27.04.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 30 / Zusatzpunkt 9

Martin BurkertSPD - Rheintalstreckensperrung 2017 - Notfallmanagement

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Über die Tunnelhavarie in Rastatt haben wir bereits am 4. September 2017 ausführlich diskutiert. Ich will das betonen, damit nicht der Eindruck entsteht, dass wir nur darüber reden, weil die FDP das so wollte.

Heute befassen wir uns alle noch einmal mit dem Geschehen in Rastatt. Wir haben schon von einigen Rednern gehört, was vorgefallen ist. Vor acht Monaten haben uns die Vorstände der DB Netz AG, Dr. Rompf und Dr. Schaffer, im Ausschuss erklärt, wie es am 12. August zu der Gleisabsenkung im Zuge der Tunnelarbeiten kam. Damals hat die Besatzung der Tunnelvortriebsmaschine eine Veränderung der Tunnellage erkannt – was gut ist – und umgehend den Fahrdienstleiter informiert. Die Strecke wurde sofort gesperrt. Das dauerte ganze drei Minuten.

An der Strecke gab es eine viergliedrige Überwachung. Es gab innerhalb der Tunnelvortriebsmaschine, aber auch oberirdisch ein sensorisches und auch ein tachymetrisches Messsystem. Außerdem gab es eine Überwachung der Baustelle rund um die Uhr durch den technischen Berechtigten; ihn gab es durchaus. Eine erste optische Veränderung an der Streckenanlage wurde am Tag der Havarie nach circa eineinhalb Stunden festgestellt.

Es lässt sich also zusammenfassend sagen: Das Schienenkonzept ging auf. Es bestand zu keinem Zeitpunkt – das hat der Herr Staatssekretär schon geschildert – Gefahr für Leib und Leben. Das ist die gute Nachricht. Ich will deshalb allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die besonnen und schnell gehandelt haben, herzlichen Dank sagen dafür, dass nichts passiert ist.

(Beifall bei der SPD)

Für den Schienengüterverkehr standen dann nur drei Umleitungsstrecken zur Verfügung. Eine ging über Österreich, eine andere über die Gäubahn – allerdings nur auf einem nicht elektrifizierten Abschnitt, auf dem nur Dieselverkehr möglich ist – und wieder eine andere über eine grenznahe Strecke nach Frankreich, zusätzlich zum Rail Freight Corridor 2, der komplett über Frankreich geht. Man muss sagen: Grenzüberschreitende Ausweichstrecken sind schön und gut, doch müssen auch ausreichend Lokführer vorhanden sein. Und nicht nur das: Sie müssen auch Sprach- und Streckenkenntnisse haben. Das war leider nicht immer der Fall.

Es gab auch innerdeutsche Ausweichstrecken, die aber nicht von allen Kunden des Güterschienenverkehrs benutzt werden konnten. Der Grund: Als Ausweichstrecken standen vor allem nicht elektrifizierte Trassen zur Verfügung, auf denen Diesellokomotiven benötigt werden. Die Nutzung der Umleitungen lag Anfang September dementsprechend nur zwischen 20 und 60 Prozent. Das eigentliche Problem war also weniger, kurzfristig Ausweichstrecken zur Verfügung zu stellen, sondern wie diese genutzt werden.

Zurückblickend zeigt sich: Die Deutsche Bahn war auf einen Super-GAU auf einer Hauptschlagader des europäischen Güterverkehrs nicht ausreichend vorbereitet.

(Zuruf von der FDP: Ja!)

An Herrn Pofalla gerichtet – er ist der verantwortliche Netzvorstand – kann ich nur sagen: Aus Schaden wird man klug. Das sollte er sich besonders zu Herzen nehmen.

Die Wiederinbetriebnahme der Strecke war für den 7. Oktober vorgesehen. Es ist erfreulich, dass die Strecke fünf Tage früher in Betrieb genommen werden konnte. Was bedeuten fünf Tage? Auf der Strecke im Korridor zwischen Karlsruhe und Basel – das muss man wissen – fahren täglich rund 200 Güterzüge. Durch die frühere Inbetriebnahme konnten also immerhin 1 000 Zugausfälle vermieden werden.

Vor fünf Tagen wurde uns ein Gutachten vorgelegt, das im Auftrag des Netzwerkes Europäischer Eisenbahnen erstellt wurde und in dem die volkswirtschaftlichen Schäden dieser Havarie untersucht wurden. Man spricht davon, dass Schäden mit einem Volumen von mindestens 2 Milliarden Euro für die europäische Volkswirtschaft entstanden seien. Zwei Drittel der Güterzüge sind in der Tat ausgefallen, und ein Drittel wurde umgeleitet. Enorme Gütermengen sind so – leider – von der Schiene auf die Straße abgewandert, zum Teil auch auf die Wasserstraßen. Insgesamt – das müssen wir feststellen – waren von der vermutlich größten Streckensperrung im deutschen Netz seit dem Zweiten Weltkrieg über 8 000 Güterzüge betroffen.

Ich sage in diesem Zusammenhang aber auch: Besonders schlimm finde ich es, dass jeden Tag, auch ohne Tunnelhavarie, zwischen 50 und 100 Güterzüge aus verschiedenen Gründen herumstehen. – Lieber Bahnvorstand, auch da gilt es zu handeln.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Genau!)

Ich bin der Ansicht, dass wir Unternehmen, die ihre Transportgüter von der Straße auf die Schiene bringen, nicht vollständig im Regen stehen lassen dürfen, wenn es um die finanziellen Risiken geht. In diesem Zusammenhang wird über einen Notfallfonds diskutiert. Ich halte dies für einen nachdenkenswerten Vorschlag, über den wir vielleicht auch im Ausschuss diskutieren können; denn richtig ist: Nach Rastatt ist vor Rastatt. Deswegen dürfen wir nicht zur Tagesordnung übergehen.

Wir werden die Digitalisierung der Schiene vorantreiben. Wir werden den Ausbau der europäischen Leit- und Sicherungstechnik – das Schlagwort lautet ETCS – vorantreiben. Den Bau elektronischer Stellwerke und die Umrüstung von Lokomotiven werden wir seitens des Bundes unterstützen. Um im Fall der Fälle Ausweichstrecken nutzen zu können, ist die Elektrifizierung von besonderer Wichtigkeit. Das hat Rastatt ganz klar gezeigt. Ohne Elektrifizierung haben wir weniger Ausweichmöglichkeiten. Deshalb wollen wir bis 2025  70 Prozent des Schienennetzes in Deutschland elektrifizieren. Das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Staatssekretär Bilger, ich sage: Das schaffen wir. Ich gehe davon aus, dass das Ministerium schon massiv daran arbeitet.

Es gibt noch einen zweiten Bereich, in dem Handlungsbedarf besteht: Die internationale Koordination und Abstimmung müssen unbedingt verbessert werden; da gebe ich Ihnen recht, Herr Kollege Jung. Mein Dank gilt deswegen ausdrücklich der Schweizer Verkehrsministerin, Doris Leuthard, und der Schweizer Bahn, die viele abgestellte Züge auf der Schweizer Seite zu managen hatten. Deshalb begrüßen wir den von der DB Netz AG mit anderen europäischen Schienennetzbetreibern ausgearbeiteten besseren Notfallplan. Ein Notfallhandbuch ist in Arbeit; der Herr Staatssekretär hat darauf hingewiesen.

Man kann nur sagen: Hoffentlich ist nach Rastatt nicht vor Rastatt. Vielleicht finden wir, Herr Kollege Jung, im Ausschuss auch noch einen gemeinsamen Nenner. Ich will Ihnen sagen: Der Antrag ist so schlecht nicht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Sabine Leidig das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/cvid/7222311
Wahlperiode 19
Sitzung 30
Tagesordnungspunkt Rheintalstreckensperrung 2017 - Notfallmanagement
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