26.04.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 29 / Tagesordnungspunkt 8

Uwe WittAfD - Änderung des Schwerbehindertenausweises

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Herr Bundespräsident!

Ich bin nur Präsident, nicht Bundespräsident, Herr Kollege. So weit ist es noch nicht.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Uwe Schummer [CDU/CSU]: „Noch nicht“!)

Aber es war nett gemeint.

Kann noch kommen.

Vielleicht!

Liebe Gäste des Hauses! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In meiner mehr als 15-jährigen Berufserfahrung als ehrenamtlicher Betreuer behinderter Menschen musste ich viele Beispiele von Ausgrenzung erleben, angefangen damit, dass ich, wenn ich mit einem behinderten Menschen, der am Downsyndrom gelitten hat, unterwegs war – –

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat aber nicht „gelitten“! Das ist schon mal ein Fehler!)

– Bitte, was möchten Sie sagen?

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat nicht „gelitten“! Das ist schon mal ein Fehler!)

– Wer hat gelitten?

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat nicht „gelitten“, der Mensch mit Downsyndrom! Sie haben nichts kapiert, gar nichts!)

– Was möchten Sie mir denn erzählen?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich darauf hinweisen, dass es vielleicht sinnvoll ist, kein Zwiegespräch zu führen, sondern eine Zwischenfrage zu stellen, die der Kollege beantworten kann?

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat es doch jetzt verstanden!)

Eben. Das würde ich außerordentlich begrüßen.

Ansonsten wird es schwierig. – Bitte.

Als ich mit einem Betreuten mit Downsyndrom unterwegs war, wechselten die Leute die Straßenseite. Wenn ich mit einer Gruppe behinderter Menschen ein Lokal betrat, kam es gar zu Beschimpfungen und zu der Bitte, das Lokal zu verlassen. Das ist nicht Teilhabe, liebe Kollegen.

Bereits Mitte der 90er-Jahre habe ich in einem Fertigungsunternehmen eine Betriebsabteilung installiert – –

(Zurufe von der SPD)

– Ich weiß nicht, warum Sie mich dauernd unterbrechen.

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie Müll reden! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Zwischenrufe in diesem Parlament möglich sind! Steht in der Geschäftsordnung!)

– Aber warum tun Sie das?

(Zuruf von der SPD: Machen Sie doch auch!)

Wir reden hier über ein wichtiges Thema, und es geht nicht um Ihren politischen Habitus, den Sie wahren wollen.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist Ihr Problem? – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Haltung, nicht um einen Habitus!)

Also, noch einmal: Ich habe bereits Mitte der 90er-Jahre in einem Industrieunternehmen eine Betriebsabteilung in den Fertigungsablauf integriert, in der ausschließlich behinderte Menschen beschäftigt waren.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Das ist ein Weg gelebter Integration und Teilhabe behinderter Menschen.

Wir wollen, dass Teilhabe für Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft wirklich gelebt wird, und zwar so, dass Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung gleichberechtigt miteinander leben können, unter bestmöglichen Bedingungen, ohne Ausgrenzungen und Diskriminierungen. Die Mauer im Kopf von uns allen muss fallen.

(Beifall bei der AfD)

Sie haben in der vergangenen Wahlperiode ein Bundesteilhabegesetz beschlossen, dessen erste beiden Reformstufen bereits in Kraft getreten sind. Darum will ich nicht sagen, dass Sie in dem wichtigen Bereich nichts getan haben. Lassen Sie uns gemeinsam in diese Richtung weitergehen! Wir unterstützen natürlich gerne den Antrag der Freien Demokraten auf Umbenennung des Schwerbehindertenausweises.

Lassen Sie uns für einen Moment den Bereich der behinderten Menschen verlassen, und widmen wir uns dem Begriff „Teilhabe“. Wenn wir im Sinne der ICF-Klassifikation der WHO von Teilhabe als einer Komponente von Gesundheit sprechen, dann bezieht sich das zunächst einmal auf alle Menschen, nicht nur auf Menschen mit Behinderung. Es bezieht sich auch auf alle Lebensbereiche. Wenn wir von Teilhabe sprechen, dann sprechen wir auch von einer Geisteshaltung, die eigentlich Voraussetzung dafür ist. Haben Sie die, liebe Kollegen?

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fragen Sie! Ausgerechnet Sie fragen so was! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Sie haben die auf jeden Fall nicht! Haben Sie die Anfrage eigentlich mitgezeichnet?)

Sollte es nicht für alle demokratischen Parteien und besonders für deren Vertreter in diesem Haus eine Selbstverständlichkeit sein, alle ebenso demokratisch gewählten Kollegen anderer Parteien teilhaben zu lassen an der politischen Willensbildung?

(Beifall bei der AfD – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Recht haben Sie! Sie müssen es nur wahrnehmen!)

Sie sollten sie gleichberechtigt teilhaben lassen, zumindest an seit Jahrzehnten selbstverständlichen parlamentarischen Abläufen. Wie können Sie denn glaubwürdig von Teilhabe sprechen, wenn Sie nicht einmal bereit sind, Ihre eigenen Kollegen teilhaben zu lassen?

(Beifall bei der AfD – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten dieses Wort nicht einmal in den Mund nehmen!)

Sie haben sich uns nicht ausgesucht, sondern die Bürger unseres Landes haben uns ausgesucht. Das nennt man Demokratie.

(Beifall bei der AfD – Dagmar Ziegler [SPD]: Ja, genau, deshalb wählen wir Sie ja auch nicht!)

Die AfD-Fraktion hat in den hinter uns liegenden Wochen und Monaten dieser Wahlperiode immer wieder gezeigt, dass sie selbstverständlich bereit ist, mit Ihnen in den Ausschüssen über Ihre Anträge zu sprechen, und dass sie Ihren Anträgen auch zustimmt, wenn sie sie für vernünftig hält.

(Zurufe von der SPD)

Sie aber verweigern der AfD nach wie vor die Teilhabe an parlamentarisch und gesetzlich vorgesehenen Funktionen und Posten.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch mal zum Thema! Unglaublich! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit stellen Sie, liebe Kollegen, Ihre subjektive ideologische Sichtweise über Recht und parlamentarische Gepflogenheiten.

(Beifall bei der AfD – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Geht es Ihnen um die AfD oder um Menschen mit Behinderung?)

Wenn Sie hier sagen, die AfD sei keine demokratische Partei, und das durch Ungleichbehandlung der AfD hier in diesem Parlament und seinen Ausschüssen untermauern, dann liefern Sie denjenigen Rechtfertigung von allerhöchster Stelle, die unsere Mitglieder auf den Straßen anspucken, beschimpfen, ihre Autos anzünden, Häuser beschmieren und auch vor Körperverletzung nicht zurückschrecken.

(Beifall bei der AfD – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Was hat das mit dem Schwerbehindertenausweis zu tun?  – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)

Ihnen muss nicht alles gefallen, was die AfD sagt. Es muss Ihnen aber gefallen, was Demokratie bedeutet. Und uns allen muss klar sein, was wir hier für eine Vorbildfunktion haben.

(Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD)

Lassen Sie mich zum Ende meiner Rede

(Beifall der Abg. Dagmar Ziegler [SPD])

über einen unglaublichen Vorgang sprechen. Meine sehr geschätzte Kollegin Frau Nicole Höchst, selber Mutter von vier Kindern, wovon eines behindert ist, hat in gutem Glauben eine Kleine Anfrage zur Entwicklung der Zahl schwerbehinderter Menschen in Deutschland gestellt.

(Zurufe von der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sollte einzig und allein dazu dienen, Daten und Fakten abzufragen,

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie die mitgezeichnet?)

um daraus einen möglichen Handlungsbedarf der Politik für die Betreuung von Behinderten und für die Beratung ihrer Angehörigen zu ermitteln sowie rechtzeitig personelle wie finanzielle Planung zu starten, damit Inklusion in der Bildung überhaupt eine Chance hat, zu funktionieren. – Wissen Sie, meine Kollegen, was sollen die Zwischenrufe? Sie glauben mir nicht? Schauen Sie mal, ich habe exemplarisch drei Zeitungsausschnitte mitgebracht, in denen es um genau diese Fragestellung geht. Allerdings ist das vier Jahre her. Da war das noch erlaubt, verstehen Sie?

(Beifall bei der AfD)

Daher hält die von den Sozialverbänden in der Erklärung aufgestellte Behauptung, dass ein Zusammenhang von Inzucht, behinderten Kindern und Migrantinnen und Migranten abwegig sei, keiner Überprüfung stand.

(Zuruf von der LINKEN)

Ich weiß – und da sind wir alle einer Meinung –, es ist wirklich ein heikles Thema. Aber wir alle hier sind gewählt worden, um Probleme zu lösen, und nicht, um nach Vogel-Strauß-Methode den Kopf in den Sand zu stecken.

(Beifall bei der AfD – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Dann halten Sie sich mal dran! Dann handeln Sie doch danach!)

Wenn also im Zuge der Flüchtlingskrise vermehrt Menschen nach Deutschland kommen, sollte es für eine verantwortungsbewusste Politik eigentlich selbstverständlich sein, sich um eine entsprechende Datenbasis zu bemühen,

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gibt es doch nicht! – Kerstin Tack [SPD]: Was soll denn das?)

damit betroffene Eltern beraten und unterstützt werden können – denn es ist wichtig, Familien mit behinderten Kindern zu unterstützen und im Alltag zu entlasten –,

(Zuruf der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

und damit Eltern im Vorfeld über mögliche Risiken etwa der Verwandtenehe informiert werden. Wer Flüchtlingen diese Hilfe vorenthält, weil er über dieses unbequeme Thema lieber nicht reden möchte, der handelt in hohem Maße unverantwortlich.

(Beifall bei der AfD)

Denn Probleme, vor denen man aus vermeintlich politischer Korrektheit die Augen verschließt, verschwinden nicht einfach.

Die AfD möchte Steuerungswissen generieren. Durch die fehlgeleitete Uninformiertheit der Sozialverbände ist nur eines passiert:

(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Der Sozialverbände?!)

Es gibt Morddrohungen gegen Frau Höchst. Ich glaube nicht, dass das auch Ihre Absicht war.

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gegen Frau Claudia Roth auch!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich Mark Twain zitieren, der sinngemäß sagte: Wir schätzen die Menschen, die frisch und offen ihre Meinung sagen – vorausgesetzt, sie meinen dasselbe wie wir.

(Heiterkeit des Abg. Dr. Alexander Gauland [AfD])

Diese lächelnde Entlarvung des Romanciers beschreibt leider treffend das Verhältnis eines Großteils von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Meinungsfreiheit der AfD.

(Beifall bei der AfD)

Denken Sie an Ihre Redezeit, bitte. Sie sind schon drüber.

(Dagmar Ziegler [SPD]: Vor allem inhaltlich ist er längst drüber!)

Nein, überhaupt nicht. – Gehen Sie in sich und prüfen Sie, ob das wirklich das ist, was Sie wollen, ob Sie wirklich eine andere Meinung nicht zulassen lassen wollen

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hetze ist keine Meinung!)

und Dinge bewusst falsch interpretieren wollen, um Ihre eigene Handlungsweise zu legitimieren.

Herr Witt, denken Sie bitte an Ihre Redezeit. Sie sind schon eine Minute drüber.

Ach so. Ich dachte, das ist ein Minuszeichen. Entschuldigung.

Es blinkt schon.

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Es reicht auch wirklich!)

Okay. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein letzter Satz: Wir müssen behinderte Menschen als vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft teilhaben lassen; denn sie sind ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der AfD – Jens Beeck [FDP]: Entschuldigen Sie sich doch!)

Ich weise noch einmal darauf hin – Herr Witt hat es nicht gesehen oder nicht gewusst –: Wenn die Lampe am Rednerpult blinkt, ist das keine Lightshow zur Unterstützung Ihrer Rede, sondern eine Warnung, dass Ihnen demnächst etwas widerfährt, zum Beispiel das Abschalten des Mikros.

Ich begrüße als nächste Rednerin Verena Bentele, die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. – Frau Bentele, Sie haben das Wort.

(Beifall im ganzen Hause)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7221822
Wahlperiode 19
Sitzung 29
Tagesordnungspunkt Änderung des Schwerbehindertenausweises
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