Norbert MüllerDIE LINKE - Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte Gäste! Nachdem wir – irgendwann auch die Grünen – in den letzten vier Jahren Woche für Woche versucht haben, über Kinderarmut zu reden, und dabei auf ein, freundlich gesagt, bemitleidendes Desinteresse in den Reihen der Großen Koalition von SPD, CDU und CSU gestoßen sind, nehmen wir natürlich zur Kenntnis, dass auch Sie jetzt den Kampf gegen Kinderarmut voranstellen wollen. Ich hätte mich bei der Großen Koalition schon fast bedankt; doch dann las ich die Überschriften im Koalitionsvertrag und konnte im Detail nachlesen, was Sie hier eigentlich beabsichtigen. Selbst die Kanzlerin hat gesagt: Der Kampf gegen Kinderarmut ist wichtig. Sogar Marcus Weinberg von der CDU/CSU hat das gerade ganz nach vorne gestellt. Das heißt, Sie haben das Problem erkannt; aber eine Lösung haben Sie eben nicht mitgeliefert.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir reden über bis zu 3 Millionen arme Kinder – bis zu 3 Millionen arme Kinder! Das sind Kinder, die schlechter ernährt werden, schlechtere Bildungschancen haben, eine kürzere Lebenserwartung haben – das ist ziemlich brutal; das muss man sich schlichtweg vergegenwärtigen: sie werden einfach nicht so alt wie die gleichaltrigen Kinder, mit denen sie zusammen in die Schule gehen und die nicht aus armen Elternhäusern kommen –, eine schlechtere Gesundheitsversorgung haben und bei Teilhabe an Sportereignissen, Kulturgeschichten und Ähnlichem benachteiligt werden.
Wenn wir darüber reden, was Kinder einer Gesellschaft wert sind, dann müssen wir uns drei Dinge vergegenwärtigen: In Deutschland haben wir Kinder der Besserverdienenden. Die profitieren von den Kinderfreibeträgen – momentan bis zu 300 Euro monatlich. Das heißt, die Bundestagsabgeordneten, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kinder haben, profitieren jeden Monat für jedes Kind mit bis zu 300 Euro, die sie nämlich weniger Steuern zahlen. Durchschnitts- und Geringverdiener bekommen seit dem 1. Januar 2018 immerhin noch 194 Euro Kindergeld. Das heißt, ein Besserverdienender bekommt für ein Kind schon über 100 Euro mehr, als der Durchschnittsverdiener an Kindergeld bekommt. Aber die Kinder in wirklich armen Familien, die 1,9 Millionen Kinder, die in Bedarfsgemeinschaften leben, haben gar nichts davon, weil das Kindergeld vollständig auf Hartz IV angerechnet wird.
Jetzt sagen Sie: Kinderarmut wollen wir bekämpfen. Deswegen erhöhen wir das Kindergeld. Weil wir das für die Durchschnittsverdiener machen – die profitieren nämlich von dem Kindergeld –, müssen wir natürlich auch etwas für die Besserverdienenden machen. Deswegen erhöhen wir auch die Kinderfreibeträge. Ach ja, und für die Kinder, die in Hartz IV leben? Na ja, da wollen wir perspektivisch, dass die Eltern Arbeit finden. Wenn das Einkommen nicht zum Leben reicht, haben die eben Pech gehabt. Wir doktern ein bisschen am Kinderzuschlag herum. – Das wird im Kern nichts daran ändern, dass Sie für die 1,9 Millionen Kinder, die jetzt in Bedarfsgemeinschaften leben, die jetzt in armen Familien sind, gar nichts tun. Ihre Bekämpfung von Kinderarmut heißt, mehr Geld für die Kinder von Besserverdienenden zu geben und das Kindergeld moderat zu erhöhen, nachdem es in den letzten Jahren nur um 6 Euro erhöht wurde. Das geht nicht, und da sagen wir Linke: Wir brauchen völlig andere Schritte zur Bekämpfung von Kinderarmut.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Erstens. Die Regelbedarfssätze müssen erhöht werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es wäre ein erster Schritt, wenn sie wenigstens so hoch wären, wie die Bedarfe real sind, das heißt, wenn Sie aufhören würden, sie im Bundesarbeitsministerium künstlich herunterzurechnen, indem Sie den Weihnachtsbaum, die Ferienfreizeit und die Eiskugel im Sommer herausrechnen.
Zweitens. Das Kindergeld muss so hoch sein wie die maximale steuerliche Entlastung aus dem Kinderfreibetrag. Das sind 328 Euro. Nur dann sind alle Kinder gleich viel wert.
(Beifall bei der LINKEN)
Drittens. Sorgen Sie dafür, dass das Mittagessen, Sport, Kultur und die Nutzung von Verkehrsmitteln für Kinder und Jugendliche kostenfrei sind! Stellen Sie alle frei; so bauen Sie Diskriminierung ab. Das wäre ein erster Schritt.
Marcus Weinberg hat gesagt, dass Sie die Zuzahlung von 1 Euro für das Mittagessen in der Schule für arme Kinder – Stichwort: Bildungsteilhabepaket – abschaffen wollen. Das ist eine prima Initiative. Dann können Sie morgen im Bundesrat direkt zustimmen. Das rot-rot regierte Brandenburg beantragt das nämlich.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich gehe davon aus, dass die Länder, die mit CDU und SPD regiert werden, im Bundesrat zustimmen, damit wir auf einem schnellen Weg dazu kommen, dass diese unsägliche Zuzahlung von 1 Euro für das Mittagessen in Schulen für arme Kinder entfällt.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich rufe für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Annalena Baerbock auf.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7212114 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 23 |
Tagesordnungspunkt | Familie, Senioren, Frauen und Jugend |