Martin SchulzSPD - 70 Jahre Gründung des Staates Israel
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Idee, dass die Juden, die über Jahrhunderte unter Pogromen und Verfolgung und Ausgrenzung zu leiden hatten, in dieser Welt eine Heimstatt haben und zurückkehren können sollten in das Land ihrer Väter, ist älter als der Staat Israel. Die zionistische Bewegung gab es vorher. Aber die Schoah, dieser Zivilisationsbruch ohnegleichen, machte die Verwirklichung dieser Idee zur zwingenden Notwendigkeit. Nie mehr sollte ein Jude, nie mehr sollte eine Jüdin in der Welt Angst haben, keine Zuflucht, keine Heimstatt zu finden. Und in der Tat: Der israelische Staat gibt den Juden in aller Welt die Garantie, dass sie einen Ort der Zuflucht, eine Heimstatt haben. Er ist also die sichere Burg für alle Juden, aber auch die Heimstatt der arabischen Israelis. Auch sie sind ein Teil des Staates Israel, dessen Geburtstag wir in diesen Tagen feiern.
Gerade Juden können wegen ihrer besonderen Verfolgungsgeschichte besser als andere nachvollziehen, was es heißt, verfolgt zu werden, was es heißt, keine Heimat zu haben, was es heißt, wenn dir entgegenschallt: Ihr gehört nicht zu uns. – Auch deshalb haben sich große Männer und Frauen dieses israelischen Staates immer wieder für den Frieden, für die Zweistaatenlösung, für das Gemeinsame eingesetzt. Yitzhak Rabin, meine Damen und Herren, hat für diese Idee nicht nur den Friedensnobelpreis bekommen, sondern er hat dafür auch mit seinem Leben bezahlt.
Aber jeder Jude und jede Jüdin und jeder Mann und jede Frau in der Welt wissen heute: Es gab einen Staat, der das Gegenteil wollte, der die Vernichtung der jüdischen Existenz zum Ziel seines staatlichen Handelns erhoben hatte. Die Rassengesetze von Nürnberg und der Vernichtungswille von Hitlers Mörderbanden luden eine unendliche Schuld auf die Schultern unserer Nation. Die Männer und Frauen, die nach dem Ende dieser Verbrechensgeschichte mit dieser Schuld umgehen mussten, fassten übrigens fast zeitgleich mit der Gründung des israelischen Staates bei dem Entstehen unserer Bundesrepublik Deutschland einen Entschluss, nämlich als Artikel 1 in die Verfassung hineinzuschreiben: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Damit, genau mit dieser Entscheidung im Parlamentarischen Rat, symbolisierten sie eine Abkehr von der Politik, die die Menschenwürde in nie gekannter Art und Weise zu zerstören versucht hatte. Sie symbolisierten eine Abkehr von dieser Vergangenheit. Wir, die wir heute die Bürgerinnen und Bürger eines modernen und aufgeklärten Deutschlands sind, und wir alle hier in diesem Raum, die wir die Repräsentanten unserer Nation sind, müssen uns über eines im Klaren sein: Es war ein definitiver Trennungsstrich, den die Verfassungsmütter und Verfassungsväter zogen, von einer anderen Geschichte unseres Landes. Und dieses Land, die Bundesrepublik Deutschland, die auf dieser Verfassungsgrundlage entstand, begann anfänglich zögerlich, aber später mit immer größerer Intensität, zu erklären, dass die Existenz Israels und die Sicherung der Existenz dieses Landes Staatsziel der Bundesrepublik Deutschland sein muss, des Landes, auf dessen Grund und Boden eine andere Regierung zuvor die Vernichtung der jüdischen Existenz zum Staatsziel erhoben hatte. Mit der Existenz Israels und der Anerkennung seiner Sicherheit symbolisiert unser Land die definitive Abkehr von den Verbrechen und von der Geisteshaltung der Verbrecher, die unser Land und die Welt ins Unglück gestürzt haben.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN)
Das, meine Damen und Herren, ist die eigentliche Verbindung zwischen dem Existenzrecht Israels, das wir als Deutsche garantieren, und unserer eigenen Entwicklung als Staat. Diese Staatsräson ist nicht nur deutscher, sondern auch europäischer Auftrag. Mehr noch: Die Juden, aber auch alle anderen Minderheiten zu schützen, ist gemäß globalem Völker- und Menschenrecht Auftrag aller friedlichen Nationen. Das ist die Verpflichtung, die sich aus der Schoah ergibt. Und deshalb – ja – ist es unerträglich, wenn Juden heute noch immer und insbesondere bei uns in Deutschland bedroht werden oder das Existenzrecht Israels infrage gestellt wird.
Meine Damen und Herren, indem wir Israel schützen, schützen wir uns selbst vor den Dämonen der Vergangenheit unseres eigenen Volkes.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD)
Deshalb gibt es allen Grund für uns, die Existenz Israels am 70. Jahrestag zu feiern.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD)
Nächster Redner ist der Kollege Djir-Sarai, FDP.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7221586 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 29 |
Tagesordnungspunkt | 70 Jahre Gründung des Staates Israel |