16.05.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 32 / Tagesordnungspunkt 1 Epl 23

Sascha RaabeSPD - Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist gut, dass im Haushalt 2018 mit 900 Millionen Euro ein ordentlicher Aufwuchs zu verzeichnen ist. Aber angesichts der Herausforderungen, die wir zurzeit auf der Welt zu bewältigen haben – 2,7 Milliarden Menschen müssen von weniger als 2 Dollar pro Tag leben, und die Zahl hungernder Menschen ist wieder auf über 800 Millionen gestiegen –, ist es aus meiner Sicht ein Skandal, dass in der Finanzplanung ab dem nächsten Jahr beim Kampf gegen Hunger und Armut wieder Kürzungen vorgenommen werden. Ich finde, wir müssen alle gemeinsam dafür sorgen, dass das nicht passiert, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mich erinnert diese Situation fatal an den Beginn der letzten Legislaturperiode, als wir in der Finanzplanung mit Blick auf die kommenden vier Jahre ebenfalls ganz geringe Mittel vereinbart hatten. Wir Entwicklungspolitiker und auch Entwicklungsminister Gerd Müller haben immer gewarnt und gesagt: Die Bedingungen in den Flüchtlingslagern verschlechtern sich Tag für Tag. Wenn wir da jetzt nichts machen, werden sich die Menschen irgendwann in Bewegung setzen. – Man hat nicht auf uns gehört, und es ist passiert. Erst dann haben die Spitzen unserer Parteien – jetzt nehme ich einmal alle mit ins Boot – reagiert. 2016 und 2017 wurden die Mittel endlich erhöht. Als Entwicklungspolitiker kämpfe ich schon seit 2002 dafür, dass wir die ODA-Quote von 0,7 Prozent endlich erreichen – ein Versprechen, das wir schon 1970 gegeben haben. Damals haben wir uns alle auf die Schulter geklopft. Ich gebe zu: Das hat auch gutgetan. Dann haben alle gesagt: Mensch, hätten wir doch auf euch gehört. Ihr habt da recht gehabt. Wir sollten lieber die Fluchtursachen bekämpfen als zu warten, bis es zu spät ist.

Ich erinnere mich auch noch gut an den Wahlkampf 2017. Da haben die Spitzen aller Parteien auf den Marktplätzen immer wieder gesagt: Wir müssen für die Fluchtursachenbekämpfung endlich mehr tun. Das darf nie wieder passieren. Wir müssen die ODA-Quote von 0,7 Prozent erreichen. – Es war wie so oft in der Politik: Es wurde groß geredet, dann ging die Zahl der Flüchtlinge zurück, und auf einmal beging man die gleichen Fehler wieder. Damals, 2015, ging es um syrische Bürgerkriegsflüchtlinge. Der nächste große Strom wird von unserem Nachbarkontinent Afrika kommen. Dort wird es bis zum Jahr 2050 zu einer Verdopplung der Bevölkerung auf 2,5 Milliarden Menschen kommen. Die meisten von ihnen sind ganz junge Menschen. Da reden wir von Kindern, die in zehn Jahren Jobs und Perspektiven brauchen. Deswegen müssen wir jetzt anfangen, die Weichen zu stellen, und zwar mit wesentlich größeren Schritten. Wir dürfen erst recht nicht anfangen, zu kürzen. Sonst passiert uns das Gleiche, was uns in der letzten Legislaturperiode passiert ist, wieder. Dann möchte ich keine Klagen mehr hören. Ich sage: Wer ab 2019 ernsthaft die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit kürzen will, der versündigt sich nicht nur an den Menschen in Afrika, sondern auch an den Menschen hier in Deutschland und den Kommunen, an all denen, die dies wieder ausbaden müssen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen sage ich: Wir dürfen die Mittel ab 2019 nicht kürzen, sondern müssen sie endlich aufstocken und das 0,7-Prozent-Ziel erreichen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN)

Ich sehe auch gar nicht ein, dass ich hier wieder betteln soll.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wohl wahr!)

Wir haben im Koalitionsvertrag Regelungen für den Fall vereinbart, dass es zusätzliche Spielräume gibt. Von den zusätzlichen 46 Milliarden Euro wird nur ein beschämend geringer Anteil für die Entwicklungszusammenarbeit verwendet. Aber wir alle zusammen haben dafür gekämpft – Gabi und die wir hier alle saßen; Gerd, du auch kräftig –, dass in den Koalitionsvertrag eine entsprechende Formulierung aufgenommen wird. Ich zitiere einmal aus dem Koalitionsvertrag; das kann man gar nicht missinterpretieren. Darin steht, dass entstehende Haushaltspielräume prioritär dazu genutzt werden, die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen. Weiter heißt es:

Deutschland wird verbindlich mit dieser Haushaltspolitik … den internationalen Verpflichtungen zur weiteren Steigerung der ODA-Quote nachkommen, deren … Absinken bereits 2018 verhindert werden muss.

Das bedeutet doch, dass wir nicht wie sonst, wenn zusätzliche Steuermittel hereinkommen, in der Situation sind, uns hinten anstellen zu müssen, an siebter, achter, neunter, zehnter Stelle. In diesem Vertrag ist ganz klar festgelegt, dass, wenn es Mehreinnahmen gibt – 10 Milliarden Euro werden ja schon genannt; es sind bestimmt noch mehr –, unser Bereich prioritär bedient werden muss, und zwar zur Steigerung der ODA-Quote.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie recht! Dann müssen Sie das mal machen! – Ottmar von Holtz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rede doch mit dem Kollegen Scholz darüber!)

Ich sage auch unserem Finanzminister: Dieser Koalitionsvertrag gilt. Ich sehe nicht, dass es da auch nur einen Deut an Zweifel geben kann.

(Beifall der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Angesichts der Finanzplanung wäre es ein Bruch des Koalitionsvertrages. Das würden wir Entwicklungspolitiker nicht hinnehmen. Ich würde 2019 gegebenenfalls auch gegen den Haushalt stimmen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen, dass es nicht dazu kommt und der Koalitionsvertrag eingehalten wird. Lassen Sie uns den Menschen in den Entwicklungsländern endlich eine Perspektive geben, damit niemand aus Hunger und Armut zu uns flüchten muss, sondern in seinem Heimatland selbstbestimmt leben kann.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dazu gehört neben den finanziellen Mitteln auch ein fairer, gerechter Handel. Ich bin froh, dass wir das in unseren gemeinsamen Antrag von SPD und CDU/CSU hineingeschrieben haben. In Brüssel stehen zurzeit Entscheidungen an, durch die die guten Festlegungen des Koalitionsvertrages in Gefahr sind. Es sieht nämlich nicht so aus, dass sie dort umgesetzt werden. Lieber Gerd, hier müssen wir gemeinsam versuchen, unseren Wirtschaftsminister Peter Altmaier, der mir einen Brief geschrieben hat, mit dem ich nicht glücklich gewesen bin, zu überzeugen. Es kann doch nicht sein, dass wir den ärmsten Ländern erst die Mittel nicht geben, die wir ihnen schon seit 50 Jahren versprochen haben, und ihnen dann, wenn sie versuchen, ohne unsere Mittel auszukommen, und sich mit eigenen landwirtschaftlichen Erzeugnissen auf dem Weltmarkt positionieren wollen, diese Möglichkeit durch eine unfaire Handelspolitik kaputtmachen. Nein, ich sage: Wir brauchen faire, gerechte Handelsbedingungen und müssen dafür sorgen, dass Menschenrechte und Arbeitnehmerrechte eingehalten werden. Das muss verbindlicher Bestandteil der künftigen Handelsverträge werden. Das steht auch im Koalitionsvertrag.

Jetzt ist nicht mehr Zeit, zu reden. Jetzt ist es Zeit, zu handeln. Wir als Entwicklungspolitiker werden unsere Regierung dazu treiben, zu handeln. In diesem Sinne: Lassen Sie uns kampfbereit sein! Auf geht’s!

Danke.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN)

Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun der Kollege Stefan Sauer aus der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7227364
Wahlperiode 19
Sitzung 32
Tagesordnungspunkt Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
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