Hans-Peter Bartels - Jahresberichte 2016 und 2017 des Wehrbeauftragten
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute gleich über zwei Jahresberichte: abschließend über den für das Jahr 2016 und neu über den für das Jahr 2017. Das ist dem Wahljahr und der diesmal etwas längeren Übergangszeit geschuldet.
Nach der Wahl gibt es jetzt zusätzliche neue Fraktionen und viele neue Abgeordnete. Lassen Sie mich deshalb zunächst ein paar Worte zur Institution des Wehrbeauftragten sagen. Dieses Amt ist ein bisschen besonders, und es ist etwas ziemlich Deutsches. Als in den 50er-Jahren die Wiederbewaffnung beschlossen wurde, war das hier im Bundestag wie in der westdeutschen Gesellschaft insgesamt hochumstritten. Es sollte auf jeden Fall eine Neugründung von Streitkräften in der Demokratie und für die Demokratie werden, keine Wiederbelebung von Wehrmacht oder Reichswehr, obwohl es natürlich Kriegsgediente waren, die diese neue Bundeswehr aufzubauen hatten. Deshalb die Prinzipien „Staatsbürger in Uniform“ und „Innere Führung“, deshalb das Prinzip „Parlamentsarmee“.
Parlamentsarmee heißt unter anderem, dass verpflichtend nach Artikel 45a Grundgesetz ein Verteidigungsausschuss einzurichten ist. Parlamentsarmee heißt, dass nach Artikel 45b des Grundgesetzes vom Deutschen Bundestag ein Wehrbeauftragter zu wählen ist. Unsere Verfassung will eine starke, permanente parlamentarische Kontrolle im Interesse der Grundrechte aller Soldatinnen und Soldaten, im Interesse der Grundsätze der Inneren Führung.
Jeder Soldat hat das Recht, sich einzeln ohne Einhaltung des Dienstweges unmittelbar an den Wehrbeauftragten zu wenden.
So steht es in § 7 des Wehrbeauftragtengesetzes. Dabei unterliegt er oder sie keiner thematischen oder politischen Einschränkung, wenn der Bezug zur Bundeswehr gegeben ist. Entsprechend vielfältig sind die Themen.
Der Wehrbeauftragte hat über diese Eingaben und über seine sonstigen Erkenntnisse, etwa aus Truppenbesuchen, dem Bundestag einmal jährlich zu berichten. Zwei dieser Berichte beraten wir heute. Das ist ein Ausdruck unserer gemeinschaftlichen parlamentarischen Verantwortung. Wir sind auf diese Weise wirklich gut mit der Einbindung der Bundeswehr in unsere demokratische Gesellschaft gefahren.
(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Und wir müssen das mitnehmen auf unserem Weg hin zur europäischen Verteidigungsunion.
Nach all den Debatten des vergangenen Jahres, zuletzt über den Traditionserlass, möchte ich sagen: Es ist ein Glück, dass uns diese Bundeswehr in der Demokratie heute ganz normal erscheint, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zu dieser Normalität gehört, dass Fehlverhalten erkannt, geahndet und abgestellt wird. Davon handeln im Bericht die Kapitel über Führungsverhalten und Dienstaufsicht, Mobbing und sexuelle Belästigung sowie Extremisten in der Bundeswehr. Die Sensibilität ist hier insbesondere nach den Fällen von Pfullendorf und Illkirch noch einmal signifikant gestiegen.
Manche meinen, der Fall Franco A. sei übertrieben ernst genommen worden. Ich meine das nicht. Gewiss, es gab Fehler bei der Fehlersuche. Aber bei Terrorverdacht kann man nicht vorsichtig genug sein. Deshalb ist es besser, dreimal hinzuschauen und am Ende festzustellen: „Es gab keine Terrorzelle in der Bundeswehr“, als einmal zu wenig aufzupassen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Und im Übrigen gilt: Wer die Freiheit und den demokratischen Rechtsstaat bekämpft, der hat in der Bundeswehr nichts verloren.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Viel beschäftigt hat mich in der letzten Zeit das Thema Ausbildung. Hier ist der Übergang von der Wehrpflicht- zur reinen Freiwilligenarmee noch nicht ganz geschafft, organisatorisch nicht und mental manchmal auch noch nicht. Es ist jedenfalls nicht Aufgabe von Ausbildern, die tauglich Gemusterten, nach Eignung und Bedarf eingestellten Freiwilligen durch Überforderung oder Schikane zu vergrämen. Wo Ausbildung auf der Intensivstation endet, ist definitiv etwas aus dem Ruder gelaufen. Deshalb begrüße ich sehr, Frau Ministerin von der Leyen, dass Sie das ganze Thema jetzt einmal grundsätzlich angehen wollen: von der Allgemeinen Grundausbildung bis zum Offizierstudium.
Ich begrüße ebenso den geplanten Aufwuchs um 12 000 militärische Dienstposten bis 2024. Das schließt viele der erkannten Lücken – wenn es klappt. Es wird aber nicht leicht, so viel Personal zusätzlich zu gewinnen, zumal auch die Polizei gerade massiv um junge Leute wirbt. Die Aufgabe ist sogar noch größer, weil gegenwärtig 21 000 Dienstposten für Unteroffiziere und Offiziere nicht besetzt sind. Also muss die Bundeswehr noch attraktiver werden. Es hilft übrigens enorm, wenn bei Programmen zur Attraktivitätssteigerung nicht nur an neue Leute gedacht wird, sondern auch an das sogenannte Bestandspersonal. Wenn ich Rekruten frage, wie sie zur Bundeswehr gekommen sind, dann ist oft die Rede von Soldaten in der Verwandtschaft oder im Freundeskreis; das sind die besten Multiplikatoren. Für sie muss es besser werden bei den Pendlerunterkünften und bei der Auszahlung von Überstunden. Schöne Betreuungseinrichtungen in der Kaserne und WLAN in der Kaserne sind nötig. Die Familie muss in die PTBS-Betreuung einbezogen werden, wenn das nötig ist und wenn sie das wollen. Es muss besser werden mit den oft verspäteten In- und Out-Flügen nach Afghanistan und Mali. Unsere Hubschrauberbesatzungen brauchen einen Befreiungsschlag bei der Flugstundenproblematik. Und es muss Schluss sein mit den verunsichernden Gerüchten über die nächste Dienstzeitverlängerung für Berufssoldaten. Das sind nur einige Punkte, die ich immer wieder höre.
Zwei gute Beispiele in Sachen Unterkünfte – ich will auch loben – sind die Einsatzflottille 2 in Wilhelmshaven und die Heeresoffizierschule in Dresden. Hier wurden, der Not gehorchend, privat Unterkünfte gebaut und von der Bundeswehr angemietet. Das scheint mir eine schnelle und wirtschaftliche Lösung zu sein. Mehr davon!
All das ist wichtig. Aber das Megathema der Soldatinnen und Soldaten ist ein anderes. Es ist die Ausrüstung. Die Soldaten sagen: Trendwendepläne sind gut, Trendwendematerial wäre besser. Ausbildung am Originalgerät ist existenziell: mit dem Flugzeug, dem Hubschrauber, dem Panzer, dem Schiff. Als Wehrbeauftragter interessiert mich die Mangelwirtschaft nicht nur, weil sie die Soldaten extrem nervt, sondern vor allem, weil ein Mangel an Übung, wenn es hart auf hart kommt, gefährlich werden könnte. In seinem offiziellen Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft stellt das Heer in diesem Jahr ausdrücklich fest: Ausbildung und Übungen unterliegen „teilweisen Einschränkungen“. Die Marine meldet, dass Ausbildung „in allen Bereichen“, wie es diplomatisch heißt, „nicht immer im erforderlichen Umfang sichergestellt werden“ kann. Der Klartext der Luftwaffe lautet: Es gibt „bereits jetzt“ einen „gewissen Verlust fliegerischer Fähigkeiten“.
Das sind alarmierende Meldungen. Hier geht es um Großgerät, Hauptwaffensysteme. Das ist alles schwierig: Obsoleszenzen, Altersschwäche, Kinderkrankheiten, Ersatzteile, multinationale Verträge, Raketenwissenschaft. Schon klar, dass es dauert, das zu verbessern. Aber Winterjacken für unsere Truppe in Rukla und Kunduz? Bergausstattung für Lehrgangsteilnehmer in Österreich? Und warum um Himmels willen muss sich ein Drei-Sterne-General um die richtigen Schlafsäcke für eine NATO-Übung in Norwegen kümmern? Unsere Beschaffungsregeln passen nicht mehr. Wenn 100 zuständige Experten jeden Tag zu 100 Prozent das Richtige tun und das dann nur zu einem 30-Prozent-Ergebnis führt, dann sollten wir uns unsere alte Definition von „richtig“ noch mal anschauen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)
Gut, dass im Koalitionsvertrag Beschleunigung bei der Beschaffung ein Thema ist. Gut, dass Staatssekretärin Suder alle notwendigen Analysen hat vornehmen lassen.
(Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Die ist nicht mehr da!)
Die sind jetzt da. Jetzt brauchen wir neue Regeln für mehr Tempo.
Lassen Sie mich bitte abschließend einen Vorschlag machen: Ich könnte mir vorstellen, dass man neben dem großen Plan A – materielle Vollausstattung bis 2030 – einen zusätzlichen, kleineren Plan B setzt: für die schnelle und spürbare Vollausstattung, zum Beispiel mit der neuen Kampfbekleidung, einschließlich Stiefel, Schutzwesten und all dem an persönlicher Ausstattung, was die Soldaten sich sonst aus eigener Tasche kaufen. Das wäre ein Programm, das Vertrauen herstellt in die vielen notwendigen Verbesserungen, die später kommen.
Nicht vergessen will ich den Dank an meine hervorragenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Amt und an unsere vielen engagierten Ansprechpartner in der Bundeswehr und im Ministerium. Wir haben unterschiedliche Aufgaben, aber dem Wohl des Landes und unserer Soldatinnen und Soldaten sind wir gleichermaßen verpflichtet. Gestern wurde einer von ihnen – der Älteste, der Generalinspekteur –, General Volker Wieker, in den Ruhestand verabschiedet. Er hat sich wahrlich Verdienste um unsere Parlamentsarmee erworben. Er war acht Jahre lang unsere belastbare „bridge over troubled water“. Auch dafür sage ich vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der AfD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Bevor ich der Bundesministerin das Wort erteile, möchte ich mich im Namen des Hauses beim Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Vorlage des Jahresberichts 2017 und natürlich für ihre Arbeit insgesamt bedanken.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der AfD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Das Wort hat die Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursula von der Leyen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7219174 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 26 |
Tagesordnungspunkt | Jahresberichte 2016 und 2017 des Wehrbeauftragten |