Lothar BindingSPD - Finanzen und Haushalt
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zunächst einen Satz zu Europa und zu Deutschland sagen. Deutschland fühlt sich in Europa sehr groß an, stark und mächtig; das stimmt. Aber in der Welt ist Deutschland doch eher klein und schmächtig, oder? Stimmt das nicht? Das meiste, was wir in Deutschland verdienen, unsere gesamte Einnahme, kommt im Wesentlichen aus Europa. Deshalb gilt der alte Satz: Es ist klug, keine armen Nachbarn zu haben, wenn man ihnen etwas verkaufen will.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Man kann auch nicht lange reich bleiben, wenn man nur arme Nachbarn hat. Wer jetzt glaubt, wir kämen ohne Europa zurecht, dem will ich eine Frage stellen: Haben wir mit deutschem Größenwahn nicht schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht? Das halte ich für eine Situation, über die wir genauer nachdenken müssen.
Ich will etwas machen, was ganz anders als das ist, was wir bisher gehört haben. Ich will erst einmal den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern danken, die überhaupt die gesamten Steuern zahlen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
Das sind ungefähr 730 Milliarden Euro.
(Zurufe von der FDP: Ah!)
Wenn wir diese 730 Milliarden Euro mit diesem Meter
(Der Redner hält einen Zollstock hoch)
einmal messen würden – seit dem Brexit sagen wir „Meter“ und nicht mehr „Zollstock“ –, dann entsprächen die Umsatzsteuereinnahmen genau drei Gliedern dieses Meters. Die Umsatzsteuer zahlen bekanntlich alle. Übrigens, je ärmer man ist, umso größer ist der Umsatzsteueranteil am Lohn.
Wenn wir mit diesem Meter auch noch die Lohnsteuereinnahmen messen würden, dann entsprächen sie weiteren drei Gliedern. Wir sehen: Die Steuereinnahmen wären relativ dünn, wenn Umsatzsteuer- und Lohnsteuereinnahmen entfielen. Entfielen außerdem Gewerbesteuer- und Körperschaftsteuereinnahmen – das entspräche aber nur einem Glied des Meters –, würden die Steuereinnahmen dahinschmelzen – wenn wir die Lohnsteuerzahler und die Umsatzsteuerzahler nicht hätten. Und so sehen wir, auf wem die Hauptlast der Steuer, die wir einnehmen, lastet.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Fabio De Masi [DIE LINKE])
Christian Dürr hat kritisiert, dass wir zu viel in den Rententopf geben, und er hat das mit dem Versprechen kombiniert, die FDP sei eine Serviceopposition. Jetzt habe ich eine ganz einfache Frage: Wenn diese 100 Milliarden Euro nicht in den Rententopf fließen, gibt es für mich darauf zwei Antworten: Entweder steigen die Lohnnebenkosten exorbitant – 100 Milliarden Euro sind ja ein Drittel der gesamten Rentenkosten –, oder die Renten müssen drastisch gekürzt werden.
(Dr. Florian Toncar [FDP]: Quatsch!)
Dummerweise hat die Serviceopposition versagt und hat uns gar keinen Service geliefert und uns gar nicht verraten, was wir jetzt machen sollen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Herr Kollege Binding, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Toncar?
Das möchte ich jetzt nicht machen.
(Zurufe von der FDP: Ah! – Erst tollste Erklärungen, und dann keine Zwischenfrage zulassen!)
– Ja, ja. Ich denke, wir diskutieren das im Ausschuss.
(Weitere Zurufe von der FDP)
– Ich weiß, die Wahrheit ist immer schlecht auszuhalten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich will noch etwas anderes sagen. Deutschland hat günstige Steuersätze, und jetzt senken die USA plötzlich die Steuern, und bei uns kommt große Panik auf. Die Lobbyisten, die Verbände, die Unternehmen sagen: Auch ihr müsst die Steuern senken. – Müssen wir wirklich die Steuern senken? Ist das wirklich das Wesentliche, niedrigste Steuersätze? Wäre es nicht viel wichtiger, sich um das zu kümmern, was im Koalitionsvertrag steht, was Olaf Scholz vorgetragen hat?
Einmal angenommen, wir hätten niedrige Steuersätze, aber die innere Sicherheit wäre schlecht: Wo geht man eigentlich hin? Dorthin, wo niedrige Steuersätze sind, oder dorthin, wo die innere Sicherheit gut ist? Einmal angenommen, das Verkehrssystem wäre schlecht, aber es gäbe niedrige Steuersätze: Wo geht man eigentlich hin? Wenn zum Beispiel die Bildung und die Ausbildung schlecht sind: Wo geht man hin? Dorthin, wo niedrige Steuersätze sind, oder dorthin, wo Bildung und Ausbildung gut sind? Die Antwort ist ganz einfach: Wenn irgendwo die Lage gut ist und die Kultur stimmt, gehe ich genau dorthin, auch wenn ich einen Groschen mehr bezahle.
Interessanterweise haben die USA jetzt selber viele Instrumente eingeführt, die wir schon kennen: die Mindestbesteuerung zum Beispiel, die Zinsschranke, also diese Dinge des Teufels. Den unfairen Teil – Sperrzölle und solche Sachen – müssen wir separat in den Blick nehmen. Da gibt es sicherlich etwas zu tun.
Ich möchte noch eines zu Gerhard Schick sagen: Du hast wichtige Sachen vorgetragen, aber die gesamte Regulierung, die bisher, seit der Krise, passiert ist, hast du unterschlagen. Ich meine, wenn man an Peer Steinbrück denkt, muss man wenigstens fragen: Hat eigentlich ein Sparer sein Guthaben verloren? Ich weiß, infolge der Inflation ist der Realzins ungefähr gleich geblieben, der Nominalzins ist gesunken; das stimmt. Aber hat ein Sparer sein Geld verloren? Das war die damalige Krisensituation! Wer hat eigentlich die Krise bezahlt, und wie sind wir da herausgekommen?
Wir sehen: Die Regulatorik ist bei uns in einer Weise entwickelt, dass –, auch mit dem Bail-out-Verbot, mit der Haftungskaskade –
Herr Kollege Binding.
– ich komme zum Schluss –, –
Sehr schön.
– eine sehr gute und sichere Lage in Europa entstanden ist. Mit dieser Sicherheit und mit unserem Steuersystem in Europa haben wir eine gute Zukunft.
(Beifall bei der SPD)
Herr Kollege Binding, ich rate Ihnen, Ihren Meterstab oder Zollstock noch nicht wegzupacken; denn der Kollege Toncar hat die Bitte um eine Kurzintervention geäußert.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7211527 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 23 |
Tagesordnungspunkt | Finanzen und Haushalt |