Heiko Maas - Jahresabrüstungsbericht 2017
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jüngst kündigte der russische Präsident in einer Rede zur Lage der Nation neue offensive Waffensysteme an, die das Nuklearpotenzial von Russland erheblich erweitern sollen. Auch China, Indien, Pakistan rüsten beträchtlich auf, und die USA setzen die bereits begonnene Modernisierung ihres Nuklearwaffenarsenals fort. Noch viel beunruhigender ist die Tatsache, dass das Tabu, Chemiewaffen einzusetzen, vielfach gebrochen worden ist. Wir haben darüber gestern gesprochen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerne würde ich zu Beginn der Diskussion über den Jahresabrüstungsbericht 2017 anderes berichten, aber die aktuelle sicherheitspolitische Lage zwingt uns dazu, zu erkennen – und es führt kein Weg daran vorbei, dies zu erkennen –: Die Zeichen stehen in vielen Teilen der Welt auf Aufrüstung – leider. Gleichzeitig erodiert die weltweite wie auch speziell die europäische regelbasierte und kooperative Abrüstungs- und Rüstungskontrollarchitektur. Kaum eines der Regime, die jahrzehntelang zu unserer Sicherheit in Europa beigetragen haben, funktioniert noch in vollem Umfang. So ist seit über zehn Jahren der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa durch Russland einseitig suspendiert.
(Widerspruch des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE])
Und es stimmt: Auch andere Vertragsparteien, im Kaukasus zum Beispiel, erfüllen diesen nicht in allen Punkten. Die USA und Russland werfen sich gegenseitig vor, den INF-Vertrag zu verletzen, anstatt konstruktiv die besorgniserregenden Vorwürfe wechselseitig auszuräumen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie soll man mit dieser sicherheitspolitischen Großwetterlage umgehen? Unsere Aufgabe ist es, den Schutz und die Sicherheit der Menschen in unserem Land, aber auch darüber hinaus zu gewährleisten, jeder militärischen Eskalation strikt entgegenzuwirken und auf allen Ebenen für politische Lösungen zu kämpfen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Die NATO-Partner haben beim Warschauer Gipfel 2016 einvernehmlich beschlossen, die konventionellen Verteidigungsfähigkeiten zu optimieren. Vor allem aber, meine Damen und Herren, stärken Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung unsere Sicherheit. Das zeigt der Ihnen vorliegende Bericht außerordentlich anschaulich. Hier wird es notwendig sein, zusätzliches Engagement zu zeigen. Dies muss aus unserer Sicht drei Ziele verfolgen.
Erstens. Wir müssen alles daransetzen, die bestehende Abrüstungs- und Rüstungskontrollarchitektur zu erhalten. Das bedeutet vor allem Eskalationsvermeidung durch Transparenzbildung und Dialog, auch um bereits verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Deshalb setzen wir uns zum Beispiel in Gesprächen mit Russland und den anderen OSZE-Staaten für den Erhalt und, wo nötig, auch die Modernisierung der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa ein.
Zweitens. Wir müssen auch akute Proliferationsrisiken minimieren. Wir wissen alle: Nordkoreas völkerrechtswidrige Nuklear- und Raketenprogramme bedrohen den Frieden und die Sicherheit nicht nur in der dortigen Region, sondern weltweit. Deutschland steht deswegen hinter dem Doppelansatz aus Sanktionsdruck, aber vor allen Dingen auch Dialog. Gleichzeitig begrüßen wir trotz aller Skepsis, die man dabei haben kann, jede diplomatische Bemühung, die zu einer verbindlichen und überprüfbaren Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel führt; denn wir müssen auch im Hinterkopf behalten: Wenn es nicht gelingt, die nordkoreanische nukleare Bewaffnung zu beenden, droht die Entstehung weiterer Nuklearwaffenstaaten in Ostasien.
In dieser Situation sollten wir alles dafür tun, dass eine bereits weitgehend eingehegte Krise, der Konflikt über das iranische Nuklearprogramm, nicht wieder ausbricht. Die Unsicherheit über die Zukunft der Wiener Nuklearvereinbarung ist alles andere als hilfreich. Wir haben daher ein überragendes Interesse daran, dass die Wiener Nuklearvereinbarung erhalten bleibt. Als E-3-Außenminister setzen wir uns gerade sehr intensiv, auch gegenüber den Vereinigten Staaten, dafür ein, dass das nach dem 12. Mai so bleibt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Drittens. Wir dürfen – das ist ebenfalls sehr wichtig – das Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt nicht aus den Augen verlieren. Wir gehen dabei nicht – darüber haben wir hier vor einigen Wochen schon ausführlich diskutiert – den Weg des Atomwaffenverbotsvertrages. Unser zentraler Eckpfeiler und Kompass ist und bleibt der nukleare Nichtverbreitungsvertrag. Da gilt es, das Erreichte – das ist nicht wenig – zu bewahren. Dafür setzen wir uns auch gegenüber unseren G-7-Partnern ein, die sich am kommenden Wochenende in Toronto treffen werden. Denn wir hier in Deutschland haben den Anspruch, die Rahmenbedingungen für die nuklearwaffenfreie Welt aktiv mitzugestalten; und das werden wir auch auf diesem Treffen tun.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir können hier bereits Erfolge verbuchen. Maßgeblich auf deutsches Betreiben hin sind die Verhandlungen über ein Verbot zur Herstellung von waffenfähigem Spaltmaterial ein gutes Stück nähergerückt. Fortschritte im Bereich der nuklearen Abrüstung sind auch darüber hinaus möglich, und das, obwohl wir sicherlich in sicherheitspolitisch schwierigen Zeiten leben. Das haben die USA und Russland im Februar dieses Jahres schon gezeigt. Sie haben die im Rahmen des New-START-Vertrages vereinbarten Obergrenzen für einsatzbereite strategische Nuklearwaffen erreicht. Das ist ein gutes Zeichen für die Verlängerung des Vertrages, die demnächst ansteht; und diese Verlängerung brauchen wir für die Sicherheit in Europa und auch darüber hinaus.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen: Über Sicherheit in Europa, in Deutschland und auf der Welt brauchen wir eine offene und realistische Debatte, und die wollen wir heute führen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Nächster Redner ist der Kollege Hampel, AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7219077 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 26 |
Tagesordnungspunkt | Jahresabrüstungsbericht 2017 |