20.04.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 27 / Tagesordnungspunkt 20

Katharina WillkommFDP - Straffreiheit für Fahren ohne Fahrschein

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute stehen der Vorschlag der Linken, das Schwarzfahren als Straftatbestand ersatzlos abzuschaffen, und der Vorschlag der Grünen, das Schwarzfahren zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen, auf der Tagesordnung.

Derzeit sieht die Lebenswirklichkeit so aus: Nach § 265a StGB wird das Erschleichen von Leistungen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. In der Regel kommt man nicht ab dem ersten Erwischtwerden ins Gefängnis. Manche trifft eine Geldstrafe aber härter als eine Freiheitsstrafe auf Bewährung.

Die polizeiliche Kriminalstatistik erfasste 2016 bundesweit rund 246 000 Schwarzfahrerfälle. In ganz Deutschland verbüßten 7 600 Personen eine Freiheitsstrafe wegen Schwarzfahrens. Wir reden also über die Freiheitsrechte vieler einzelner Menschen in Deutschland.

Freiheit ist wichtiger als Geld, aber unwichtig ist Geld natürlich auch nicht. Strafverfahren wegen Schwarzfahrens kosten die Bundesländer eine ganze Stange Geld: Kosten der Polizeiarbeit, Kosten der Arbeit von Staatsanwälten und Richtern, Kosten für die Justizvollzugsanstalten.

Ich komme aus NRW. Dort geht es in 8,5 Prozent aller erledigten Verfahren der Staatsanwaltschaft um das Schwarzfahren. Dies sind rund 100 000 Fälle. Mehr als jedes zehnte strafrechtliche Urteil in NRW betrifft Schwarzfahrer. NRW gibt pro Tag rund 160 000 Euro für inhaftierte Menschen aus, die das Gericht überhaupt nicht inhaftieren wollte, weil sie eigentliche eine Geldstrafe zahlen sollten.

Sind das Argumente für eine „Justiz nach Kassenlage“, wie die Verkehrsbetriebe sagen?

Den Verkehrsbetrieben und ihren Kontrolleuren würde nichts genommen werden, wenn Schwarzfahren keine Straftat mehr wäre. Ihnen bliebe das Selbsthilferecht nach § 229 BGB.

Eine Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit entlastete in gewissem Umfang die Justiz. Sie würde bei der Priorisierung auf die Bereiche helfen, in denen der Rechtsstaat tatsächlich gefährdet ist oder zum Wohle der Bürger mehr bewirkt, zum Beispiel bei der Bekämpfung von Terrorismus, Cyberkriminalität oder Wohnungseinbrüchen. Andererseits sind viele Fälle denkbar, in denen der OWiG-Bußgeldrahmen vielleicht nicht ausreicht, etwa, wenn sich jemand wiederholt im ICE von Hamburg nach München ohne Ticket erwischen lässt.

Wir Freien Demokraten haben den Wählerinnen und Wählern versprochen, den Rechtsstaat zu stärken. Dazu gehören mehr Polizisten auf der Straße, mehr Richter und mehr Staatsanwälte.

(Beifall bei der FDP – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das setzen wir um!)

Wir müssen aber auch den Aufgabenkatalog für Polizei und Gerichte überprüfen und auf das Wesentliche konzentrieren. Wer immer und bei allen Themen nur mehr Schärfe und Härte fordert, Herr Bundesinnenminister, der zeigt auch, dass er nicht priorisieren kann oder will.

Ressourcen sind aber endlich. Da, wo wir den Rechtsstaat über das Strafgesetzbuch definieren, müssen wir die Mittel bereitstellen, um ihn auch durchzusetzen. Nicht alles, was einmal im Gesetzbuch steht, muss aber auf alle Zeit dort stehen bleiben. Der Gesetzgeber sind wir!

Im liberalen Rechtsstaat ist das Strafrecht Ultima Ratio, also das äußerste Mittel, um den Rechtsfrieden zu erzwingen, wenn Privatrecht und Verwaltungsrecht nicht mehr weiterhelfen. Diese Ultima-Ratio-Grenze ist hier nicht erreicht.

(Beifall bei der FDP)

Wir brauchen also eine andere Lösung für das Problem des Schwarzfahrens, als sie das Gesetzbuch derzeit hergibt. Das Schwarzfahren einfach nur aus dem § 265a StGB zu streichen, kann nicht die Antwort sein. Eine angemessene Lösung im weiteren Verfahren wird an den Freien Demokraten nicht scheitern.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Canan Bayram.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7219433
Wahlperiode 19
Sitzung 27
Tagesordnungspunkt Straffreiheit für Fahren ohne Fahrschein
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