Karl-Heinz BrunnerSPD - Straffreiheit für Fahren ohne Fahrschein
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie diese rechtliche Tatsache klargestellt und dafür auch eine Begründung gegeben haben.
Meine Kolleginnen und Kollegen, ich habe gedacht, ich höre nicht recht, als vorhin von einer Güterabwägung gesprochen wurde, insbesondere im Bereich des Bußgeldes. Ich hatte nicht im Traum daran gedacht, die Gesetzentwürfe der Grünen oder der Linken in irgendeiner Weise zu begründen. Aber ich sage ganz deutlich: Wenn man Verkehrsdelikte – beispielweise einen Rotlichtverstoß, bei dem Menschenleben gefährdet werden können – und Ordnungswidrigkeiten als ganz normale Angelegenheit betrachtet und die Beförderungserschleichung, sprich das Schwarzfahren, in unserem Wertegefüge als krimineller einordnet, dann bin ich, glaube ich, auf dem falschen Dampfer.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, soll aber nicht bedeuten, dass ich der Auffassung bin, der Straftatbestand der Beförderungserschleichung in der jetzigen Form müsse beseitigt werden. Ich sage das ganz deutlich.
Lassen Sie uns zu den Tatsachen zurückkommen, also zu dem, worum es geht. Ich habe zweifelsohne sehr viel Verständnis für den Gedanken, eine Entkriminalisierung unseres Strafrechts vorzunehmen und dafür zu sorgen, dass nur wirklich kriminelle Straftaten dem Strafrecht unterliegen und in anderen Bereichen das Ordnungswidrigkeitenrecht anzuwenden ist. Aber ich sage auch ganz deutlich, lieber Kollege Movassat: Ich möchte nicht, dass die Frage: „Strafrecht oder Ordnungswidrigkeitenrecht?“ die Baustelle ist, auf der wir geringe Ausbildungsvergütungen, niedrige Löhne und die Armut in diesem Lande reparieren; das geht nicht.
(Beifall der Abg. Dagmar Ziegler [SPD] – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das wollen wir ja auch besser haben!)
Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht müssen unabhängig davon, was jemand verdient, angewendet werden.
Ich will in diesem Hause Folgendes sagen: Wegen Beförderungserschleichung – Herr Seitz, als Staatsanwalt wissen Sie das bzw. müssten Sie das eigentlich wissen – werden in diesem Lande nur Personen belangt, die aufgrund eines Strafantrags des Beförderungsunternehmens ein Strafverfahren durchlaufen, dabei muss – das darf man nicht vergessen – der Geringwertigkeitsbetrag von 50 Euro überschritten sein. Wenn der Schaden geringer als 50 Euro ist, wird dieser Straftatbestand, auch auf Antrag, von keiner Staatsanwaltschaft in Deutschland verfolgt, außer es handelt sich zum Beispiel um einen Wiederholungstäter. Eine Gesamtstrafenbildung gibt es natürlich. Aber ich würde sagen: Für jemanden, der einen Diebstahl oder eine Körperverletzung begangen hat und bei dem eine Beförderungserschleichung hinzukommt, ist Letzteres nicht unbedingt ausschlaggebend.
Ich sage ganz deutlich: Ich halte es für den falschen Weg und den falschen Ansatz, Personalpolitik in Justizvollzugsanstalten und im Justizhaushalt allein im Hinblick auf das Strafrecht zu betreiben. Als der Berliner Justizsenator vor kurzem anlässlich des Ausbruchs mehrerer Häftlinge laut darüber nachdachte, die Beförderungserschleichung nicht mehr auch mit Haftstrafen zu ahnden, um so Ausbrüche aus Justizvollzugsanstalten zu verhindern, habe ich mich gefragt, ob er jemals in einer JVA war. Es waren übrigens andere, die dort ausgestiegen sind.
Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten denken, dass es im Zusammenhang mit der Entschlackung des Strafrechts notwendig ist, auch die Beförderungserschleichung in den Fokus zu nehmen. Wir dürfen aber keinen Schnellschuss machen und einfach sagen: Das tun wir jetzt zur Seite. – Wir müssen gut abwägen und eine richtige Lösung finden. Denn es kann nicht sein, dass Beförderungserschleichung unter das OWiG fällt und wir dann gegebenenfalls Strafverfahren wegen schweren Betruges haben, bei denen es darum geht, dass zwei Jahre lang mit vollem Vorsatz ein öffentliches Verkehrsmittel benutzt wurde.
Eines noch an die Kollegen der Linken: Wer seine Geldstrafe nicht bezahlen kann, der kann sie in diesem Land – ein Blick in den Gesetzestext erleichtert die Rechtsfindung – nach § 293 EGStGB durch gemeinnützige Arbeit abarbeiten.
(Niema Movassat [DIE LINKE]: Die Länder bieten das zu wenig an!)
Das ist ein sehr guter Weg, und darum ermuntere ich alle Justizverwaltungen, diesen Weg auch zu gehen, um Menschen nicht zu kriminalisieren.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und ein schönes Wochenende.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Herzlichen Dank, Herr Kollege Dr. Brunner. – Als Nächstes für die Freien Demokraten die Kollegin Katharina Kloke.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7219432 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 27 |
Tagesordnungspunkt | Straffreiheit für Fahren ohne Fahrschein |