16.05.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 32 / Tagesordnungspunkt 1 Epl 14

Fritz FelgentreuSPD - Verteidigung

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns gerade in einer engagierten Debatte darüber, ob diese Republik genug in die eigene Wehrhaftigkeit und ihre Bündnisfähigkeit investiert. Das Bundesverteidigungsministerium betrachtet den vorliegenden Haushaltsentwurf dafür noch nicht als geeignete Grundlage – das ist interessant –, kritisiert diesen, hat dann aber trotzdem zugestimmt. Das ist ein ungewöhnlicher Vorgang, über den der Bundestag sprechen sollte. Viele Beobachter der politischen Landschaft gehen davon aus, dass dieser Konflikt überhaupt nur deswegen in dieser Offenheit ausgetragen wird, weil das Finanz- und das Verteidigungsministerium in der neuen Bundesregierung von Ministern mit unterschiedlichen Parteibüchern geführt werden.

(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Gerücht!)

In der letzten Bundesregierung gab es die gleichen Probleme auch schon, aber eben nicht diese Art von offener Debatte.

Ich möchte auf solche parteipolitischen Aspekte der Auseinandersetzung heute nicht eingehen; vielmehr geht es mir im Kern um die Frage, wozu die Bundesrepublik Deutschland seit 1956 Jahr für Jahr große Summen für ihre Streitkräfte ausgibt und das auch in Zukunft tun wird. Im Grundgesetz steht dazu in Artikel 87a kurz und klar:

Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.

Diese schöne Norm hat eine Vorgeschichte. Cäsar hat einmal in einer unübertroffenen Formel eines seiner berühmtesten Worte gesagt:

Si vis pacem, para bellum. – Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor.

Auf Deutsch hat diese Formulierung nicht die gleiche lapidare Kraft. Aber der Satz bleibt doch der Grundgedanke jeder echten Verteidigungspolitik, die eben keine Kriegspolitik ist; denn es geht nicht um Aggression, sondern um die Fähigkeit, einem Aggressor die Stirn zu bieten. Dafür haben wir die Bundeswehr.

Dafür sind wir auch Teil der NATO. Dank diesem Verteidigungsbündnis kommen wir heute als Volk von 80 Millionen Menschen in der Mitte Europas mit einer unglaublich kleinen Armee von weniger als 200 000 Soldatinnen und Soldaten aus. Als Teil der NATO sind wir dann aber auch verpflichtet, entsprechend der Größe und der wirtschaftlichen Kraft dieses Landes einen angemessenen Beitrag zu leisten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

An Cäsars Formel, am Auftrag des Grundgesetzes und an unseren Bündnispflichten müssen wir jeden, also auch den vorliegenden Haushalt messen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht darum, ob wir genug tun, um auf mögliche militärische Herausforderungen vorbereitet zu sein. Im Zentrum dieser Frage steht die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr, über die wir gerade in den letzten Monaten immer wieder Bitteres lesen und hören mussten.

Unsere Streitkräfte sind seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine im Umbruch. Strukturell haben Regierung und Bundestag sie seit zwei Jahrzehnten darauf ausgerichtet, in weltweiten Einsätzen einen Beitrag zur Stabilisierung von Krisenregionen zu leisten. Aber 2014 hat der große, militärisch handlungsfähige Nachbar Russland die strategische Entscheidung getroffen, die eigenen Streitkräfte ohne Rücksicht auf internationales Recht einzusetzen, um seine Interessen durchzusetzen: zuerst auf der Krim, dann im Donbass und später in Syrien.

Mit dieser Entscheidung Moskaus hat sich die Sicherheitslage in Europa und darüber hinaus grundlegend verändert. Seitdem muss die Bundeswehr auch wieder die von uns lange vernachlässigten Aufgaben der Bündnis- und Landesverteidigung schultern und stößt dabei erkennbar an ihre Grenzen. Es war deshalb richtig, schon in der 18. Legislaturperiode die Trendwenden bei Personal, Ausrüstung und Finanzierung einzuleiten.

(Tobias Pflüger [DIE LINKE]: 30 Milliarden!)

Trendwenden bei der Ausbildung und bei der Geschwindigkeit der Umsetzung müssen sie ergänzen, damit sie wirken.

Ob wir den erreichten Zwischenstand positiv oder negativ bewerten, hängt davon ab, was wir unter Einsatzbereitschaft verstehen. Halten wir die Bundeswehr schon für einsatzbereit, solange sie in der Lage ist, ihre Zusagen und die eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen, dann ist die Bundeswehr einsatzbereit. Sie kann die Mandate des Bundestages tragen, und sie füllt ihre Rolle in der NATO aus: bei gemeinsamen Manövern, mit der Präsenz im Baltikum und dadurch, dass sie 2019 erneut die Speerspitze der NATO für Ost- und Mitteleuropa bildet, also binnen fünf Tagen eine verlegbare und voll ausgestattete Heeresbrigade stellt. Das schafft sie aber nur unter größter Kraftanstrengung. Hier in Deutschland muss die Bundeswehr dafür auf Ausrüstung verzichten, die sie eigentlich für die Ausbildung und den Truppendienst braucht.

Verstehen wir unter Einsatzbereitschaft aber die Fähigkeit zum Kampf in der ganzen Breite unserer Streitkräfte, meine Damen und Herren, dann sind wir davon weit entfernt. Es fehlt dazu an fast allem: an Personal, an modernem Gerät, an Kommunikationsmitteln, an Munition, besonders auch an Ersatzteilen und technischen Kapazitäten. Aber gerade diese Fähigkeit ist es doch, die den eigentlichen Sinn und Zweck einer Armee ausmacht, die auf neue Gefahren vorbereitet ist.

Die große Aufgabe dieser Legislaturperiode wird es sein, einen spürbaren Fortschritt dabei zu erreichen, dass wir die Folgen der jahrelangen Mangelwirtschaft überwinden. Dabei, meine Damen und Herren, ist Geld wahrlich nicht das einzige Problem. Im Gegenteil: Viel zu oft ist es dem Verteidigungsministerium in den letzten Jahren gar nicht gelungen, die für Entwicklung und Beschaffung vorgesehenen Haushaltsmittel überhaupt auszuschöpfen.

(Andrea Nahles [SPD]: Richtig!)

Bei Unteroffizieren und Offizieren sind laut Bericht des Wehrbeauftragten über 20 000 Stellen nicht besetzt, obwohl sie vorhanden wären. Am Bundesamt für Ausrüstung, also ausgerechnet bei der Behörde, die dafür sorgen muss, dass die Truppe alles hat, was sie braucht, ist jede fünfte Stelle vakant. Offensichtlich müssen wir große Anstrengungen unternehmen, damit die Arbeit dort für fachlich geeignete Nachwuchskräfte, für Hochschulabsolventen, für ehemalige und aktive Soldaten, wieder attraktiv wird.

Eines ist klar: Bevor wir hier im Deutschen Bundestag sinnvoll darüber diskutieren können, ob die geplanten Ausgaben für die Bundeswehr ausreichen, müssen erst einmal das Ministerium und die Bundeswehrverwaltung ihre Hausaufgaben machen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Felgentreu, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pflüger von den Linken?

Nein, im Moment nicht. Ich möchte diesen Gedanken gern zu Ende führen.

Bitte.

Aber wir können uns gerne hinterher darüber austauschen.

(Tobias Pflüger [DIE LINKE]: In einer Intervention danach?)

– So ist es.

(Johannes Kahrs [SPD]: Hat er keine Redezeit gekriegt, oder was? – Gegenruf von der LINKEN: Ja, so war es! – Heiterkeit)

Das heißt, das Verteidigungsministerium und die Bundeswehrverwaltung müssen ihre Handlungsfähigkeit steigern und ihre Effektivität unter Beweis stellen. Die SPD will eine mit Personal, Waffen und Gerät voll ausgestattete Bundeswehr. Ohne eine starke Bundeswehrverwaltung werden wir diese nicht bekommen.

Damit wir diesem Ziel Schritt für Schritt näherkommen, wird der Verteidigungsetat bis 2021 um über 10 Prozent wachsen. Im Vergleich zur 18. Legislaturperiode werden die Ausgaben sogar um 16 Prozent, von 140 auf über 160 Milliarden Euro, steigen. Das Verteidigungsministerium darf die zugeteilten Mittel auch über das Haushaltsjahr hinaus ausgeben. Das heißt, es können auch am Jahresende noch Bestellungen gemacht werden, die erst nach der Lieferung im Folgejahr bezahlt werden müssen.

Wir wollen zudem alle rechtlichen Spielräume nutzen, um auf langwierige europäische Ausschreibungen zu verzichten, wo immer das sicherheitspolitisch erforderlich ist. Für all das erwarten wir aber auch, dass es in Zukunft für jede Verzögerung bei Beschaffungsvorgängen, für jede gescheiterte Verhandlung, für jedes technische Problem einen Plan B, C, D und E gibt, der in der Schublade liegt und der die Bundeswehr voranbringt. Kommt der neue Hubschrauber nicht, dann wird das vorgesehene Geld eben für Lastwagen oder für Nachsichtgeräte ausgegeben.

(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder Korvetten!)

– Da die Versorgungslücken überall sind, Kollege Lindner, kann es für nicht abgeflossene Investitionsmittel in Zukunft keine Ausrede mehr geben. Entscheidungsreife, gut vorbereitete Beschaffungsvorhaben werden im Bundestag nicht scheitern.

Im Übrigen, meine Damen und Herren, gilt der Koalitionsvertrag. Er sieht vor, dass zusätzliche finanzielle Spielräume mit Priorität für Entwicklung und Verteidigung genutzt werden. Und am Ende wird ein Haushalt stehen, den die gesamte Regierung geschlossen einbringt und den die gesamte Koalition gemeinsam beschließt.

(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr schön!)

Eine geteilte Verantwortung der Aufgaben für die Bundesrepublik Deutschland kann und wird es nicht geben – weder in der Innenpolitik noch in der Sozialpolitik noch in der Frage, was diese Republik in ihre Wehrhaftigkeit und ihre Bündnisfähigkeit investiert.

(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Großartige Rede!)

Herr Kollege Pflüger, ich gebe Ihnen die Gelegenheit zu einer Kurzintervention von zwei Minuten.

(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Die Betonung liegt auf „kurz“!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7227298
Wahlperiode 19
Sitzung 32
Tagesordnungspunkt Verteidigung
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