19.04.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 26 / Tagesordnungspunkt 16

Gabriela HeinrichSPD - Christenverfolgung

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Menschenrechte gelten für jede und für jeden und sind somit universell.

(Beatrix von Storch [AfD]: Auch für Christen!)

In der Menschenrechtspolitik ist es dabei völlig legitim, wenn wir auf bestimmte Gruppen hinweisen, die einen besonderen Schutzbedarf haben, zum Beispiel weil sie unter besonderer Verfolgung leiden. Dazu gehören in vielen Ländern unzweifelhaft auch Christen.

Die Menschenrechte sind unteilbar und gelten für alle. Sie gelten für die, die wegen ihrer Religion verfolgt werden. Sie gelten für die, die wegen ihrer Meinung, ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden oder wegen der bloßen Tatsache, dass sie weiblich sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen möchte ich gleich zu Anfang sagen: Wenn man nicht die Menschenrechte von allen verteidigen will, sondern nur die von ausgewählten Gruppen, dann handelt es sich nicht um Menschenrechtspolitik.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU])

Deswegen halte ich den vorliegenden Antrag auch nicht für einen menschenrechtspolitischen Antrag.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Religionsfreiheit oder Bekenntnisfreiheit ist ein wichtiges Menschenrecht. Wird jemand wegen seines Glaubens angegriffen oder diskriminiert, ist das eine klare Verletzung der Menschenrechte, und hier darf keine Religion bevorzugt oder isoliert betrachtet werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese Sichtweise entspricht auch dem christlichen Verständnis. Christ sein heißt, dass es immer um alle Nächsten geht. Trennlinien dürfen nicht zwischen West und Ost, Nord und Süd oder zwischen den Religionen gezogen werden.

Vergleichen Sie einmal den Christenverfolgungsindex von Open Doors mit Projekten von Caritas international. Sie werden in fast jedem Land fündig: Zum Beispiel liegt Afghanistan im Weltverfolgungsindex von Open Doors auf Platz zwei – Platz zwei bei der Verfolgung von Christen. Aber die Caritas arbeitet dort in mehreren Projekten, unter anderem um die Gesundheit von Müttern und Kindern zu verbessern. Der Sudan liegt auf Platz vier, aber Caritas international fördert in den Nuba-Bergen vier Grundschulen, eine weiterführende Schule sowie ein Lehrerausbildungsseminar. Und dafür sagen wir: Danke!

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Soll die Caritas aufhören, im Sudan zu arbeiten? Natürlich nicht. Denn ein christliches Weltbild bedeutet, auch in Ländern zu arbeiten, in denen es für Christen wahrlich nicht leicht ist. Und übrigens: Gerade Christen in unserem Land kümmern sich ungeheuer engagiert um Flüchtlinge, die sehr häufig Muslime sind. Ich habe noch nie gehört, dass Flüchtlingshelfer ihr Engagement von der Religionszugehörigkeit abhängig machen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Auch für das Kirchenasyl ist die Zugehörigkeit zum Christentum durchaus keine Bedingung.

Wer sich nur für Christen einsetzt, treibt Spaltung voran – und eine Spaltung in „gute“ Religion und „böse“ Religion schürt doch in Wirklichkeit Konflikte, anstatt zu versöhnen. In Myanmar hetzen buddhistische Mönche gegen Muslime. „ Mehr als 20 Gemeinden Myanmars haben sich inzwischen zu ‚no-go zones’ für Muslime erklärt“, schreibt der „Tagesspiegel“ im März 2018. Moscheen werden angezündet, die Polizei tut nichts dagegen. Deswegen beschäftigen wir uns morgen aus menschenrechtlicher Perspektive mit der Verfolgung der Rohingya.

Die Verfolgung von religiösen Minderheiten ist nicht zwingend staatlich. Oft geht die Verfolgung, die Hetze von religiösen Führern aus – Sie haben es selbst beschrieben –, man denke an Ägypten. Wenn koptische Kirchen brennen, geschieht das nicht auf Anweisung des Präsidenten.

Im Antrag geht es nicht darum, eine besonders schutzwürdige Gruppe zu schützen. Der Antrag will spalten und treibt einen Keil zwischen die Menschen unterschiedlichen Glaubens.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Die Forderung, Ländern Entwicklungsgelder zusammenzustreichen, greift mehr als nur zu kurz. Wollen wir Staaten bestrafen, die sich um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bemühen, wenn die Diskriminierung von Christen in der Gesellschaft angelegt ist, wie zum Beispiel in Tunesien? Wer Entwicklungszusammenarbeit nur vom Recht einer Minderheit auf Religionsfreiheit abhängig machen will, schadet gerade der Minderheit, um die es geht. Die ist in den Köpfen der Menschen dann auch noch schuld.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein Hauptziel von Entwicklungsarbeit muss es sein, die Menschenrechte insgesamt voranzubringen: soziale Menschenrechte, wenn es um Hunger, Wasser, Gesundheit oder Bildung geht; Freiheits- und Ausdrucksrechte, wenn es um Meinung oder eben um Religion geht.

Es gibt überaus sinnvolle Forderungen, etwas zu verändern. Wir setzen uns zum Beispiel dafür ein, in den Botschaften Stellen für Menschenrechtsexperten zu schaffen. Wichtig ist, das Thema Menschenrechte noch viel mehr in den Botschaften zu verankern, damit wir hier noch mehr Wirksamkeit entfalten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich beobachte in den letzten Jahren zwei Tendenzen: Einerseits wird Religionsfreiheit besonders betont. Es entsteht dann der Eindruck, dieses Menschenrecht sei wichtiger als alle anderen Freiheitsrechte. Ja, es ist zentral, aber nicht zentraler als zum Beispiel die Meinungsfreiheit. Andererseits wird die Religionsfreiheit häufig nur bestimmten Religionen zugestanden.

Grundsätzlich gilt die Religionsfreiheit für alle gleich, sogar für das Fliegende Spaghettimonster.

(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Aber Religionsfreiheit steht nicht als Höchstes im Ranking der Menschenrechte; es gibt hier nämlich gar kein Ranking. Mein Eindruck ist, dass hier Religionsfreiheit für Christen genutzt wird, um sich gegen vermeintlich Fremdes abzugrenzen. Ich nenne das Instrumentalisierung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen unermüdlich daran arbeiten, alle Minderheiten zu schützen, ethnische und religiöse ebenso wie Minderheiten hinsichtlich der sexuellen Orientierung. Wir müssen uns für die Gleichberechtigung von Frauen einsetzen. Wir müssen, wo immer es geht, die Zivilgesellschaft stärken; das machen wir auch.

Wir fördern durch unsere Entwicklungszusammenarbeit 155 Projekte mit einem Gesamtvolumen von über 1 Milliarde Euro in folgenden Bereichen: Rechtsstaatlichkeit, demokratische Teilhabe und Zivilgesellschaft, Parlamente, Medien und freier Informationsfluss. Denn eines ist klar: Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sind der beste Schutz vor Verfolgung – für alle.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsche Politik muss die Religionsfreiheit weltweit voranbringen und vor Ort das friedliche Zusammenleben aller Menschen fördern.

(Zuruf von der AfD: Erdogan!)

Dazu steht uns ein breites Instrumentarium zur Verfügung. Nutzen wir es! Im Antrag steht dazu nichts Hilfreiches. Er nutzt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte dazu, Menschen zu spalten. Darauf muss man erst einmal kommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion Die Linke erteile ich das Wort der Kollegin Zaklin Nastic.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7219356
Wahlperiode 19
Sitzung 26
Tagesordnungspunkt Christenverfolgung
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