26.04.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 29 / Zusatzpunkt 3

Andrea NahlesSPD - 70 Jahre Gründung des Staates Israel

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Staatsgründung Israels vor 70 Jahren war der Beginn einer beispiellosen Erfolgsgeschichte. Israel ist heute ein hochentwickeltes Industrieland mit einer quicklebendigen Gründerszene, und es hat den höchsten Lebensstandard im Nahen Osten. Nicht nur das: Es ist die einzige parlamentarische Demokratie in der Region mit freien Wahlen und einer funktionierenden Gewaltenteilung.

Die Dringlichkeit der Staatsgründung vor 70 Jahren war unmittelbar mit dem Holocaust verbunden. Für viele Menschen, die das Grauen der Konzentrationslager in Europa erlebt und überlebt hatten, wurde Israel zur Hoffnung, zur Zuflucht und schließlich auch zur Heimat. So fand mit der Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung am 14. Mai 1948 nicht allein eine Staatsgründung statt. Diese Staatsgründung war die mutige Antwort auf die jahrhundertelange Geschichte des Antisemitismus und eben auch eine Antwort auf diesen furchtbaren Höhepunkt des Antisemitismus, den Holocaust.

Umso kostbarer – ja, kostbarer – sind die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD)

Heute verbindet uns, Deutschland und Israel, die Erfahrung, den tiefen Graben der Vergangenheit überwunden zu haben, und das Staunen und die Dankbarkeit darüber, dass eine Versöhnung möglich war. Seit 22 Jahren besuche ich Israel regelmäßig und erlebe das in unzähligen Begegnungen mit unzähligen Menschen, mit denen ich auch freundschaftlich verbunden bin.

Vor allem eine Begegnung hat mir besonders deutlich gemacht, dass das noch immer eine sehr sensible Beziehung ist: Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus diesem Haus besuchte ich den Kibbuz Lochamej ­haGeta’ot, in dem auch Überlebende des Holocaust lebten. Mit einem dieser Überlebenden kamen wir ins Gespräch. Relativ witzig unterhielten wir uns. Man merkte, er freute sich, dass er sich mit uns auf Deutsch unterhalten konnte. Schließlich stellte sich heraus, er wünschte sich sehr, noch einmal nach Berlin zu kommen. Ein Kollege reichte ihm in bester Absicht eine Visitenkarte mit den Worten: Das können wir sicherlich möglich machen. Bitte melden Sie sich. – Dem Holocaustüberlebenden entglitten die Gesichtszüge. Das Wort „melden“ erinnerte ihn, und das waren die grausamsten Erinnerungen. Das war greifbar, und das Gespräch war an der Stelle irgendwie zu Ende.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für uns Deutsche, für diejenigen, die der zweiten, dritten und allen von nun an nachfolgenden Generationen angehören, gilt: Wir haben keine Schuld, aber Verantwortung, und diese Verantwortung kennt keinen Schlussstrich,

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD und der Abg. Dr. Frauke Petry [fraktionslos] und Mario Mieruch [fraktionslos])

weder für die Nachgeborenen noch für die, die zu uns gekommen sind. Das sage ich auch vor dem Hintergrund der antisemitischen Vorfälle in der letzten Zeit. Es ist unerträglich, wenn jüdisches Leben in Deutschland ohne Angst nicht möglich ist.

(Beifall im ganzen Hause)

Wir verurteilen diese Angriffe scharf, und wir müssen sie ahnden; denn Angriffe auf Jüdinnen und Juden sind Angriffe auf uns selbst, auf unsere Demokratie und unsere pluralistische Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN und des Abg. Mario Mieruch [fraktionslos])

Ich bin überzeugt: Unser tiefes Bekenntnis zu gemeinsamen Werten, unser Bekenntnis zur gemeinsamen Erinnerung wird uns, Israel und Deutschland, helfen, uns gemeinsam gegen Fundamentalismus, Extremismus und auch gegen Antisemitismus zu stellen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Ein jüdisches Sprichwort lautet: Das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung. – Wir sorgen dafür, dass sich die gemeinsame Erinnerung an die zukünftige Generation weiterträgt. So hat sich zwischen Israel und Deutschland – in den Worten von Schimon Peres – „eine einzigartige Freundschaft“ entwickelt. Das Wunder dieser einzigartigen Freundschaft kann man nicht hoch genug schätzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dr. Marco Buschmann [FDP])

Wahre Hochschätzung zeigt sich aber auch in der Fähigkeit zum offenen Wort.

Die Existenz des Staates Israel war von Anfang an von vielen Staaten bedroht. Ich habe die größte Hochachtung dafür, wie Israel, die israelische Gesellschaft, aber auch die israelische Politik mit diesen existenziellen Bedrohungen umgegangen ist:

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

wehrhaft, aber auf der Basis von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Das haben sie geschafft, gerade in den Anfängen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aus dieser Beobachtung schöpfe ich auch die Hoffnung, dass dieser Weg nicht aufgegeben wird. Die Hoffnung auf eine Zweistaatenlösung klingt mittlerweile wie eine ferne Utopie. Die fortgesetzten Siedlungsaktivitäten sind mit unseren Vorstellungen einer friedlichen Beilegung des Konflikts schwer vereinbar. Trotzdem appelliere ich an die Beteiligten, diese Hoffnung nicht aufzugeben und Rechtsstaatlichkeit und Liberalität weiter zu verteidigen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD)

Unabhängig von allen kritischen Fragen, die wir an die israelische Regierung richten, gilt für uns: Wir werden das Existenzrecht Israels immer und ohne Einschränkung verteidigen.

(Beifall im ganzen Hause)

Das ergibt sich nicht nur aus der historischen Verantwortung, sondern noch viel mehr auch aus der tiefen Freundschaft, die sich zwischen Deutschland und Israel entwickelt hat. Sie ist nämlich der eigentliche Glücksfall, der uns an diesem Tag Anlass zur Freude gibt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN)

Nächster Redner ist der Vorsitzende der AfD-Fraktion, Alexander Gauland.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7221573
Wahlperiode 19
Sitzung 29
Tagesordnungspunkt 70 Jahre Gründung des Staates Israel
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