1977 geändert haben, der aber heute noch so viele Auswirkungen auf unseren Alltag hat, dass ich ihn einmal zitieren will, der alte § 1356 des Bürgerlichen Gesetzbuches, der so begann:

Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, so weit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.

Mit dieser Bestimmung wurde zementiert, was wir seit 40 Jahren aufzubrechen versuchen, nämlich dass die Frau Zuverdienerin ist, dass das Haupteinkommen vom Mann kommt. Man erinnert sich kaum noch, dass es in den Tarifverträgen dieser Republik bis 1958 Abschläge für Frauen gab. Wenn die Frau gearbeitet hat, dann in Teilzeit, in geringfügiger Beschäftigung. Die Kinderbetreuung ist ja insbesondere, wenn ich in Schicht oder in Kliniken arbeite, auf jeden Fall unzureichend. So häuften sich die Diskriminierungen an.

Es ist so, dass in Frauenberufen weniger verdient wird als in Männerberufen. Es wird in Frauenbranchen weniger bezahlt als in Männerbranchen. Zudem haben wir auch innerhalb der Tarifverträge Benachteiligungen.

Ein kleines Beispiel: Es gibt den Tarifvertrag Einzelhandel. Bei dem kenne ich mich aus; in dieser Branche habe ich gearbeitet. Da erhält man – ab 1. April dieses Jahres – vier Jahre nach Abschluss der Ausbildung, nach dreijähriger Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau, ein Entgelt von 2 579 Euro in Vollzeitarbeit. In der gleichen Branche hat der Handwerker ab dem fünften Jahr nach der Lehre ein Entgelt von 2 879 Euro. Klar bekommt das auch die Handwerkerin; aber trotzdem haben wir im Handwerk eben mehr Männer als Frauen.

(Grigorios Aggelidis [FDP]: Dann müssen mehr Frauen ins Handwerk gehen!)

So sind auch Tarifverträge Vertragswerke, die mittelbar diskriminieren.

Ja, da kann eg-check.de durchaus helfen – kann man machen. Es ist ja nicht die einzige Maßnahme. Man kann auch den zur Verfügung stehenden Verteilungsspielraum nehmen, um Diskriminierungen abzubauen: Wenn Mittel für eine Entgelterhöhung um 3 Prozent zur Verfügung stehen, nimmt man 2 Prozentpunkte für eine lineare Erhöhung und 1 Prozentpunkt, um Diskriminierungen abzubauen. Dann sind wir aber schon mitten im Geschlechterkampf. Wenn es ums Geld geht, versteht ja die Menschheit keinen Spaß.

Es ist in den letzten Jahren auch schon viel passiert. Aber trotzdem ist es so, dass die Bewertung von Arbeit der alten Logik unterliegt: Physische Belastungen werden bedeutend besser und höher bewertet als Belastungen im psychosozialen Bereich. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die den jungen Frauen zur Lösung des Problems empfehlen, dann eben technische Berufe zu ergreifen. Klar kann man da viel tun, und klar kann man ermuntern und Programme machen. Doch am Ende des Tages muss eben auch die typische Frauenarbeit in dieser Gesellschaft gemacht werden. Deshalb halte ich wenig von der Rhetorik: Na, da hast du halt Pech gehabt, hättest du doch was Ordentliches gelernt! – Das stand übrigens schon vor Ihrer Rede in meinem Redemanuskript, Frau Groden-Kranich.

(Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]: Das habe ich aber auch nicht gesagt!)

Nicht, dass Sie meinen, ich nähme jetzt darauf Bezug!

(Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt!)

Heute befassen wir alle uns damit, wie wir die Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern schließen können und was die Politik konkret dafür tun kann. Es gibt nicht die eine Lösung. Sie haben das Bild des Mosaiks gewählt – ich wähle das Bild des Puzzles: Da haben wir ein Puzzle mit 1 000 Teilen, und da sind noch ganz schön viele Teile zu legen. Denn wenn wir nichts tun – das wissen wir auch –, dann haben wir Entgeltgleichheit in Deutschland erst in 192 Jahren. Das wäre doch ein bisschen lang.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Es wurde in den letzten Jahren viel getan: Wir haben den gesetzlichen Mindestlohn eingeführt. Das Entgelttransparenzgesetz ist ein Meilenstein. Grüne und Linke wollen das Gesetz jetzt auf kleinere Betriebe ausweiten – kann man machen. Aber ich sage mal: In einem Land, in dem 41 Prozent der Ehepartnerinnen und -partner nicht einmal wissen, was ihr Ehegespons verdient, haben wir eigentlich ganz andere Probleme.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Im Koalitionsvertrag, meine Damen und Herren, wurde verabredet, dass wir das Entgelttransparenzgesetz 2019 evaluieren. Ich glaube, auf diese Evaluation können wir noch warten, um zu sehen, wie das Gesetz in der Praxis wirkt – wir haben ja erst im Januar angefangen –, wo es nicht wirkt und welchen Handlungsbedarf es gibt.

Ich muss sagen: Die Dauereinigungsstelle, die Die Linke fordert, überzeugt mich nicht wirklich. Wie viele Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 100 des Betriebsverfassungsgesetzes, in denen Betriebsräte einer Einstellung, aber nicht der Eingruppierung zugestimmt haben, haben wir eigentlich in den letzten Jahren gehabt? Ich bin auch gerne bereit, bei der Belebung des § 87 des Betriebsverfassungsgesetzes zu helfen; denn bei den Fragen der betrieblichen Lohngestaltung ist echt noch Luft nach oben. Ich weiß nicht, ob wir dafür jetzt ein weiteres Instrument brauchen, das dann wieder nicht genutzt wird.

Wo wir beieinander sind, ist die Frage des Verbandsklagerechts. Das wünsche ich mir auch.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es war mit der Union bisher nicht zu machen. Aber vielleicht überzeugen wir sie ja noch in den Ausschüssen; denn wir reden hier nicht über individuelle Probleme, sondern über strukturelle Probleme.

Auch die Frage der Frauen in Führungspositionen ist ein wichtiges Puzzlestück. Ich finde, hier haben zwei von drei Regierungsparteien mit der Besetzung der Ministeriumsspitzen in dieser Woche Maßstäbe gesetzt. Hätte die CSU nicht dermaßen geschwächelt, könnte man damit vor der Privatwirtschaft protzen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Es geht also um die gesellschaftliche Wertigkeit der Arbeit von Frauen und Männern. Es gibt da wunderbare Beispiele, auch im künstlerischen Bereich: Die Kunst wird immer schlechter bewertet, wenn der Käufer weiß, dass sie von einer Frau geschaffen wurde. – Ich sehe gerade, ich habe nicht mehr so viel Redezeit.

Die Frage ist: Wie schaffen wir es in der Breite der Gesellschaft, das Ansehen und den Wert der Frauenarbeit zu erhöhen? Ich finde, hier gehen wir im Koalitionsvertrag gemeinsam einen großen Schritt: Wir werten die Pflege auf. Wir schaffen Bedingungen für die Vereinbarung eines Branchentarifvertrags für den Bereich Pflege, und wir schaffen Grundlagen dafür, dass dieser dann auch allgemeinverbindlich gilt.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen dafür sorgen, dass Equal Pay als Marktvorteil gestärkt wird. Wir müssen endlich das Recht auf Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit hinbekommen.

(Beifall des Abg. Sönke Rix [SPD])

Wir müssen es endlich schaffen, die Vereinbarkeit von Familien- und Berufsarbeit zu stärken, und zwar durch den Ausbau von Kitas, durch die Entlastung bei Gebühren und durch die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter. Das sind wichtige Rahmenbedingungen. Am Ende geht es darum, die bezahlte und die unbezahlte Arbeit von Männern und Frauen gleich zu verteilen. Daher mein letzter Satz: Wir müssen auch die Männer vom Charme der Spülmaschine überzeugen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Marianne Schieder [SPD]: Nicht nur von der!)

Frau Kollegin, Sie haben das wunderbar in der Zeit geschafft. Vielen Dank. – Der nächste Redner ist der Kollege Thomas Ehrhorn von der AfD.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7210557
Wahlperiode 19
Sitzung 21
Tagesordnungspunkt Lohndiskriminierung von Frauen
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